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# taz.de -- Urteil gegen Diskriminierung: „Das ist Menschenrechtsverletzung“
> Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin hat ein Urteil mit Signalwirkung
> erstritten. Ein Interview mit Leiterin Eva Maria Andrades.
Bild: Alle sollen gleich sein, Diskriminierung keine Chance haben.
taz: Frau Andrades, warum ist es so schwer, juristisch erfolgreich gegen
Diskriminierung vorzugehen?
Eva Maria Andrades: Diskriminierung geschieht in der Regel ja nicht offen,
sondern verdeckt. Auch wenn Betroffene wissen, dass sie diskriminiert
wurden, können sie es nicht in jedem Fall beweisen. Zwar sieht das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genau deshalb vor, dass die
diskriminierte Person die Diskriminierung nicht beweisen, sondern nur
Indizien dafür vorlegen muss. Doch auch das ist oft schwer.
Wenn Diskriminierung verdeckt geschieht – ist das ein Hinweis, dass
derjenige, der diskriminiert, durchaus weiß, dass er etwas Illegales tut?
Wir erleben beides: Menschen, die bewusst diskriminieren in dem Wissen,
dass das nicht legal ist, und Menschen, die das absichtslos tun, sich mit
dem Thema Diskriminierung nie beschäftigt haben oder denken, dass es legal
ist, was sie machen. Dem Gesetz ist das egal, dort kommt es auf die Wirkung
an.
Ein Beispiel?
Wir hatten den Fall einer jungen Frau auf Ausbildungsplatzsuche, die wegen
ihres Kopftuchs eine Stelle nicht bekam. Der Arbeitgeber hatte ihr offen
gesagt, dass er sie deshalb nicht einstelle – und war in dem Glauben, das
sei legal.
Wie eindeutig ist das gesetzliche Verbot von Diskriminierung?
Da ist zunächst Artikel 3 des Grundgesetzes, der den Staat verpflichtet,
niemanden aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft et cetera zu
diskriminieren. Dieses grundrechtliche Gleichheitsgebot gilt aber nicht für
den Privatrechtsverkehr, also etwa den nicht staatlichen Arbeitgeber und
seine Angestellten. In diesem Bereich greift das 2006 eingeführte und auf
europäischen Richtlinien beruhende AGG. Es verbietet Diskriminierung für
den privatwirtschaftlichen und den arbeitsrechtlichen Bereich, also für
alle Arten von Verträgen, die jemand abschließen kann: von Miet- und
Arbeitsverträgen bis zum Discobesuch.
Welche Strafen sieht das AGG für Diskriminierung vor?
Es gibt der diskriminierten Person einen Anspruch auf Unterlassung, zudem
auf Entschädigung, also Schmerzensgeld, und Schadensersatz für den
materiellen Schaden, der ihr durch die Diskriminierung entstanden ist. Wenn
ich etwa als BewerberIn diskriminiert werde, kann ich drei Monatsgehälter
als Entschädigung verlangen. Das ist nach oben offen, es kann also auch
mehr sein, das liegt im Ermessen des Gerichts. Klar ist aber: Die Sanktion
muss abschreckend sein. Das sagen die europäischen Richtlinien, auf denen
das Gesetz beruht, ganz deutlich: Die Sanktion soll die diskriminierende
Person davon abhalten, das wieder zu tun.
Das haben Sie gerade in einem spektakulären Urteil über einen Fall von
Mieterdiskriminierung …
… das allerdings noch nicht rechtskräftig ist...
… erreicht. Dort wurden Entschädigungen von jeweils 15.000 Euro für Mieter
türkischer und arabischer Herkunft festgesetzt, die von ihrem Vermieter
erheblich stärkere Mieterhöhungen als die deutschen Nachbarn bekommen
hatten.
Ja. Das Interessante an diesem Fall ist, dass das Urteil explizit sagt,
dass hier abschreckend sanktioniert werden soll. Das ist in vielen anderen
Diskriminierungsfällen leider nicht so. Da werden nur kleine Summen
ausgeurteilt – was dem Sinn der Entschädigung nicht gerecht wird.
Was hat in diesem Fall ein solches Urteil möglich gemacht?
Ein ganz wichtiger Faktor war schlicht, dass die Betroffenen eine
Rechtsschutzversicherung hatten. Es ist ein großes Problem, dass Menschen,
die Diskriminierung erleben, aufgrund der möglichen Kosten den Gerichtsweg
scheuen. Da ist es eine große Erleichterung, wenn es eine Absicherung durch
eine Versicherung gibt. Zum anderen war es für die Betroffenen sehr
wichtig, Unterstützung zu haben. Das hatten sie in diesem Fall durch unsere
Beratungsstelle, durch ihre eigenen engagierten und kompetenten Anwälte,
die sich im Antidiskriminierungsgesetz auskennen, und durch das Netzwerk
„Mieterstadt.de“, das die Kläger auch unterstützt hat.
