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# taz.de -- Gerwin Goldstein über wilde Streiks: „Wir klotzen für unsere Re…
> Im Bremer Mercedes-Werk kam es zum „wilden Streik“ gegen Werkverträge und
> Leiharbeit. Betriebsrat Goldstein über den Streit mit dem Konzern und der
> IG Metall.
Bild: Auch von Leiharbeitern produziert: Mercedes bei Daimler in Bremen.
taz: Herr Goldstein, zum Jahreswechsel hat die Leitung des Bremer
Mercedes-Werkes hunderte MitarbeiterInnen wegen ihres Arbeitskampfes
abgemahnt. Kam das schon mal vor?
Gerwin Goldstein: In diesem Umfang ist es das erste Mal. Aktuell wissen wir
von 600 Abmahnungen. Rein rechtlich könnte den Kollegen bei einer zweiten
Abmahnung gekündigt werden, aber dann stünde das Werk still.
Am 12. Dezember hatten 1.300 MitarbeiterInnen der Nachtschicht aus Protest
die Arbeit niedergelegt – ohne, dass Tarifverhandlungen anstehen. Ein
solcher „wilder Streik“ war wohl ein Novum …
Bereits 2013 hatten wir vier solcher Aktionen. Und am 11. Dezember 2014
haben schon bei der Frühschicht über 2.000 Mann die Arbeit hingeschmissen
und sind ums Werk marschiert. Da ist nichts passiert. Erst bei der
Nachtschicht wurde nun die Abmahnungs-Keule rausgeholt.
Wogegen protestieren Sie?
Die Arbeit von 140 Kollegen aus der Logistik-Branche soll fremd vergeben
werden, mit Werkverträgen. Die Daimler-Kollegen werden nicht entlassen,
aber auf andere Arbeitsplätze im Werk verteilt. Sie müssen teilweise viel
mehr schleppen. Bei 40 Kollegen wissen wir noch gar nicht, wo wir sie mit
ihren Einsatzeinschränkungen und Behinderungen unterbringen können.
Außerdem haben wir im Bremer Werk seit Jahren etwa acht Prozent
Leiharbeiter, insgesamt 652 Leute. Bei den meisten dieser Kollegen wäre
einen Tag vor Heiligabend der Vertrag ausgelaufen.
Aber?
Als Betriebsrat haben wir dafür gekämpft, die Kollegen fest zu übernehmen.
Das hat nur bei 30 Leuten geklappt, bei den anderen wurden die Verträge
lediglich verlängert. Kurz vor Weihnachten allerdings kam dann die
Nachricht, dass 46 Kollegen abgemeldet, also entlassen wurden – manche
waren schon vier Jahre da. Die Gründe waren haarsträubend. Einer ist
gekündigt worden, weil er angeblich „kein Stapler-Gen“ habe, obwohl er
schon drei Jahre hier arbeitet. Wegen dieser Dinge kam bei den
Festangestellten die Wut hoch.
Der Werksleitung passt der Protest gar nicht, vor allem wegen der illegalen
Arbeitsniederlegungen …
Es hat sich ganz schön aufgeschaukelt. Wir haben ja kein politisches
Streikrecht in Deutschland. Aber man muss sich sein Recht nehmen. Wenn man
genügend Kollegen zusammenbekommt, hat man das Recht auf seiner Seite. Die
Menge ist der Schutz.
Wegen des „wilden Streiks“ wurden auch einige Mitarbeiter verhört?
80 Kollegen wurden nachts zum Personalgespräch eingeladen …
… nachts?
Ja, es war ja auch die Nachtschicht, die die Arbeit niedergelegt hatte. Wir
sind als Betriebsräte dann auch nachts noch dazu gekommen. Von den Trupps
vom Personalbüro wurden bis zu 20 Fragen gestellt: etwa, ob sich die
Kollegen auch trotz Androhung einer Abmahnung beteiligt haben. Alle haben
gesagt, dass sie das in Kauf genommen haben. Es wurde gefragt, ob die
Kollegen gezwungen wurden mitzugehen und wen sie noch so gesehen haben. Man
hat nach Betriebsräten gefragt, speziell nach meinem Namen und nach zwei
weiteren Kollegen. Man wollte unbedingt die „Rädelsführer“ rausfinden.
Hat das funktioniert?
Die Kollegen sind durch die Bank standhaft geblieben und haben gesagt, sie
haben in der Dunkelheit nicht viel mitbekommen. Das war bombig.
Der Bremer Werksleiter Andreas Kellermann hingegen sagt, alle Arbeitsplätze
in Bremen seien sicher und „Fremdvergabe und Sparprogramme im großen Stil“
stünden überhaupt nicht an …
Herr Kellermann hat das Ziel, die Kollegen ruhig zu halten. 2016 sollen 92
Zusatzschichten gefahren werden – das hieße, dass auch am Samstag
gearbeitet werden würde. Das neue interne „Zukunftsbild“ zeigt, dass in den
nächsten fünf Jahren bis zu 700 Kollegen ihre Arbeitsplätze an
Billiganbieter verlieren könnten. Es sollen noch mehr Abteilungen –
Montage, Rohbau und Logistik – fremdvergeben werden.
Sie befürchten, dass die Leiharbeit noch ausgebaut wird?
