| # taz.de -- „Transit“ zum Maidan: Geteilt, nicht gespalten | |
| > Die europäische Zeitschrift „Transit“ nimmt den Maidan als „unerwartete | |
| > Revolution“ und als entscheidend für die Zukunft Europas in den Blick. | |
| Bild: Die Polizei posiert für ein Foto während der Zusammenstöße mit proeur… | |
| Entscheidet sich die Zukunft Europas in der Ukraine? Der US-amerikanische | |
| Historiker Timothy Snyder sieht das Schicksal der Europäischen Union aufs | |
| Engste mit den Entwicklungen in der Ukraine verknüpft. Nur ein vereintes | |
| Europa könne angemessen auf einen „aggressiven russischen Petrostaat“ | |
| reagieren und dem „Eurasien“-Projekt Putins entgegentreten, in dem die | |
| Ukraine enger Verbündeter Russlands wäre und kein Teil Europas. | |
| „Die Ukraine hat keine Zukunft ohne Europa, aber Europa hat auch keine | |
| Zukunft ohne die Ukraine“, lautet seine These in der Zeitschrift Transit, | |
| deren aktuelle Ausgabe unter dem Titel „Maidan: Die unerwartete Revolution“ | |
| steht. | |
| Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, das Transit | |
| herausgibt, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1982 um den | |
| intellektuellen Austausch zwischen Ost und West bemüht. Snyder gehört zum | |
| Redaktionskomitee, Gastherausgeberin der Ausgabe ist die ukrainische | |
| Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko. Ursprünglich hatte man ein | |
| Heft zu zehn Jahren Orangene Revolution geplant, schreibt sie im Editorial. | |
| Kurz darauf begannen die Proteste des Euromaidan. | |
| ## Die Erinnerung an den Maidan soll wachgehalten werden | |
| Mit dem Heft soll die Erinnerung an den Maidan wachgehalten werden. So | |
| beschreibt die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko in einem Interview | |
| mit Snyder und Zhurzhenko die Rolle der rechtsextremistischen Partei | |
| Swoboda auf dem Maidan, die die Proteste am Anfang zu dominieren schien. | |
| Bald schon habe sich jedoch gezeigt, dass die Anhänger der Swoboda keine | |
| Revolution wollten, sondern lediglich „nationalistische Provokateure“ | |
| waren. | |
| Der Politologe Anton Shekhovtsov erkennt im Maidan gar den „Schwanengesang“ | |
| der Swoboda und sieht sie als „Verlierer der Revolution“. Besonders ihr | |
| Spagat zwischen der nationaldemokratischen Opposition und rechtsextremen | |
| Organisationen wie der Neonazi-Bewegung C14 habe sich als zerstörerisch für | |
| die Partei erwiesen. Die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen vom Sonntag | |
| scheinen seine Einschätzung zu bestätigen. | |
| An eine grundlegendere Zäsur, die mit dem Maidan einherging, erinnert die | |
| Autorin Oksana Forostyna: Die mehrtägigen Straßenkämpfe im Januar 2014 | |
| hätten eine Konfliktsituation hervorgebracht, die in der | |
| Nachkriegsgeschichte der Ukraine einmalig gewesen sei: „Morde, Übergriffe, | |
| Explosionen und Schüsse im Zentrum von Kiew.“ Die Ukrainer hätten sich | |
| plötzlich „Aug in Aug mit dem absoluten, irrationalen und bodenlosen Bösen�… | |
| gesehen. Wie Oksana resigniert resümiert, sei „Hass die einzige Ideologie | |
| der ukrainischen staatlichen Gewaltorgane“. | |
| ## Die Frage nach den Folgen des Maidan | |
| Nach den Folgen des Maidan fragt der Politologe Mykola Riabchuk in seinem | |
| Beitrag „Hat der Maidan das Land gespalten“? Wobei er festhält, dass die | |
| Ukraine „tatsächlich (zwei)geteilt, aber nicht wirklich gespalten“ sei. So | |
| korrespondiere höhere Bildung mit einer prowestlichen und prodemokratischen | |
| Ausrichtung, auch seien jüngere Wählerschichten dem Westen gegenüber | |
| aufgeschlossener als ältere Generationen. | |
| Eine Versöhnung der „beiden Ukrainen“ mit ihren zwei gesellschaftlichen | |
| Realitäten, einer sowjetischen und einer nicht sowjetischen, die zwei | |
| Jahrzehnte lang im Staat nebenher existiert hätten, sei problematisch. | |
| Riabchuk setzt auf „schrittweise Versöhnung“. | |
| Auf Riabchuks Essay reagiert Zhurzhenko mit der Frage „Im Osten nichts | |
| Neues?“, um genauer zu untersuchen, was aus der „angeblichen | |
| Ost-West-Spaltung“ des Landes geworden ist und ob der „Osten“ sich | |
| inzwischen auf den Donbas beschränkt. | |
| ## Die Denkmale stürzen und die Vergangenheit stehlen | |
| In der aktuellen Situation sieht Zhurzhenko im Osten der Ukraine keine | |
| sowjetische Ideologie am Werk, sondern eine „negative Identität“, etwa in | |
| den Reaktionen auf gestürzte Lenin-Statuen: „Aus der Perspektive der | |
| prorussisch eingestellten Bürger sind es die ’Banderisten‘ und | |
| ’Nationalisten‘ aus Kiew, die ’unsere Denkmäler‘ stürzen und ’unsere | |
| Vergangenheit‘ stehlen. | |
| Die Lenin-Denkmäler verkörpern eben nicht mehr die Sowjetunion, sondern sie | |
| sind ein Ort und ein Symbol prorussischer Mobilisierung geworden – ’leere | |
| Zeichen‘, die keinen ideologischen Inhalt transportieren, sondern die | |
| lokale Identität als ’anti-Kiew‘ markieren.“ Zhurzhenko will den Osten | |
| allerdings nicht verloren geben, der Donbass sei just zu einem Boden | |
| geworden, „auf dem die ukrainische Unabhängigkeit, Demokratie und Zukunft | |
| verteidigt werden, und deshalb gehört er von nun an zur Ukraine“. | |
| 1 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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