| # taz.de -- Asaf Avidans neues Album: One day, baby, we'll be old | |
| > Im Publikum wird es still, wenn Asaf Avidan singt. Strophen über Brüche, | |
| > verpasste Gelegenheiten, Phantomschmerzen seiner Generation. | |
| Bild: Asaf Avidan sieht sich nicht als Stimme seiner Generation, sondern als de… | |
| Asaf Avidan beginnt zu singen, seine Stimme bricht wie eine Naturgewalt aus | |
| ihm heraus, und über das Publikum senkt sich Erstaunen. Einverständnis | |
| breitet sich aus im Berliner Konzerthaus, zwischen Sänger und Zuhörern, ein | |
| Verstehen; das Wissen, dass da einer singt, der fühlt, was man selbst | |
| fühlt, aber wovon man nicht sprechen, geschweige denn zu singen wüsste. | |
| Als Asaf Avidan aufhört zu singen, toben die Menschen. „Ich weiß nicht | |
| wirklich, was ich da mache“, sagt er, 34 Jahre alt, gefragt, was er da | |
| macht. Er erzählt von einer „vulkanischen Energie, die überkochen will“, | |
| und der man „als Künstler am besten einfach aus dem Weg geht“. | |
| Der Auftritt ist Teil der Werbekampagne, mit der Avidans neues Album, das | |
| kommenden Freitag erscheint, bekannt gemacht werden soll. Auch auf „Gold | |
| Shadow“ schraubt sich seine Stimme wieder hoch ins Falsett, vielleicht | |
| nicht mehr so häufig wie auf früheren Aufnahmen. Spätestens dort oben in | |
| den höchsten Lagen aber, kurz bevor die Kopfstimme zu krächzen beginnt, | |
| finden Avidan und seine Zuhörer zusammen in einer gemeinsamen, doch | |
| diffusen Agonie, einem Leiden vor allem an sich selbst, einer Verzweiflung | |
| ob der Haltlosigkeit in einer immer komplizierteren Welt ohne Ideale, für | |
| die es sich zu sterben, oder Utopien, für sie es sich zu leben lohnte. | |
| Dass seine Stimme etwas Besonderes, ja einzigartig ist, das war für Asaf | |
| Avidan selbst „eine Überraschung“, erzählt er dann, als er auf einer | |
| Couchgarnitur versinkt im fünften Stock des deutschen Hauptquartiers jenes | |
| Unterhaltungskonzerns, der seine Platten veröffentlichen darf. | |
| ## Eine Stimme, der man zuhören muss | |
| An seinen ersten Auftritt erinnert er sich zurück: in einer kleinen Bar | |
| seiner Heimatstadt Tel Aviv vor exakt sechs Menschen. Er weiß das noch, | |
| weil er sie gezählt hat. Er spürte sehr genau, dass diese sechs Menschen | |
| nicht auf ihn warteten, auf einen Trickfilmzeichner, der zwar einen | |
| sicheren, gut bezahlten Job besaß, aber gerade seine große Liebe verloren | |
| und darüber ein paar Songs geschrieben hatte, die er nun vor Publikum | |
| singen wollte. „Aber als ich zu singen begann“, sagt er, „hörten die Leu… | |
| auf zu reden, sie drehten sich zu mir um, alle sechs, und wurden ganz | |
| still. Da wusste ich es.“ | |
| Er wusste, er hatte etwas gefunden, das die Menschen faszinierte. Eine | |
| Stimme, der man zuhören muss. Avidan gießt in Klänge, was jene fühlen, die | |
| ungefähr in seinem Alter sind. Menschen, die sich mit denselben Fragen | |
| herumschlagen wie er: „Wenn wir tatsächlich Wesen mit einem Bewusstsein | |
| unserer Existenz sind und uns das von allen anderen Lebewesen | |
| unterscheidet, stellt sich in letzter Konsequenz doch vor allem eine Frage: | |
| Warum? Warum sind wir hier? Und warum muss es enden?“ | |
| In seinen Liedern, sagt er, geht es um ihn, um Menschen, die „nach der | |
| Hoffnung suchen, wohlwissend, dass es keine Antwort auf unsere Fragen | |
| gibt“. Vielleicht sind es nur Phantomschmerzen, unter denen diese | |
| Generation Hoffnungslos leidet. Aber niemand singt so schön von diesen | |
| Schmerzen wie Asaf Avidan, der Phantomschmerzensmann. Er trägt die Schuhe | |
| schwarz, die Jeans schwarz, die Strickjacke und den Armreif schwarz und | |
