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# taz.de -- Protest gegen Polizeigewalt in Frankreich: „Nicht vergeben!“
> Das Opfer als Held: Seit dem Tod eines jungen Demonstranten durch eine
> Polizeigranate reißen die gewaltsamen Proteste nicht ab.
Bild: Ausschreitungen in Nantes am Samstag.
PARIS taz | Nun ist es offiziell: Es war eine Polizeigranate, die vor einer
Woche den 21-jährigen Rémi Fraisse bei einer Demonstration gegen ein
Staudammprojekt bei Sivens in Südwestfrankreich getötet hat.
Weil die Ordnungskräfte und die Regierung demnach einen Toten auf dem
Gewissen haben, gehen seither jeden Tag in ganz Frankreich Menschen auf die
Straße. In zahlreichen Städten kam es dabei erneut zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen mit den für den Straßenkampf ausgerüsteten Einheiten
der Gendarmerie und Polizei.
Besonders heftig ging es am Samstag in Nantes und Toulouse zu, wo sieben
Menschen verletzt und vierzig Demonstranten festgenommen wurden. Diese
Vorfälle seien eine „Beleidigung des Gedenkens“ an Fraisse, meinte dazu
Premierminister Manuel Valls.
Für die Protestierenden kommt es dagegen nicht infrage, nach dem
„Staatsverbrechen“ von Sivens wieder zur Tagesordnung überzugehen. Tenor
der Facebook-Seite, auf der zu den militanten Gedenkaktionen aufgerufen
wird: „Kein Vergessen, kein Vergeben für (den Tod von) Rémi Fraisse“.
## Gesicht des Protests
Längst geht es nicht mehr nur um die Empörung über die „polizeiliche
Repression“, sondern auch darum, andere ähnlich „unnütze Projekte“ (wie…
Bewässerungsprojekt von Sivens) zu stoppen. Dieser radikale Flügel der
Umweltbewegungen betrachtet Rémi Fraisse als „Märtyrer“, der Kampf von
Sivens wird zum Symbol.
Wer hätte je vom umstrittenen Stausee im französischen Südwesten gehört,
wenn nicht bei einer Demonstration einer der Gegner von einer
Polizeigranate getötet worden wäre? Außer ein paar Naturschützern und der
Lobby des intensiven Maisanbaus interessierte sich kaum jemand für diesen
Streit in der abgelegen Provinz des Departements Tarn. Jetzt hat dieser
Widerstand gegen den Staudamm ein Gesicht und den Namen eines 21-jährigen
Botanikstudenten: Rémi Fraisse.
Auf dem Foto, das täglich diese Woche in der Tagesschau der französischen
Fernsehsender zu sehen war, sieht er mit seinen langen zur Hippiefrisur
gebundenen Locken und dem spärlichen Bart so friedlich aus, wie ihn seine
Freunde beschreiben. Er sei kein Hardliner gewesen, sagt auch seine
Freundin Anna vor Fernsehkameras. Dennoch befand sich der pazifistische
Botaniker in der Nacht zum Sonntag an vorderster Front. Was suchte er dort?
Er befand sich unter Aktivisten, die mit Helmen, Handschuhen und Schilden
ausgerüstet, mit Stöcken, Schleudern und Molotowcocktails bewaffnet waren
und zum Gegenangriff übergingen.
## Schulterschluss der Parteien
Der Tod des jungen Demonstranten hat Frankreich erschüttert. Aber auch die
Szenen, in denen Polizisten mit Brandsätzen, Säure und Pflastersteinen
beworfen werden, erschrecken das Fernsehpublikum. Jeden Tag kommen Bilder
von Gedenkmärschen dazu, die erneut im Tränengasnebel und zertrümmerten
Schaufenstern enden.
Aus genau diesem Grund stellt sich die rechte Opposition geschlossen hinter
den sozialistischen Innenminister Bernard Cazeneuve, der sich gegen den
Vorwurf verwahrt, das Vorgehen seiner Beamten sei unverhältnismäßig brutal
gewesen.
Die Eskalation um den Preis eines Menschenlebens polarisiert die Debatte in
Pro und Kontra. Rémis Freunde versichern, der Tod dieses jungen
Demonstranten sei nicht nutzlos gewesen, weil er ein Schlaglicht auf den
Skandal staatlicher Gewalt wirft. Allein die Idee eines solchen
„nützlichen“ Heldentodes schockiert ebenfalls. Braucht der ökologische
Widerstand gegen die rücksichtslosen Überbauungen und die
Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion solche „Märtyrer“,
nur um sich Gehör zu verschaffen und die Risiken mit den lebensgefährlichen
Waffen im Polizeiarsenal anzuprangern?
Staatspräsident François Hollande und sein Premier, Valls, waschen ihre
Hände in Unschuld. Sie laden so Mitverantwortung auf sich, weil sie es dem
zuständigen Innenminister überlassen, zu rechtfertigen, was so von einer
„Linksregierung“ moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Hollande, Valls und
Cazeneuve können nur die Kluft zwischen der Staatsführung und der
Umweltbewegung vertiefen. Das Staudammprojekt von Sivens ist ohnehin mit
Rémi Fraisse an den Ufern des Tescou gestorben.
2 Nov 2014
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Umweltschutz
Schwerpunkt Frankreich
„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Staudamm
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