| # taz.de -- Wissenschaftliche Zahlenspiele: Wenn die Statistik schief ist | |
| > Drei Wissenschaftler untersuchen auf windiger Statistik beruhende | |
| > Aussagen. Sie fragen, was zuerst da war: das statistische Material oder | |
| > die These? | |
| Bild: Jede These hat eine Statistik, die sie belegt? Drei Wissenschaftler engag… | |
| Auch Ausländerfeinde untermauern ihre Argumente gern mit Zahlen, zum | |
| Beispiel mit der polizeilichen Kriminalstatistik. Der zufolge ist in | |
| Städten mit einem hohen Ausländeranteil die Kriminalität nun mal höher. | |
| Diese Beweisführung verwechselt allerdings eine Korrelation – das heißt | |
| Gleichzeitigkeit – mit einer Kausalität. | |
| Denn Bevölkerungsgruppen mit hohem ausländischem Hintergrund wohnen meist | |
| in Großstädten. Dort werden ohnehin mehr Straftaten verübt als in kleinen | |
| Gemeinden. Viele Migranten haben auch viel Nachwuchs. In aller Welt aber | |
| ist die Kriminalität unter Menschen Anfang zwanzig sehr viel höher als | |
| unter älteren Erwachsenen. | |
| Last not least begehen Verbrechen in einem Gemeinwesen nicht nur dessen | |
| Bewohner, sondern auch Besucher, wie Touristen und Taschendiebe. Deshalb | |
| wäre der weltweit kriminellste Staat nach dieser Beweisführung der Vatikan. | |
| Im Jahre 2011 waren dort 492 BürgerInnen gemeldet, es gab aber immerhin 866 | |
| Zivil- und Strafverfahren. | |
| Viele solcher kurioser und bedenklicher Beispiele führt nun ein Buch über | |
| Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik auf, sein Titel: „Warum dick | |
| nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ (Campus-Verlag). Autoren sind | |
| Thomas Bauer, Professor für Empirische Wirtschaftsforschung in Bochum, der | |
| Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für | |
| Bildungsforschung in Berlin, und Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- | |
| und Sozialstatistik an der TU Dortmund. | |
| ## Prozentpunkte in Relation | |
| Sie hatten sich schon wiederholt am Rande von Konferenzen über unsinnige | |
| Statistiken mokiert, als sie sich vor zweieinhalb Jahren fragten: „Weshalb | |
| ziehen wir nicht regelmäßig vor einer dieser Desinformationen den | |
| Unschuldsschleier weg?“ Dies war die Geburtsstunde der „[1][Unstatistik des | |
| Monats]“ im Internet. | |
| Da geht es um Forschungsresultate der Pharmaindustrie, um | |
| Arbeitslosenzahlen, Armutsgrenzen, Zahlen zur Situation der Frau und immer | |
| wieder um Faktoren, die dumm und dick machen sollen. Dabei werden gern | |
| Prozentpunkte zueinander in Relation gesetzt, um beeindruckende Ergebnisse | |
| zu erzielen. | |
| Beispiel: In einem Test an über 3.500 älteren Spaniern mit hohem | |
| Infarktrisiko erkrankten im Laufe von vier Jahren 6,9 Prozent von einer | |
| Versuchsgruppe an Diabetes-Typ-2-Personen, welche pro Woche je einen Liter | |
| natives Olivenöl zu sich nahmen. In der ölarm ernährten Kontrollgruppe | |
| waren es 8,8 Prozent, also um 1,9 Prozentpunkte mehr. | |
| Doch die Initiatoren setzten die Anzahl der Prozentpunkte zueinander in | |
| Relation: 1,9 Prozentpunkte machen 21 Prozent von 8,8 Prozentpunkten aus – | |
| und mit ein paar Korrekturen im Hinblick auf Alter und Geschlecht kommt man | |
| so schnell auf 30 Prozent: eine sensationell wirkende relative | |
| Risikoreduktion durch die Öldiät. | |
| ## Rat gegen designte Studien | |
| So kann man nicht nur große Ängste erzeugen, sondern auch unrealistische | |
| Hoffnungen. Es ist das Verdienst der Verfasser, diesen und andere Tricks in | |
| ihrem Buch systematisch vorzustellen. Ihr wichtigster Rat: Fragen Sie sich | |
| bei jeder Untersuchung, was zuerst da war: das statistische Material oder | |
| die These? | |
| Bauer, Gigerenzer und Krämer übertreiben es selbst aber auch. Als | |
| statistisch nicht signifikant können sie Versuchsresultate des Franzosen | |
| Gilles-Éric Séralini entlarven, denen zufolge mit gentechnisch | |
| modifiziertem Mais gefütterte Ratten häufiger an Krebs starben. Um diese | |
| Ergebnisse aber einordnen zu können, wäre es nötig, sich auch einmal die | |
| Versuchsreihen der Gentech-Lobby und -Industrie anzuschauen. Dort werden | |
| ähnlich „designte“ Studien genutzt, um die Unbedenklichkeit der | |
| Gentech-Nahrung zu beweisen. | |
| 31 Oct 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Kerneck | |
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