# taz.de -- Die Wahrheit: „Eine Herde wilder Pferde ..." | |
> Zum Abschied des großen taz-Layouters Richard Noebel: Die schönsten | |
> Anekdoten über den unverwüstlichen Zeitungsgestalter. | |
Bild: Der dienstälteste Layouter der taz: Richard Noebel | |
In diesen Tagen geht der dienstälteste Layouter der taz in den Ruhestand. | |
Dieses feierliche Ereignis nimmt die Wahrheit zum Anlass, um die besten | |
Anekdoten aus dem Leben des einzigartigen Richard Noebel zu erzählen. | |
Als junger Lyriker hielt sich Richard Noebel einmal als Stipendiat der | |
Villa Massimo in Rom auf. Eines Nachmittags betrat während einer | |
Unterredung mit dem Direktor ein komischer Kauz in Breeches das Zimmer. | |
Sofort sprang der Direktor auf: „Darf ich vorstellen? Richard Noebel, Ernst | |
Jünger.“ Darauf wendete Noebel sich launig an Jünger: „Sie habe ich mir | |
älter vorgestellt!“ Jünger lachte herzlich und versetzte: „So jung kommen | |
wir nicht mehr zusammen. Wollen wir nicht einen Champagner öffnen?“ Richard | |
Noebel zögerte: „Ich trinke nicht vor Einbruch der Dunkelheit!“ Darauf | |
erwiderte Ernst Jünger: „Dann lassen sie uns doch die Fensterläden | |
schließen, meine Herren!“ Und so geschah es dann auch. | |
* * * | |
Als Richard Noebel sieben Jahre alt wurde, gab es zu seinem Geburtstag | |
Schwarzwälder Kirschtorte. Zum ersten Mal konnte er sich vorstellen, dort | |
zu leben, wo dieser Kuchen gezüchtet wurde. | |
* * * | |
Auf sein Leben nach der taz ist Richard Noebel gut vorbereitet: Seit 2013 | |
ist er Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Schmargendorf. Er hat zudem | |
gelernt, Spitzendeckchen zu klöppeln. | |
* * * | |
Es war ein anstrengender Tag bei dem Blatt, das Richard Noebel so lang | |
schon am Herzen lag. Wegen der vielen wichtigen Nachrichten wurden mehrere | |
Redaktionsschlüsse überschritten, erfahrene Redakteure mussten in die | |
Nervenklinik eingeliefert werden, der Schriftleiter vom Dienst erlitt einen | |
Schreikrampf. Nur Richard Noebel blieb ruhig und rauchte und layoutete. | |
„Dafür bekommst du den Noebelpreis, Richard!“, rief die damalige | |
Chefredakteurin erleichtert. Bald darauf wurde sie entlassen. | |
* * * | |
Eines Tages lief Richard Noebel durch die Straßen seines geliebten Berliner | |
Bezirks Kreuzberg und sah nicht nach links und nicht nach rechts. Deshalb | |
war er auch völlig überrascht, als ein kleiner struppiger Streuner auf ihn | |
zu tappelte und bellte: „Kaff, kaff, kaff …“ Ein strahlendes Lächeln zog | |
über Noebels Gesicht, und er antwortete dem Straßenhund: „… auch Mare | |
Crisium.“ Da trollte sich der Kläffer mit eingeknicktem Schwanz. Noebel | |
aber sah dem davonstrunkelnden Vierbeiner noch lange nach und sinnierte, ob | |
der Rüde doch eher auf Franz Kafka als auf Arno Schmidt anspielen wollte. | |
* * * | |
Selten besuchte Richard Noebel die traditionellen Dachgartenfeste der | |
Tageszeitung, bei der er seit 1979 beschäftigt war. Als er es einmal doch | |
tat, gehörte er zu den letzten drei Gästen. Nachdem die altgedienten | |
Mitstreiter Mathias Bröckers und Helmut Höge ihren letzten Joint | |
ausgedrückt hatten, sagte Bröckers: „Richard, ich gehe jetzt. Soll ich dich | |
mitnehmen?“ Richard Noebel winkte freundlich ab, stieg wortlos über die | |
Brüstung auf eine tief vorbeitreibende Wolke und schwebte so gemächlich | |
nach Hause. Später hat niemand Bröckers und Höge diese Geschichte geglaubt. | |
Kein Wunder. | |
* * * | |
Als Richard Noebel eines mildsonnigen Tages recht unvorbereitet an der | |
Himmelspforte stand, war Petrus nicht da. Noebel guckte in die | |
vorbeiziehenden Wolken, zählte die darauf grasenden Schäfchen, atmete | |
frische Luft ein. Was tun? Noebel entnahm der Brusttasche seines letzten | |
Hemdes einen kleinen roten Würfel mit goldenen Punkten. Würfelte er eine | |
Eins, würde er noch mal würfeln und sich, ohne Ansehen der Augenzahl, | |
Einlass an der Himmelspforte verschaffen. Gerade als Noebel – kurzsichtig, | |
wie er war – sich die just gewürfelte Eins genauer besah, erschallte | |
Petrus’ tiefe Stimme aus den Untiefen des Himmelszeltes: „Gott würfelt | |
nicht!“ | |
* * * | |
Einmal hatte Richard Noebel am helllichten Tag einen seltsamen Traum: Ihm | |
träumte, sein alter Kollege Jörg Kohn trage einen gepunkteten Poncho und | |
betupfe sich die Zehennägel mit Parfüm. Verstört erzählte er der | |
Gleichstellungsbeauftragten davon. Doch die reagierte schlagfertig: „Was du | |
immer so träumst …“ | |
* * * | |
Einmal spazierte Richard Noebel gemächlich durch seinen Kiez, als er vor | |
dem Schaufenster eines Gebrauchtwarenladens zu stehen kam. Dort fiel sein | |
Blick auf das leicht vergilbte Cover einer Schallplatte der Sängerin | |
Séverine. Gedankenverloren summte er „Eine Herde wilder Pferde ist nicht | |
halb so wild wie ich“ vor sich hin und erinnerte sich an seine Schulzeit, | |
während der man ihn „den wilden Richard“ genannt hatte. Als er nun so eine | |
Weile gestanden und gesummt hatte, entschloss er sich endlich, die | |
Schallplatte zu erwerben. Doch leider hatte das Geschäft inzwischen bereits | |
geschlossen. | |
* * * | |
Ein Haiku brachte die Wende in Richard Noebels Leben. Es lautet: „Fünf | |
Eisbären in / sieben Jahren gesehen / und fünf Mal gelacht.“ Seit er eines | |
Tages diese Verse verfasste, reitet er ein neues Steckenpferd, das sein | |
Faible für die Verskunst beinahe überstrahlt: Er spielt Eishockey – als | |
Torhüter. | |
Aufgezeichnet von: Arno Frank, Michael Ringel, Carola Rönneburg, Corinna | |
Stegemann, Harriet Wolff | |
22 Oct 2014 | |
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