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# taz.de -- Roma-Aktionsplan: „Tropfen auf den heißen Stein“
> Aus den zentralen Anliegen des Roma-Aktionsplans ist bis heute nichts
> geworden. Dennoch habe man einiges erreicht, sagt die
> Integrationsbeauftragte Monika Lüke.
Bild: In der ehemaligen Eisfabrik lebten bis vor einem Jahr viele Wanderarbeite…
taz: Frau Lüke, vor fast eineinhalb Jahren verabschiedete der Senat den
Roma-Aktionsplan zur Verbesserung der Situation hier lebender Roma …
Monika Lüke: Nicht nur. Es geht um alle EU-Bürgerinnen und -bürger, die in
einer ähnlich schwierigen Situation sind. Es geht um Menschen, die
hierherkommen und keine Wohnung haben; um Familien mit Kindern, die zur
Schule gehen müssen; es geht um Schwangere, die ihr Kind gebären müssen.
Aber es heißt Roma-Aktionsplan.
Ja, der Titel weist auf den Anlass für den Plan hin, Roma-Familien
einzubeziehen, weil sie zu den größten Einwanderergruppen nach Berlin
zählen – ganz sicher weiß man das nicht, weil die ethnische Zugehörigkeit
nicht behördlich erfasst wird. Der zweite Grund für den Namen ist, dass vom
öffentlich sichtbarsten Problem, der Obdachlosigkeit und dem Leben in
Parks, tatsächlich vor allem Roma-Familien betroffen sind.
Ein wichtiges Element des Plans war ja ein Wohnheim für obdachlose
Familien. Davon sind Sie inzwischen abgerückt. Warum?
Das drängendste Problem – nicht nur für Roma, auch nicht nur für Migranten
– ist und bleibt die Wohnungsnot. Es gibt einfach zu wenige Wohnungen für
Menschen, die kein Geld haben. Roma-Familien leben zeitweise auch in
Schrottimmobilien, in Lauben oder Autos in Berlin. Deswegen wollten wir ein
Wohnheim für obdachlose Familien einrichten, so etwas gibt es in ganz
Berlin nicht. Wir hatten auch eine Immobilie gefunden. Aber im April 2013
ist das Ganze am Widerstand des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf
gescheitert.
Stattdessen soll es jetzt bis zu zehn Wohnungen geben.
Ja, wir haben uns dann überlegt – was ich auch für die
integrationspolitisch bessere Lösung halte –, dass wir Wohnungen an
mehreren Orten innerhalb des S-Bahn-Rings suchen. Dort können Familien für
ganz kurze Zeit wohnen, bis alle rechtlichen Ansprüche und Möglichkeiten
geklärt sind. Bislang gibt es drei Wohnungen, in absehbarer Zeit werden es
aber mehr sein. Wir lassen da Tropfen auf den heißen Stein fallen. Aber wir
wollen modellhaft zeigen, wie es gehen sollte. Für eine größere Lösung
müssten die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die Sozialverwaltung, die
Stadtentwicklungsverwaltung und die Bezirke ran.
In den Wohnungen sollen die Menschen nur einen Monat bleiben dürfen. In
dieser Zeit hat aber weder das Jobcenter entschieden, ob man
Sozialleistungen bekommt, noch findet man so schnell eine Wohnung.
Doch, man findet unter Umständen schon etwas. Grundsätzlich geht es darum,
die Zeit zu begrenzen, bevor die Familien in reguläre Wohnungen kommen. Es
soll ganz bewusst nur eine vorübergehende kurze Lösung sein. Aber natürlich
wird keiner die Familie rauswerfen, wenn es nichts anderes gibt. Doch die
Notwohnung kann keine Dauerlösung sein.
Kann man nicht auf die Jobcenter einwirken, dass sie schneller und
wohlwollender über die Anträge entscheiden?
Das müssten die Bezirke tun. Wir versuchen auch in diese Richtung zu wirken
über die Regionaldirektion der Arbeitsagentur. Aber die Jobcenter haben
auch eine gewisse Autonomie – und sehr viel zu tun. Aber wir sind da dran:
auf politischer Ebene und konkret durch Beratung und Begleitung der
Familien zum Jobcenter über von uns beauftragte Träger.
Was hat sich konkret verbessert durch den Roma-Aktionsplan?
Einiges. Beim Thema Wohnen haben wir neben den erwähnten Notwohnungen ein
Projekt mit der GeWoBag in der Scharnweberstraße in Reinickendorf auf den
Weg gebracht, die Bunte 111, wo Roma-Familien mit regulären Mietverträgen
unterkommen. Wir haben uns dabei an dem Modell des Arnold-Fortuyn-Hauses in
der Harzer Straße in Neukölln orientiert, das von der katholischen Aachener
Siedlungsgesellschaft ausgebaut wurde. Jetzt suchen wir das Gespräch mit
weiteren Wohnungsbaugesellschaften.
