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# taz.de -- Filmstart „Nightcrawler“: Dienstleister des Bodensatz-TV
> Jake Gyllenhaal spielt in „Nightcrawler“ einen soziopathischen Aasfresser
> des Spätkapitalismus, der den Medien Bilder von Unfalltoten liefert.
Bild: Lou (Jake Gyllenhaal) hat eine mediale Persönlichkeitsstörung.
„Nightcrawler“, das klingt nach einem wirbellosen Tier am unteren Ende der
Nahrungskette. Eine Spezies, die sich von dem ernährt, was höher
entwickelte Arten für die Schmarotzer im Ökosystem übrig lassen. Die
Assoziationen sind wenig schmeichelhaft. Lou Bloom ist so ein bottom
feeder, ein Aasfresser des Spätkapitalismus. Lou lebt buchstäblich vom
Überschuss der Konsumgesellschaft, sein Jagdrevier ist die Großstadt.
Nachts treibt er sich auf Gewerbehöfen und Schrottplätzen herum, er klaut
Metallschrott und verhökert seine Beute zum Materialwert.
Dass etwas mit Lou nicht stimmt, darauf lässt schon sein äußeres
Erscheinungsbild schließen: taxierende Augen liegen eingefallen in den
Höhlen, die Wangenknochen stechen hervor und seine Körpersprache strahlt
eine alerte Unruhe aus. Wenn er den Mund aufmacht, spricht aus ihm keine
Lebenserfahrung, er redet in einer blumigen Kunstsprache aus auswendig
gelernten Ratgeberfloskeln, Selbstoptimierungsjargon und
Motivationsrhetorik. Eigenschaftslosigkeit ist Lous markantester
Charakterzug: Was ihn antreibt, ist eine volatile Mischung aus Instinkt und
Ambition.
Dan Gilroys Regiedebüt „Nightcrawler“ legt es allzu offensichtlich darauf
an, Lou Bloom als exemplarischen Vertreter seiner Zeit vorzuführen. Wobei
der Film die an sich interessante Frage nach Ursache und Wirkung, also dem
Unterschied zwischen Krankheit und Symptom, vorsichtshalber meidet. Jake
Gyllenhaals kühle, sich komplett selbst entfremdete Performance muss als
Beweis genügen – eine Tautologie, die auszuschmücken Gilroy unheimlich viel
Aufmerksamkeit einräumt.
## Ein neoliberaler Selfmade-Entrepreneur
Moralische Erwägungen spielen bei Lous Entscheidungen eine untergeordnete
Rolle. Er ist ein neoliberaler Selfmade-Entrepreneur, Selbstbestätigung
findet er in seiner Arbeit. Was er macht, ist dabei eigentlich ziemlich
egal, solange es dem Paradigma der Persönlichkeitsentwicklung dient.
Sein Erweckungserlebnis ist ein nächtlicher Autounfall, wo er eine
Nachrichten-Crew bei der Arbeit beobachtet. Sie filmen den Unfallort und
die Opfer für die Morgennachrichten, Aasfresser-Journalismus. Und Lou
entdeckt ein Interesse, wozu seine soziopathische Persönlichkeitsstruktur
ihn womöglich befähigt. Also besorgt er sich einen Camcorder und einen
Polizeiscanner und beginnt nachts in seinem Wagen durch die Straßen von Los
Angeles zu streifen, auf der Suche nach spektakulären Unfällen und
Gewaltverbrechen.
Mit solchen Schreckensbildern erzielen die lokalen Morgennachrichten ihre
Quote, und Lou versorgt eine besonders verzweifelte Produzentin, deren
Karriere beim Sender in der undankbaren Frühschicht in einer Warteschleife
kreist, mit frischem Material. Nina, gespielt von Rene Russo, imponiert die
Skrupellosigkeit, mit der Lou auf die blutigen Tatsachen hält, wo seine
nicht minder zimperlichen Kollegen diskret Abstand nehmen.
## Kaputt-libidinöse Symbiose
Die beiden bilden eine kaputt-libidinöse Symbiose im Bodensatz des
Fernsehjournalismus. Das Affektbild, auf das „Nightcrawler“ dabei
hinausläuft, beschreibt Nina einmal mit einleuchtender Plastizität: „Eine
schreiende Frau, die mit durchgeschnittener Kehle die Straße
hinunterrennt.“
„Nightcrawler“ ist bei aller Ernsthaftigkeit, mit der Gilroy seine
Medienkritik durchexerziert, aber auch ein schöner Anachronismus. Nicht
zufällig erinnert Gyllenhaal, wenn er die Verletzten an einer Unfallstelle
für eine bessere Bildkomposition arrangiert, an die Eröffnungssequenz von
Haskell Wexlers semi-dokumentarischer Marshall McLuhan-Kolportage „Medium
Cool“ von 1968: Ein Kamerateam, darunter der großartige Robert Forster,
filmt ein Autowrack, ohne die schwerverletzte Frau am Boden zu beachten.
„Nightcrawler“ nimmt also eine Form von Mediensatire auf, der spätestens
seit Sidney Lumets „Network“ kaum noch etwas hinzuzufügen ist. Gilroy
allerdings akzentuiert seinen zeitgeistigen Pessimismus, indem er die
Inszenierung an der hermetischen Logik seines Protagonisten ausrichtet.
## Für moralische Standpunkte kein Raum
In seiner neongesättigten Noir-Ästhetik erinnert „Nightcrawler“ über wei…
Strecken – und durchaus beabsichtigt – an die Männerfilme eines Michael
Mann („Heat“) oder William Friedkin („Leben und Sterben in LA“), deren
Pragmatik einem bedingungslosen Ethos der Arbeit unterworfen ist. Lous
Subjektivität informiert die Bilder soweit, dass für moralische Standpunkte
kein Raum bleibt. Sein Sidekick Rick (Riz Ahmed), den er in einer Art
Mentorenrolle unter seine Fittiche nimmt, bleibt zu blass, um Lous
dominantem und latent gewaltbereiten Charakter etwas entgegenzusetzen.
Auch die sendereigene Juristin wird von Nina als Witzfigur vorgeführt. Auf
diesen Witz aber, das ist der Clou, legt Gilroy es nicht eine Sekunde lang
an. Für eine Satire unterspielt „Nightcrawler“ jeden Anflug von Komik mit
bewundernswerter Konsequenz. Gilroys Film ist humorlos wie die funktionale
Sprache Lous.
Als Mediensatire ist „Nightcrawler“ dabei nicht viel weiter als etwa
„Anchorman 2“, in dem Will Ferrell als „Idiot savant“ die Ära des
Krawalljournalismus quasi im Alleingang begründet. Gilroy entwirft in
seinem grotesk heiß- und gleichzeitig leerlaufenden Irrsinn aber immer
wieder fantastische psychogrammatische Kippbilder: Bei einem Besuch im
Fernsehstudio genießt Lou seinen stillen Triumphmoment vor der Kamera, wenn
er sich vor das Kulissenbild vom nächtlichen Los Angeles setzt („Es sieht
so echt aus.“) und sich auf einem Monitor selbst im Fernsehen betrachtet.
Ein schönes Bild für eine mediale Persönlichkeitsstörung.
12 Nov 2014
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Film
Medienkritik
Hamas
Edward Snowden
Schwerpunkt Überwachung
Fatih Akin
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