# taz.de -- Großprojekt in Frankreich: Staudamm-Bau wird überprüft | |
> Vorerst werden die Arbeiten am Großprojekt auf Eis gelegt. Das Projekt | |
> soll „verbessert“ werden. Nun mischt sich auch noch Expräsident Sarkozy | |
> ins Geschehen ein. | |
Bild: Rémi Fraisse starb ganz in der Nähe: Protestcamp am Staudamm-Projekt Si… | |
ALBI/PARIS afp | Nach dem Tod eines jungen Demonstranten bei den Protesten | |
gegen einen Staudamm in Südfrankreich wird das Großprojekt vermutlich | |
vorerst auf Eis gelegt. Der sozialistische Generalrat des südfranzösischen | |
Départements Tarn, Thierry Carcenac, kündigte am Mittwoch an, er | |
beabsichtige, die Arbeiten an dem Staudamm von Sivens vorläufig | |
„auszusetzen“. Der Demonstrant, der 21-jährige Rémi Fraisse, war am | |
vergangenen Wochenende bei den Protesten vermutlich durch eine | |
Polizeigranate getötet worden. | |
Wie Carcenac der Zeitung La Dépêche du Midi sagte, soll das Projekt nicht | |
auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Es gehe darum, eine | |
Bestandsaufnahme vorzunehmen. Das Projekt solle nicht ganz aufgegeben, | |
sondern „verbessert“ werden. Experten hatten das Projekt zuvor als | |
überdimensioniert und zu teuer kritisiert. Die sozialistische | |
Umweltministerin Ségolène Royal kündigte für nächsten Dienstag ein Treffen | |
mit allen Beteiligten an, insbesondere den Abgeordneten. Der Staudamm soll | |
der Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen dienen. Nach Ansicht der | |
Kritiker profitieren davon nur Großbetriebe. | |
Der Tod des jungen Demonstranten hatte nicht nur Wut und Entsetzen bei den | |
Kritikern des Staudamm-Projekts ausgelöst, darunter auch die Grünen und die | |
Linkspartei. Er führte auch zu einer heftigen innenpolitischen | |
Auseinandersetzung, in die sich am Dienstag der konservative Ex-Präsident | |
Nicolas Sarkozy einschaltete. | |
Bei einem Auftritt in Marseille sagte Sarkozy, seine Zeit als Staatschef | |
und Innenminister sei „ohne Gewalt, ohne Drama“ verlaufen. Daraufhin | |
erinnerte Regierungssprecher Stéphane Le Foll am Mittwoch an die „Affäre | |
von Clichy“. In dem Vorort von Paris waren im Oktober 2005 zwei junge Leute | |
auf der Flucht vor der Polizei ums Leben gekommen. | |
## Wiederholt Ausschreitungen bei Protesten | |
An der Baustelle, wo im Dreieck zwischen den Städten Toulouse, Montauban | |
und Albi der 304 Meter lange Sivens-Staudamm entstehen soll, hatten sich in | |
der Nacht auf Sonntag wahre Schlachtszenen abgespielt. Militante | |
Staudammgegner bewarfen die Einsatzkräfte mit Molotow-Cocktails und | |
Steinen, die Beamten setzten Tränengas und mindestens eine Schockgranate | |
ein. Und die war vermutlich tödlich: Am Ort der Zusammenstöße blieb der | |
leblose Körper des 21-jährigen Rémi Fraisse zurück. | |
Der junge Student aus Toulouse war durch eine heftige Explosion zu Boden | |
gerissen und schwer am Rücken verletzt worden. An der Kleidung des jungen | |
Mannes fanden die Ermittler Spuren des Sprengstoffes TNT – wie er in | |
Schockgranaten der Polizei verwendet wird, mit denen gewaltbereite | |
Demonstranten auseinandergetrieben werden sollen. Es gibt kaum mehr | |
Zweifel: Fraisse ist der erste Demonstrant in Frankreich seit fast 30 | |
Jahren, der durch den Einsatz der Polizei ums Leben kam. | |
Seit dem tödlichen Vorfall gab es wiederholt Ausschreitungen bei | |
Protestmärschen. Fraisses Tod hat aber auch im politischen Paris schwere | |
Erschütterungen provoziert. Die frühere grüne Wohnungsbauministerin Cécile | |
Duflot sprach von einem „absoluten Skandal“ und „unauslöschlichen | |
Schandfleck“ für die sozialistische Regierung. Der Abgeordnete Noël Mamère, | |
ein früheres Grünen-Mitglied, forderte Innenminister Cazeneuve unumwunden | |
zum Rücktritt auf, später tat dies auch die Linksfront aus Linkspartei und | |
Kommunisten. | |
## Innenminister lehnt Rücktritt ab | |
Von einem Rücktritt will Cazeneuve aber nichts wissen. „Ich habe keinerlei | |
Absicht zu gehen“, sagte der Sozialist am Mittwoch im Sender Europe 1. Er | |
wolle als verantwortlicher Minister vielmehr die Ereignisse vom Wochenende | |
und „alle Verantwortlichkeiten in der Befehlskette“ aufklären. Als erste | |
Reaktion verbot er vorläufig den Einsatz der umstrittenen Schockgranaten | |
durch die Polizei – auch wenn er betonte, solche Waffen würden „schon seit | |
Jahrzehnten zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzt“ und hätten „noch | |
nie getötet“. | |
Staatschef François Hollande und seine Regierung hatten offenbar die | |
Sprengkraft unterschätzt, die der Tod des jungen Demonstranten haben würde. | |
Erst am Dienstag - zwei Tage nach Bekanntwerden des tödlichen Vorfalls - | |
traten Hollande und sein Premier Manuel Valls vor die Kameras, um den | |
Angehörigen des Studenten öffentlich ihr Beileid auszusprechen und eine | |
rasche Aufklärung zu versprechen. | |
Die Ermittlungen zum Tod von Rémi Fraisse wurden an die Staatsanwaltschaft | |
von Toulouse übergeben. Ein Sprecher der nationalen Gendarmerie, die für | |
das Zünden der tödlichen Granate verantwortlich gemacht wird, sprach am | |
Mittwoch im Sender France Inter von einer „unglücklichen Verkettung von | |
Umständen“, von „einem Unfall“. Die Justiz versucht zu ermitteln, welcher | |
Beamte die Polizeigranate warf. | |
29 Oct 2014 | |
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