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# taz.de -- Kommentar Nato-Abzug aus Afghanistan: Müdigkeit auf allen Seiten
> Der Westen hat das Problem nicht verstanden: Nicht Militäreinsätze,
> sondern Wirtschaftshilfe und zivilgesellschaftliche Stützen sind nötig.
Bild: Auch ein lautes Tröten kann die Dissonanz des Misserfolgs nicht übertö…
Mit dem Jahr 2014 endet auch das Mandat der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, besser bekannt unter dem
englischen Kürzel Isaf. Da Isaf oft mit dem Engagement am Hindukusch
überhaupt gleichgesetzt wird, entsteht der Eindruck eines generellen
Abzugs.
Das ist ein Trugschluss: Mit Isaf geht weder die militärische Präsenz der
Nato, inklusive der Bundeswehr, noch der internationale Afghanistan-Einsatz
überhaupt zu Ende.
Der Rückzug ist eher ein abgestuftes Disengagement, generiert von einer von
Politikern und Medien oft zitierten „Afghanistan-Müdigkeit“. Dieser
Ausdruck impliziert aber eben gerade nicht den Erfolg, der im
regierungsoffiziellen Diskurs den Übergang zu einer kleineren Nato-Mission
– genannt Resolute Support Mission (RSM) – begründet, sondern erklärt
Afghanistan im Grunde zum hoffnungslosen Fall.
Dahinter steckt, dass wir im Westen eines Problems müde geworden sind,
dessen Komplexität wir von Anfang an nicht verstanden und das wir aus
diesem Grund auch nicht lösen konnten.
## Krieg frisst Entwicklung
Das Ende des Isaf-Einsatzes, so erwünscht er unter den meisten Afghanen
anfangs auch war, hinterlässt ihnen eine ganze Liste existenzieller
Probleme, einige davon neu, andere die Fortsetzung alter Missstände. Ihr
Land ist in welthöchstem Maße von ausländischer Finanzhilfe abhängig. Die
Wirtschaft, deren Wachstum vor allem auf Dienstleistungen für die
Isaf-Truppen beruhte, bricht ein. Die Kosten für den anhaltenden Krieg
fressen die schon erreichte Entwicklungsfortschritte wieder auf.
Konzepte, das Land unabhängiger von externen Ressourcen zu machen, durch
regionale Einbindung und die Erschließung von Bodenschätzen, sind entweder
auf Illusionen gebaut oder werden bestenfalls Jahrzehnte zur Verwirklichung
brauchen. Niemand in der Region – weder China noch Indien, Russland oder
Iran – braucht Afghanistan wirklich für seine eigenen Entwicklungsvorhaben.
Makroökonomische Erfolge wie die Verfünffachung des Bruttosozialprodukts
seit 2001 haben sich nicht in der Lebenswirklichkeit der meisten Afghanen
niedergeschlagen. Die vielbesungenen Wachstumsraten bemänteln vielmehr eine
vertiefte soziale Kluft. Während ein Drittel der Afghanen immer noch in
Armut lebt, haben die oberen Zehntausend allein 2010 mindestens 4
Milliarden Dollar legal ins Ausland transferiert.
Der Isaf-Einsatz in Afghanistan verkörpert zudem ein grundsätzliches
Problem: die Rückkehr zu primär militärischen Ansätzen zur Konfliktlösung
in der Nato. Das ist Ausdruck ihres Post-1989er Triumphalismus, der auch
den Russland-Ukraine-Konflikt anheizt.
## Die Korruption frisst Milliarden
Mit der Ernennung eines zivilen Nato-Beauftragten nahmen Washington,
London, Berlin und Brüssel der UNO die politische Federführung aus der
Hand, reduzierten deren Einfluss und okkupierten das meiste an Mitteln und
Personal, mit denen nach dem Sturz des Taliban-Regimes der institutionelle
und wirtschaftliche Wiederaufbau bewerkstelligt werden sollte.
Entwicklungsziele wie die Armutsbekämpfung wurden dem Antiterrorkampf
untergeordnet.
Bei den USA, mit 700 Milliarden Gesamtausgaben größter Geber, betrug das
Verhältnis der zivilen zu den militärischen Ausgaben 1 zu 16, bei der
Bundesrepublik offiziell 1 zu 2,5. Da laut Weltbank nur 15 bis 25 Prozent
der Entwicklungsgelder die afghanische Wirtschaft erreichten, wo zudem
Milliarden durch Korruption verloren gingen, blieb am Ende tatsächlich
nicht viel für die einfachen Afghanen.
Dorfbewohner schaufelten in sogenannten Food-for-Work-Programmen Sand auf
nicht asphaltierte Straßen, wohlwissend, dass der nächste Regen ihn wieder
fortspülen würde. Beschwerten sie sich bei besuchenden Politikern (die
selbst die Milliardenziffern im Kopf hatten), wurde das als übertrieben
oder sogar undankbar abgetan. In den Köpfen der Afghanen entstand Zweifel
über die Ernsthaftigkeit des Westens, eine Art eigener Ausländer-Müdigkeit.
Diese konzeptionellen Probleme werden mit einer militärisch-technokratisch
RSM-Mission nicht verschwinden. Sie verkörpert eher ein Weiter-so auf
niedrigerem Level. Um die militärische Okkupation unseres Denkens
rückgängig zu machen, müssen wir zunächst unsere Afghanistan-Müdigkeit
überwinden.
28 Dec 2014
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Isaf
Militäreinsätze
Truppenabzug
Taliban
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