# taz.de -- Kinderbuch „Paddington“ verfilmt: Der Migrant im Bärenpelz | |
> Patchwork funktioniert gattungsübergreifend: In der Kinderbuchverfilmung | |
> „Paddington“ wird ein Fremder zum Freund – trotz anfänglicher Vorbehal… | |
Bild: Paddington (links) und sein deutscher Sprecher Elyas M'Barek. | |
Er habe, sagte sein Erfinder Michael Bond, nie die Nachrichtenbilder von | |
Zügen voller Kinder vergessen können, die während des Krieges aus London | |
evakuiert wurden, mit einem Koffer in der Hand und einem Zettel um den | |
Hals. Das Pelztier trägt ein solches Schild um seinen haarigen Nacken, als | |
Familie Brown ihn „an einem heißen Sommertag hinter den Postsäcken“ am | |
Bahnhof Paddington entdeckt. „Bitte kümmert euch um diesen Bären. Danke | |
schön“, steht darauf. | |
Der nach seinem Fundort benannte Findelbär Paddington, dessen Story jetzt | |
erstmals als Mischung aus Spiel- und Realfilm von Paul King für das | |
Familienkino adaptiert wurde, ist damit ganz offiziell seit 1958 (als das | |
erste Buch herauskam) ein Flüchtling, der in eine Privatunterkunft | |
einziehen darf. Denn die Browns nehmen ihn – trotz anfänglicher großer | |
Vorbehalte von Mr Brown und seiner Tochter – tatsächlich mit in ihr | |
bürgerlich-zweistöckiges Heim am Windsor Park 32. | |
Dort lebt neben Mr und Mrs Brown (Sally Hawkins) und den Kindern Judy und | |
Jonathan noch die grummelige, aber gutmütige Haushälterin Mrs Bird. Und sie | |
alle, sogar Mr Brown, dem Hugh Bonnville sein bestes zerknautschtes | |
Zitronengesicht verleiht, sind am Ende absoluter Fan des Bären: Paddingtons | |
Geschichte ist die des Fremden, der zum Freund wird. „Er gehört zur | |
Familie“, sagen die Browns, als sie Paddington im Showdown vor einer bösen | |
Tierpräparatorin (Nicole Kidman in politisch unkorrektem Animal Print) | |
retten wollen. Patchwork funktioniert eben gattungsübergreifend. | |
Am Anfang der Geschichte, so will es Drehbuchautor und Regisseur King, | |
stand bereits eine höchst ungewöhnliche Annäherung: Anstatt ein Exemplar | |
des seltenen peruanischen Meister Petz zwecks Ausstopfen mit nach Hause zu | |
bringen, freundet sich in einem hübschen, schwarz-weißen filmischen Prolog | |
ein Mitglied der altehrwürdigen britischen „Geografen-Gilde“ mit einem | |
Bärenpärchen an. | |
## Immer Marmelade kochen | |
Die Bären retten dem Forscher im Dschungel das Leben, der Forscher macht | |
die Bären mit Bitterorangenmarmelade bekannt, man lernt die Sprache des | |
anderen, am Ende lädt der Mensch die höflichen Tiere ein, ihn unbedingt in | |
London zu besuchen, falls sie mal vorbeikämen. Tante Lucy und Onkel Pastuzo | |
jedoch, wie das immer so ist, kommen vor lauter Marmeladekochen und | |
Aufzucht ihres kleinen Neffen einfach nicht dazu. Als ein Erdbeben den | |
Onkel das Leben kostet, entschließt sich die Tante, ins Bärenaltersheim | |
nach Lima zu gehen und den Neffen endlich nach London zu schicken. | |
Diese hieb- und stichfeste Backstory, die King dem – in der Buchversion – | |
recht kindlichen und im Präsens agierenden Tier mitgegeben hat, ist später | |
im Film die Basis für ein paar zarte Backpfeifen in Richtung britische | |
Gesellschaft. Etwa wenn die fiese Tierpräparatorin Millicent sich als | |
traumatisierte Tochter des Forschers herausstellt, die nie verwunden hat, | |
dass ihr Vater einst aus der Gilde ausgeschlossen wurde, weil er zu nett | |
zum Bären war: „Mitglieder der Geografen-Gilde, wendet euch von ihm ab!“, | |
empört sich der weißhaarige Leiter der Wissenschaftler, als Millicents | |
Vater mit leeren Händen vor den ehrwürdigen Gentlemen steht, gesäumt – | |
natürlich – von Bar-Globussen. | |
Auch der Wandel vom jugendlichen Hallodri zum übervorsichtigen Erwachsenen | |
ist King eine Szene wert: Hochschwanger fuhren Mr und Mrs Brown einst mit | |
der Harley vor dem Krankenhaus vor, versprachen sich großspurig, dass sich | |
nichts ändern wird, wenn das Kind erst mal da sei. | |
Kurz darauf kommt Mr Brown mit einem Körbchen in der Hand aus der Tür, und | |
herrscht die Passanten an: Vorsicht, hier ist ein Baby! Gehen Sie mit den | |
Blumen weg, hier ist ein Baby! Bevor er es behutsam wie ein Dutzend rohe | |
Eier auf dem Kindersitz eines Volvo „in beruhigendem Beige“ festschnallt, | |
gegen den er die Harley vorsorglich eingetauscht hat. | |
## Ein Bär, der alles kaputtkriegt | |
Und so steppt der ein Meter hohe Bär in Kings amüsantem, schnellen und | |
scharfsinnigem Film wie angestochen zu von Hutträgern gespielter | |
Calypsomusik und sieht dank Computeranimation echt und dennoch nicht zu | |
niedlich aus, ganz im Sinne der ersten Illustratorin Peggy Fortnum. Er | |
kriegt – „I’m that kind of bear!“ – alles kaputt, was kaputtzumachen … | |
vollführt dennoch ständig Heldentaten und bringt die durch Pubertät, | |
Alltagstrott und Ignoranz auseinanderdriftende Familie Brown wieder näher | |
zusammen. | |
Er ist eine Mischung aus Mary Poppins (die ebenfalls mehr die Eltern als | |
die Kinder erzieht) und dem von Hans und Margret Rey Anfang der 40er | |
ersonnenen Äffchen „Curious George“ (das jede Situation aus Versehen in | |
Chaos verwandelt, von seinem Besitzer dennoch vorbehaltlos geliebt wird). | |
Paddington, der vielleicht nicht auf der Flucht vor einem Bürgerkrieg, aber | |
dennoch auf Hilfe und Mitgefühl anderer Wesen angewiesen war, kann sich | |
freuen: Seitdem der Bär los ist, hat eine leidlich versnobte Londoner | |
Familie endlich verstanden, wo der Hund begraben liegt. | |
4 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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