Schlimmer: die Fremdvergabe, also Werkverträge. Das sind die billigsten
Arbeitskräfte, Ausbeutung ohne Ende. Es bedeutet auch eine Spaltung im
Betrieb: Die Kollegen haben kein Streikrecht und arbeiten länger für
weniger Geld.
Daimler-Mitarbeiter haben hingegen ja keinen schlechten Lohn. Viele sagen,
Sie jammern auf hohem Niveau …
Wir haben uns unser Geld erkämpft, es war ja nicht der Konzern, der das
Geld ausgeschüttet hat. Ich bin 37 Jahre dabei und habe das alles
mitgemacht. Zudem ist der Grundlohn auch nicht so hoch wie alle denken. Ich
sage es Ihnen: Ich verdiene 3.700 Euro Brutto im Monat, ein Leiharbeiter
verdient knapp 2.500 Euro. Bei uns bekommt er 18,03 Euro in der Stunde,
weil wir es als Betriebsrat geschafft haben, dass er mindestens so viel
erhält, wie die unterste Lohngruppe bei Daimler. Bei Werkverträgen, wie sie
jetzt kommen sollen, bekommen die Arbeiter teilweise nur 8,50 Euro. Das ist
ein Skandal.
Werksleiter Kellermann spricht von einer „Erfolgsgeschichte“ der Firma, bei
der es nur ein Kommunikationsproblem mit den Mitarbeitern gebe …
Eine Erfolgsgeschichte? Ja, Daimler baut Autos. Aber wer genau baut die
Autos denn? Die Kollegen. Wenn ich weiß, dass in den nächsten Jahren bis zu
80.000 Autos mehr gebaut werden sollen, sehe ich vor allem eine enorme
Mehrbelastung. Wir haben am Band einen 67 Sekunden-Takt und im Werk Bremen
einen Altersdurchschnitt von 49 Jahren. Am Ende der Woche sind die Kollegen
fertig. Der Konzern aber macht Riesengewinne.
Die IG-Metall-Führung sieht Ihre Aktionen kritisch. Fühlen Sie sich im
Stich gelassen?
Die IG-Metall-Führung ist sehr unsolidarisch. Deren Bremer Geschäftsführer
Volker Stahmann hat auf der Betriebsversammlung ernsthaft die
Sechs-Tage-Woche vorgeschlagen. Das ist den Kollegen unheimlich
aufgestoßen. Wir haben früher dagegen unter dem Motto „Samstags gehört Papi
mir“ gestreikt. Dieses Tor nun als Gewerkschafter aufzumachen, ist
unsolidarisch, demoralisierend und in meinen Augen gewerkschaftsschädigend.
Das sind harte Vorwürfe.
Ich arbeite seit 43 Jahren und bin immer in der IG Metall gewesen, auch als
aktiver Vertrauensmann. Heute muss ich feststellen, dass sich die
Gewerkschaftsarbeit in ganz Deutschland – bei der IG Metall und anderen –
zum Co-Management in Betrieben entwickelt hat. Im Werk in Sindelfingen zum
Beispiel hat der IG-Metall-Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die
Fremdvergabe von Abteilungen unterschrieben. Das kann doch nicht wahr sein!
Früher war die IG Metall das kämpferische Aushängeschild der
Gewerkschaften. Das ist vorbei.
IG-Metall-Geschäftsführer Stahmann warnte wegen des „wilden Streiks“ vor
„französischen Verhältnissen“. Hält Sie das vom politischen Arbeitskampf
ab?
Auf keinen Fall. Wir brauchen ein politisches Streikrecht in Deutschland.
Dass ein Gewerkschafts-Funktionär so etwas sagt, ist katastrophal. Ich
hätte erwartet, dass er sich vor die Kollegen stellt. Auch die
IG-Metall-Führung ist ja gegen Leiharbeit, aber die wollen alles nur
regulieren. Dabei sollte die Leiharbeit komplett abgeschafft werden.
Sind Sie sich im Betriebsrat da auch einig?
Grundsätzlich ist das gemeinsame Ziel, die Fremdvergabe zu verhindern und
Leiharbeit wird abgelehnt. Über den Weg dorthin sind wir uns nicht immer
einig. Aber an den Aktionen haben sich 5.000 der 12.300 Mitarbeiter
beteiligt, aus der Produktion waren bestimmt 80 Prozent der Kollegen dabei.
Sind die Mercedes-Mitarbeiter in Bremen kämpferischer als anderswo?
Es gibt in Bremen eine Kultur, nicht lange zu fackeln. Die Belegschaft ist
homogen und kennt sich, viele Kollegen sind schon 20 oder 30 Jahre da. Im
Bremer Daimler-Werk sind wir immer die Speerspitze von Arbeitsvorkämpfen
gewesen. Wir schaffen nicht, wir klotzen – aber für unsere Rechte und nicht
die des Arbeitgebers.
Wann gibt es die nächste Aktion?
Es wird weitergehn, mehr kann ich nicht verraten. Am 15. Januar tagt der
Betriebsausschuss, da will die Werksleitung die Fremdvergabe beschließen …
ein gutes Datum, um zu zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen.
7 Jan 2015
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Wilder Streik
Leiharbeit
Mercedes
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Mercedes
Bremen
Klassenkampf
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