| seine Haare in einer Frisur, die aussieht, als hätte sie sich jemand in | |
| einem Akt akuter Selbstzerfleischung geschnitten. | |
| Er sagt, er habe nur ein einziges positives Liebeslied geschrieben. Und er | |
| singt auch auf dem neuen Album scheinbar nur von der Liebe, vom Verlassen | |
| und Verlassenwerden. Trotzdem finden sich in diesen Liedern von | |
| gescheiterten Beziehungen immer wieder Sätze, die universeller anwendbar | |
| sind. „Our time is done, what was is gone.“ Oder: „Don’t try to love | |
| yourself again.“ Das sind, sagt Avidan, „alles Zeilen, die aus sehr | |
| egoistischen Gründen geschrieben wurden. Aber man muss sie loslassen. Jetzt | |
| sind sie in der Welt und jeder kann damit machen, was er will.“ | |
| ## „Ich bin nicht die Stimme meiner Generation“ | |
| „To hold a breath is not to be alive.“ Während man die Luft anhält, ist m… | |
| nicht am Leben. Ein Bild für das Problem der Generation, zu deren | |
| Sprachrohr Avidan geworden ist. Eine Generation, die erwachsen sein soll, | |
| sich aber noch lange nicht so empfindet. Die in die Welt sieht und dort nur | |
| Risiken sehen kann, weil ihr irgendwann im sechsten Semester die | |
| Zukunftsperspektive abhanden gekommen ist. Eine Generation, die von einer | |
| systemischen Krise zum Nomadendasein gebracht wurde, deren Vertreter nach | |
| Berlin kommen, um in Kreativ-Sweat-Shops zu malochen. | |
| „Ich bin nicht die Stimme meiner Generation“, sagt Asaf Avidan. „Ich bin | |
| ein Resultat meiner Generation. Und meine Generation hat das Problem, dass | |
| sie glaubt, wir hätten es verdient, glücklich zu sein. Wir suchen nach dem | |
| Unmöglichen und müssen erst noch lernen: Ewiges Glück gibt es nicht.“ | |
| Davon singt Avidan. Davon kann er singen, denn, so sagt er: „Auf der Bühne | |
| fühle ich mich mehr bei mir als im wirklichen Leben.“ Weil er ein | |
| uneigentliches Leben lebt. Gelernt hat, „was John Lennon mal gesagt hat, | |
| dass das Leben passiert, während du damit beschäftigt bist, Pläne zu | |
| machen“. Aus der Bahn geworfen von der Liebe, ist er selbst aufgebrochen zu | |
| einem Nomadenleben, mal hier, mal dort hat er gewohnt, mal in Berlin und | |
| dann in Paris. Nach ersten Erfolgen mit seiner Begleitband The Mojos hatte | |
| er einen Welthit, der eigentlich nicht seiner war. | |
| Der Berliner DJ Wankelmut war es, der Avidan den Starstatus bescherte. 2011 | |
| hatte er eine Sequenz des damals nur in seiner Heimat wirklich bekannten | |
| Israelis gesampelt – und daraus einen Techno-Track gefertigt, der zum | |
| Club-Hit avancierte. Dank „One Day/Reckoning Song“ wurden Wankelmut und | |
| Avidan zu internationalen Marken. Eine Win-win-Situation, gegen die sich | |
| Avidan anfangs zu wehren versuchte mit Forderungen, den Remix aus dem | |
| Verkehr zu ziehen. | |
| Doch der Track war in der Welt und mit ihm bewiesen: Dass selbst ein eher | |
| simpler Disco-Rhythmus dieser Stimme nichts anhaben kann. „One day, baby, | |
| we’ll be old, and think of all the stories we could have told“: Die Zeilen, | |
| die Avidan hier singt, wurden nicht nur zum Refrain eines | |
| Spoken-Word-Textes, mit dem die Poetry-Slammerin Julia Engelmann zum | |
| YouTube-Star und Dauergast in Talkshows aufstieg, sondern auch zum Motto | |
| der Generation Hoffnungslos. Eines Tages werden wir alle alt sein, aber | |
| heute entscheidet sich, welche Geschichten wir uns dann erzählen können. | |
| Solche Geschichte erzählt Avidan – stellvertretend für die, die gerade zu | |
| beschäftigt sind, sie zu erleben. | |
| 18 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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