Aber reichen solche kleinen Einzellösungen? Kürzlich sagte der Leiter der
Notübernachtung für Obdachlose in der Franklinstraße, zu ihnen kämen immer
mehr Familien. Die Obdachlosenverbände fordern daher weiterhin ein Wohnheim
für Familien. Wäre das nicht doch wichtig als Notbehelf?
Ich finde eine Verteilung im Stadtraum viel besser – auch um
Stigmatisierung vorzubeugen und um diesen Familien einen geschützten Raum
zu geben. Eine Massenunterkunft ist sichtbar für Anfeindungen.
Ein anderes Thema im Roma-Aktionsplan ist Gesundheit, da geht es etwa um
die Finanzierung von Geburten Nichtversicherter. Dafür sollte ein Fonds
gegründet werden – auch den gibt es bis heute nicht. Warum?
Die Mittel sind jetzt endlich freigegeben. Ich weiß, dass es Anfang
nächsten Jahres losgehen soll.
Was machen die Menschen so lange? Bislang ist es so, dass eine
Nichtversicherte zwar im Krankenhaus entbinden kann – aber hinterher die
Rechnung präsentiert bekommt von einigen tausend Euro, die die meisten
nicht bezahlen können.
Faktisch sind viele betroffene Frauen krankenversichert. In der EU muss man
das eigentlich sein – und wenn man eine gute Beratung hat, kann diese die
Krankenhäuser dazu anhalten, die Versicherung im Heimatland zu akzeptieren.
Genau darauf zielt eine Kritik von Flüchtlingsrat und dem Verein Amaro
Foro: Der Aktionsplan zäume das Pferd von hinten auf. Die meisten Rumänen
und Bulgaren seien ja versichert; das Problem, das der Plan angehen müsse,
seien die deutschen Krankenkassen, die die Europäische
Krankenversicherungskarte nicht anerkennen würden.
Viele haben diese Karte aber nicht. Das heißt, sie müssen nachweisen, dass
sie versichert sind – das wird oft nicht geglaubt. Weil das Erstatten der
Leistungen mit Rumänien und Bulgarien auch schwierig ist. Das darf aber
nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden. Doch hier kann
man allein mit Beratung der Kassen und Krankenhäuser nicht viel erreichen.
Hier muss die Bundesregierung mit den Heimatländern verhandeln – und sie
hat jetzt übrigens zugesagt, dass die Kommunen für eine bessere Aufnahme in
die Gesetzliche Krankenversicherung sowie für Impfstoffkosten insgesamt 10
Millionen Euro erhalten.
Aber bleibt nicht insgesamt festzuhalten, dass die Stadt trotz
Roma-Aktionsplan in den dringendsten Fällen nicht helfen kann? Sie kann
nicht in nennenswertem Umfang Wohnungen bereitstellen, es gibt für
Geringqualifizierte keine Arbeit – und Sozialhilfe bekommen auch nur
diejenigen, die den Rechtsweg beschreiten, wenn überhaupt.
Es stimmt. Aber unsere Herausforderung ist nicht nur die sichtbare Gruppe
derer, die auf der Straße leben und keine Wohnung finden. Mittlerweile sind
das rund 50 Familien, schätze ich. Diese Familien sind wirklich in einer
prekären Situation – und für sie können wir unter Umständen nicht genug
tun. Wir schicken in allen Bezirken aufsuchende Sozialarbeiter zu diesen
Familien, sie beraten, aber sie können nicht immer helfen. Es ist in der
Tat mittlerweile schwierig, auch nur übergangsweise eine Unterkunft zu
finden, weil es zu wenige Wohnungen gibt. Hier müssen auch die kommunalen
Wohnungsbaugesellschaften und die Bezirke ran. Jede wohnungslose Familie,
ob Roma oder nicht, sollte erstmal ein Dach über dem Kopf finden, für einen
Monat. Hier ist unsere Arbeit bislang unzureichend. Wir haben aber auch nur
150.000 Euro pro Jahr – dafür kann man nur ein Modell entwickeln, wie es
gehen könnte. Jetzt brauchen wir weitere Partner und zusätzliche
Finanzierungen.
22 Dec 2014
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Berlin
Obdachlosigkeit
Roma
Antiziganismus
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Migranten
Roma
Fremdenfeindlichkeit
Sinti und Roma
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