Welche Konsequenzen kann das Urteil haben?
Es ist ein wichtiges Signal für die Betroffenen. Es zeigt: Es gibt hier ein
Recht, dass Euch den Rücken stärkt gegen Diskriminierung. Es zeigt zudem:
Es geht hier nicht nur um moralische Argumente. Es ist ein gesetzlicher
Anspruch, nicht diskriminiert zu werden. Diskriminierung ist keine
Bagatelle, sondern eine Menschenrechtsverletzung. Und es ist natürlich auch
ein Signal für die Diskriminierenden, das Thema ernst zu nehmen. In diesem
Fall hatte die Vermieterin gesagt, dass sie den Vorwurf der Diskriminierung
für absurd halte – das Gericht hat das anders gesehen.
Sie beraten in allen möglichen Diskriminierungsfällen – wo passieren die
meisten?
Der Wohnungsmarkt ist ein großes Problemfeld, ebenso der Bereich Arbeit,
aber auch Behörden und Schulen. Das sind die Bereiche, aus denen uns die
meisten Fälle gemeldet werden.
Wie viele Fälle beraten Sie insgesamt pro Jahr?
Um die 200.
Und wie hoch ist die Dunkelziffer?
Das kann man nicht schätzen. Aber ich würde sagen, ein Vielfaches. Für
viele Menschen ist Diskriminierung so etwas Alltägliches, dass sie gar
nicht auf die Idee kommen, sich rechtlich dagegen zur Wehr zu setzen. Das
gehört einfach zu ihrem Leben dazu. Und dann müssen sie zunächst ja auch
mal wissen, dass es eine gesetzliche Grundlage für den Schutz vor
Diskriminierung gibt. Sie müssen wissen, an wen sie sich wenden können.
Wie gehen RichterInnen mit Diskriminierungsklagen um?
Es gibt Richterinnen und Richter, die dafür sensibel sind. Aber leider auch
viele, die es nicht sind. Sie erkennen die persönliche Verletzung nicht,
die in der Diskriminierung steckt, und nehmen sie nicht so ernst, wie das
wünschenswert wäre, indem sie etwa selber diskriminierungssensible Sprache
nutzen. Da muss noch viel geschehen. Im Jurastudium spielen das Thema
Diskriminierung und das noch relativ junge AGG leider bislang keine große
Rolle.
Worin besteht die persönliche Verletzung?
In einer Abwertung der eigenen Person, indem ich ungerecht behandelt werde
– nicht nach meiner persönlichen Qualifikation oder meinem Wesen, sondern
anhand eines bestimmten Merkmals wie des Kopftuches oder meiner Hautfarbe.
Ich werde nicht als Person, die ich bin, wahr- und ernstgenommen,
akzeptiert, sondern in eine Schublade gesteckt, ausgeschlossen. Das ist
schmerzhaft und hat Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl, weil es
signalisiert: Ich bin weniger wert, weniger gut.
Sind es eher die jüngeren, besser ausgebildeten Menschen mit
Zuwanderungsgeschichte, die sich dagegen wehren?
Das kann man nicht sagen. Wir haben AkademikerInnen und RentnerInnen,
Empfänger von Sozialleistungen und Gutverdiener. Klar, wer das Rechtssystem
besser kennt, sich als Teil dieser Gesellschaft sieht, traut sich
vielleicht eher, seine Rechte in Anspruch zu nehmen, als wer neu ist im
Land.
Sie sagten, es gebe auch viele Fälle von Diskriminierung durch Behörden und
in Schulen, für die das AGG nicht gilt. Da regelt der Staat dann alles
vorbildlich nach Artikel 3 des Grundgesetzes?
Nein, das ist leider ganz und gar nicht so. Es gibt zwar das
Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz. Es fehlt aber eine Ausformulierung,
wie das AGG sie vornimmt, wie man sich gegen staatliche Diskriminierung
wehren kann. Es fehlt auch die günstige Beweislastregel, wie das AGG sie
für die Betroffenen vorsieht. Deswegen fordern wir ein gesetzliches
Diskriminierungsverbot auch für diese Fälle, das klar regelt, wie
vorzugehen ist: ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das übrigens auch
eine europäische Verpflichtung ist.
Dafür gibt es in Berlin doch schon lange einen Entwurf?
Ja, der ist unter der rot-roten Koalition entstanden, wird aber von der
jetzigen Regierung leider nicht weiter verfolgt.
Warum?
Da fehlt wohl das Interesse.
21 Jan 2015
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Diskriminierung
Urteil
Verdrängung
Gleichbehandlungsgesetz
Gleichbehandlungsgesetz
Wissenschaft
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