# taz.de -- Justiz in Ägypten: Zwei Tote zum Tode verurteilt | |
> Beim Überfall auf eine Polizeistation nahe Kairo wurden elf Beamte | |
> getötet. Gegen 188 Personen wurde deshalb in einem Prozess die | |
> Todesstrafe verhängt. | |
Bild: Festnahme eines Verdächtigen in Kerdassa am 19. September. | |
KAIRO taz | Ein ägyptischer Richter hat erneut in einem Massenprozess 188 | |
Menschen zu Tode verurteilt. Die Fälle werden nun an den Mufti | |
weitergeleitet, der die Urteile überprüfen soll. Für den 24. Januar wird | |
dann ein endgültiges Urteil erwartet. | |
Die Verurteilten waren angeklagt, an einen Angriff auf eine Polizeistation | |
in dem Ort Kerdassa westlich von Kairo beteiligt gewesen zu sein, bei dem | |
im August 2013 elf Polizisten ums Leben kamen. Der Sturm auf die Wache fand | |
am gleichen Tag statt, an dem Sicherheitskräfte in Kairo zwei von den | |
Muslimbrüdern organisierte Protestlager gewaltsam auflösten. Nach | |
offiziellen Angaben kamen dabei über 600 Menschen ums Leben, inoffizielle | |
Schätzungen sprechen von über 1.000. | |
Nach der Auflösung der Protestlager kam es zu zahlreichen Übergriffen auf | |
Polizeistationen. Der Sturm auf die Wache in Kerdassa war der brutalste. | |
Die Verurteilten, mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft, waren | |
angeklagt, mit Gewehren, Panzerfäusten und Molotow Cocktails die Wache | |
gestürmt zu haben, dort Waffen gestohlen und die verstümmelten Körper der | |
Polizisten auf der Straße zur Schau gestellt zu haben. Von letzterem finden | |
sich brutale Szenen als Handyvideos vielfach im Internet. | |
Einwohner Kerdassas hatten damals der ägyptischen Zeitung El-Badil | |
berichtet, dass die Polizei in den Wochen zuvor zwölf junge Demonstranten | |
aus dem Ort und den umliegenden Dörfern getötet habe. Als sich eine Gruppe | |
vor der Wache versammelt habe, um die Polizei aufzufordern, abzuziehen, sei | |
sie von der Polizei beschossen worden. Andere Einwohner berichteten, dass | |
eine bewaffnete Gruppe von Unbekannten den Angriff auf die Wache geführt | |
habe, gaben aber zu, dass diese von einigen Einwohnern Kerdassas | |
unterstützt wurden. Zur Aufklärung hat der Prozeß nur wenig beigetragen. | |
Von den 188 jetzt Verurteilten standen nur 135 vor Gericht gestanden, der | |
Rest wurde in Abwesenheit verurteilt. Einer der Verteidiger, Bahaa | |
Abdel-Rahman, erklärte gegenüber der Presse, dass nur 46 der Verurteilten | |
angehört wurden. Zwei von ihnen seien im Laufe des Prozesses gestorben und | |
stünden trotzdem auf der Liste der Verurteilten. Einer, so Abdel Rahman, | |
sei minderjährig und könne nach ägyptischem Recht nicht zu Tode verurteilt | |
werden. Auch Ahmed Mekki, ehemaliger ägyptischer Justizminister, | |
kritisierte dass das Urteil nichts mit Gerechtigkeit zu tun habe. | |
Derjenige, der dieses Urteil gefällt hat, ist ein Totengräber“, erklärte | |
er. | |
## Kritik am Verfahren | |
Das Massentodesurteil vom Dienstagabend stießt auch bei | |
Menschenrechtsgruppen auf heftige Kritik. „Es sind während des Angriffes in | |
Kerdassa eindeutig schwere Verbrechen begangen worden, aber diejenigen, die | |
dafür verantwortlich gemacht werden, sollten einen fairen Prozess | |
erhalten,“ erklärte die Vorsitzende von Human Rights Watch, Sarah Leah | |
Whitson, „aber solche Massenprozesse sind unfair und in einem Verfahren, | |
das ganz offensichtlich ungerecht ist, sollte niemand an den Galgen | |
geschickt werden,“ fügte sie hinzu. | |
Der dem Prozess vorsitzende Richter, Nagi Schehata, der stets seine | |
Verhandlungen stets mit Sonnenbrille führt, erfreut sich einer traurigen | |
Berühmtheit in Ägypten. Im Juni hatte er drei Journalisten des | |
englischsprachigen Fernsehsenders Al-Jazeera International in einem Prozess | |
mit fast komödienhaften Zügen zu sieben bis zehn Jahren Gefängnis | |
verurteilt, weil sie angeblich die Muslimbruderschaft unterstützt haben. | |
## Todesurteile bislang nicht vollstreckt | |
In einem anderen Fall, bei dem es um einen Protest säkularer Aktivisten | |
gegen das restriktive Demonstrationsrecht ging, ließ Schehata fünf | |
Verteidiger, darunter die prominente Menschenrechtsanwältin Ragia Omran und | |
den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Khaled Ali, wegen | |
Respektlosigkeit gegenüber dem Gericht der Staatsanwaltschaft überstellen. | |
Der Anwaltsverband warf Schehata in einer Erklärung daraufhin vor, das | |
Verteidigerteam „terrorisiert“ zu haben. | |
Die ägyptische Justiz steht bereits mit anderen Massentodesurteilen vom | |
Sommer dieses Jahres in der Kritik. Ein Richter hatte im März in zwei | |
Schnellverfahren, von denen eines nicht länger dauerte als länger als eine | |
Stunde, mehr als 1.200 Menschen zu Tode verurteilt. Nach der Überprüfung | |
durch den Mufti wurden 200 der Todesurteile aufrechterhalten. Keines der | |
Urteile wurde bislang vollstreckt. Die anderen Urteile wurden in | |
lebenslängliche Haft verwandelt. | |
3 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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