# taz.de -- Animationsfilm: Von Ratten und Menschen | |
> Wenn Ratten in der Küche erwünscht sind: In Brad Birds Animationsfilm | |
> "Ratatouille" aus dem Hause Pixar schwingt ein Nager den Kochlöffel. | |
Bild: Hobbykoch und bekennender Menschenfreund: Ratte Remy. | |
Ein Mensch als Marionette. Die Ratte Remy, begabt mit einem subtilen | |
Geruchssinn und beseelt vom Wunsch zu kochen, sitzt auf dem Kopf des | |
schlaksigen Küchengehilfen Linguini. Verborgen durch dessen Haube bringt | |
sie ihm durch das Ziehen an Haarsträhnen das Kochen bei. Nicht einfach so, | |
sondern damit er sich im Trubel eines Spitzenrestaurants behaupten kann. | |
Der neue Pixar-Film erzählt eine unmögliche Geschichte: Ein Versager wird | |
zum Restaurantchef. Und eine Ratte wird gefeierter Sterne-Koch - obwohl ihr | |
der Vater ständig in Schaufenstern ausgestellte Rattenkadaver in Fallen | |
präsentiert, um sie von dem Vorhaben abzubringen. Denn: Ratten und | |
Menschen, das geht nicht zusammen. Und Nager in der Küche gehen schon gar | |
nicht. Remy erhält seine Chance, als er Linguini hilft, eine ruinierte | |
Suppe in eine Geschmacksexplosion zu verwandeln. Im Gegenzug ertränkt | |
Linguini ihn nicht. Von nun an arbeiten die beiden gemeinsam in der Küche. | |
So viel Körperkomik wie in "Ratatouille" gab es seit der Stummfilmzeit | |
nicht mehr zu sehen. Nicht nur beim rasanten Slapstick verschlägt einem die | |
Animation immer wieder den Atem. Zum ersten Mal gelingt dem Trickfilm auch | |
ein flirrend herbstliches Abendlicht, das den Schauplatz Paris vergoldet. | |
Mindestens genauso eindrücklich, wenn auch nicht so überwältigend, ist das | |
Figurendesign. Ohne jede Anleihe an den erfolgreichsten Nager der Welt, | |
Mickymaus, gelingt es dem Team, die Ratten als niedliche Wesen zu zeichnen. | |
Zugleich aber gibt es auch immer wieder Schattenrisse mit rot | |
aufleuchtenden Augen, die die klischeehafte Bedrohung heraufbeschwören. | |
Man merkt, dass Regisseur Brad Bird noch bei den "nine old men" gelernt | |
hat, jenen Männern, die über Jahrzehnte bei Disney an der Verfeinerung der | |
Animation gearbeitet haben. Deren Credo lautete: "Everything has to be | |
motivated." Auf der Darstellungsebene heißt das: eine Logik der Bewegung | |
festzulegen, die nicht realistisch, aber in sich stimmig sein muss. Im | |
konkreten Fall bedeutet das: Durch Detailversessenheit bekommt gute | |
Animation es hin, dass eine Ratte Suppe kocht, obwohl der Topf sie | |
überragt. Jede Handlung wird in "Ratatouille" sinnfällig aufgebaut, kein | |
Schnitt kürzt hier unzulässig ab. | |
Motivation heißt aber auch: klare Dramaturgie. Erst entfremdet sich Remy | |
von seinen Artgenossen, dann von den Menschen. Zu wem gehört er wirklich? | |
Als alles verloren scheint, steht seine Familie ihm bei, das Unmögliche zu | |
versuchen: den verhärmten Großkritiker Ego durch ein Essen zu verzaubern. | |
Remy kocht etwas scheinbar Banales, eine Ratatouille. Der Geschmack | |
erinnert den Kritiker an seine Kindheit. So wird ein Essen zum | |
Herzensbrecher. | |
Geschmack inszeniert dieser Film immer wieder mit Farbkaskaden. Das | |
funktioniert anschaulich und ist eine Verbeugung vor dem synästhetischen | |
"Fantasia" von 1940 - ebenso wie die Marionettenszene eine Hommage an | |
Disneys "Pinocchio" darstellt. Das Wunderbare an diesen Verweisen ist, dass | |
der Film auch ohne Hintergrundwissen funktioniert. Anspielungen müssen | |
nicht als Gags herhalten, mit denen etwa die "Shrek"-Trilogie überfrachtet | |
ist. | |
Noch etwas anderes scheint sich anzukündigen. Durch einige klassisch | |
gezeichnete Sequenzen gibt es Hoffnung, dass bald wieder ein abendfüllender | |
Zeichentrickfilm von Disney herauskommen wird, während es vor kurzem noch | |
hieß, man wolle nur noch computergenerierte 3D-Filme herstellen. Pixar-Kopf | |
John Lasseter, seit neuestem auch Chef der Disney-Animation, lässt | |
angeblich schon wieder Kurzfilme zeichnen. | |
Und "Ratatouille" weist noch einen Unterschied zu seinen Vorläufern auf: | |
Dieser Film ist kein Kinderfilm. Spitzenrestaurants, Gastronomiekritiker, | |
Haute Cuisine, Testamentsverfügungen: Die Eckpfeiler dieser Story sagen | |
Kindern kaum etwas. Zugegeben, die Rasanz des Slapsticks verlangsamt sich | |
manchmal durch diesen Kontext - der Unterhaltungfaktor stimmt, aber | |
Anteilnahme wird oft unmöglich. Das spricht nicht gegen die Originalidee | |
von Jan Pinkawa, der am Anfang auch für die Regie vorgesehen war. Mit | |
"Ratatouille" schlägt Pixar einen Weg ein, den japanische Studios, vor | |
allem Ghibli, vorgemacht haben: Animation für Jugendliche und Erwachsene, | |
wie es etwa Isao Takahata in seinem bitteren Kriegsdrama "Die letzten | |
Glühwürmchen" vorgemacht hat. | |
So dunkel wie die Japaner aber ist "Ratatouille" nicht. Denn bekanntlich | |
mögen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene ein Happy End. Der Schluss | |
von "Ratatouille" ist märchenhaft. In diesem Fall meint das ausnahmsweise | |
ein Lob. | |
"Ratatouille". Regie: Brad Bird. Animationsfilm, USA 2007, 111 Min. | |
2 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Martin Zeyn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Kinderbuch | |
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