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# taz.de -- Die Wahrheit: Berührung, die bewegt
> Moderne Mobilität: Alles funktioniert blendend bis zu dem Moment, an dem
> die Testnutzerin in geselliger Runde von einer SMS überrascht wird.
Immer wenn man auf einer Party rumsteht und nicht weiß, worüber man reden
soll, empfiehlt sich als Thema die neueste App: Diskussionen entstehen,
Pro- und Contra-Lager werden gebildet, Zweifel gesät!
Kaum hat man sich nämlich in der allgemeinen Prahlerei als Nutzerin der
BVG-Fahrgast-App geoutet, wird Hohn ausgegossen. Gepriesen wird dagegen
„Touch & Travel“, die App für Profis, welche die holprige, vom lästigen
Fahrscheinkauf gebremste Fortbewegung angeblich in übergangsloses Gleiten
verwandelt.
Der Fortschritt besteht darin, dass man mithilfe der Standortbestimmung aus
Startbahnhöfen der Umgebung auswählt, beim Besteigen des Verkehrsmittels
„Fahrt beginnen“ eingibt und sich beim Aussteigen mit „Fahrt beenden“
wieder abmeldet. Den Fahrpreis unter Berücksichtigung des günstigsten
Tarifs ermittelt die App. So weit, so vielversprechend.
Alles funktioniert blendend bis zu dem Moment, an dem die Testnutzerin in
geselliger Runde von einer SMS überrascht wird: „Sie sind seit vier Stunden
unterwegs. Bitte vergessen Sie nicht, sich abzumelden.“ Da speist man
gemütlich im Stammrestaurant, während das virtuelle Selbst im Orbit der
Verkehrsbetriebe treibt! Hastig auf „Fahrt beenden“ getippt. Man wähnt sich
endlich angekommen.
Vier Stunden später nörgelt die App: „Sie sind seit acht Stunden unterwegs
…“ Was will sie denn jetzt noch? Sie fordert einen Zielbahnhof. In der Zeit
fliegt man locker über den Atlantik, wie wär’s mit New York Grand Central?
Inzwischen ist das Zählwerk mitleidlos von Einzelfahrt auf Tageskarte
gesprungen, die Differenz hätte man lieber in einem zweiten Nachtisch
angelegt.
## Integrierter Sanierungsfaktor
Im weiteren Verlauf der Testwoche kommt es wegen Gedächtnisverweigerung zu
zahlreichen Tageskarten sowie vonseiten der S-Bahn zu einer
Verkehrsstörung. Man steigt also am Startbahnhof wieder aus und meldet sich
– diesmal ordnungsgemäß – dortselbst wieder ab. Daraus schließt „Touch…
Travel“ verwirrt, dass man zwischen 9.02 Uhr und 9.03 Uhr eine Runde durch
Großberlin getravelt ist, und berechnet eine Tageskarte.
Man muss wissen, es handelt sich um eine App der Deutschen Bahn mit
integriertem Sanierungsfaktor, weil nämlich das permanente – auch Leben
genannte – Ablenkungsprogramm eingebaut ist, das den Fahrgast Abmeldungen
vergessen und Tageskarten für Kurzstrecken bezahlen lässt. Man könnte
argumentieren, dass der Nutzer aus berechtigter Sorge vor Verarmung seine
Konzentration steigert und dadurch die Gedächtnisleistung angeregt und
Demenz vorgebeugt wird.
Blöd nur, wenn man nachts um zwei auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn einem
trunkenen Idioten gegenübersteht, der die schöne Konzentration mit einem
kräftigen „Deutschland den Deutschen“ stört und auf Überlebensmodus lenk…
Was wiederum dazu führt, dass man am nächsten Morgen mit bösen Ahnungen
erwachend panisch zum Handy greift und erfährt, dass man seit acht Stunden
…
So toucht und travelt man – um irgendwann ganz bei sich anzukommen.
8 Jan 2015
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Mobilität
Öffentlicher Nahverkehr
Humor
Ängste
Leinen
CSU
Alkoholismus
Bild-Zeitung
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