| # taz.de -- Björks Album „Vulnicura“: Schmerz als Chance auf Heilung | |
| > Björks neues Album ist im Netz aufgetaucht, zwei Monate früher als | |
| > geplant. Statt zu schmollen, macht die Musikerin „Vulnicura“ digital | |
| > zugänglich. | |
| Bild: Björk verzeiht ihren Fans die Neugier auf ihr neues Album. Kein Wunder, … | |
| Eine wahre Diva erkennt man an ihrer Größe in der Krise. Als Madonnas | |
| letztes Album vor ein paar Wochen über das Internet leakte, schrie sie | |
| „Vergewaltigung“ und schmiss ihren Fans ein paar billig produzierte Stücke | |
| Stangenware hin. Björk passierte Anfang dieser Woche das Gleiche, aber sie | |
| klagte nicht, sondern schrieb „Danke für das Interesse“ auf ihre | |
| Facebook-Seite, und seit Donnerstag ist ihr aktuelles Werk „Vulnicura“ als | |
| digitaler Download erhältlich. | |
| Denn wer würde seinen Fans die Neugier auf neue Musik mehr verzeihen als | |
| [1][Björk], der Überfan jeglicher Art von Musik? Björk, die ozeanische | |
| Musikhörerin, die unbelastet von jeglichen Stilkriegen im Interview sagt, | |
| sie höre nicht viel experimentellen HipHop, um dann kurz darauf genau mit | |
| dem experimentellen HipHop-Produzenten zusammenzuarbeiten, der unter | |
| Musiknerds gerade hoch gehandelt wird. | |
| Auf „Vulnicura“ übernimmt diese Rolle Alejandro Ghersi alias Arca, der mit | |
| seinen Spektrografie-Samples und verhallten Synkopen einen Kontrast zu den | |
| impressionistischen Streicherarrangements setzt, die Björk für dieses Album | |
| geschrieben hat und die seinen Klang dominieren. | |
| Denn „Vulnicura“ ist ein persönliches Album, ein „Singer-Songwriter-Albu… | |
| wie Björk sagt. Sein Titel ist ein Portmanteauwort aus „vulnerable“ – | |
| zerbrechlich – und „cure“, der Heilung. Nur dass bei Björk nicht die | |
| Zerbrechlichkeit geheilt werden muss, sondern sie sich selbst heilt, indem | |
| sie sich in all ihrer Fragilität präsentiert. „Don’t remove my pain / It … | |
| my chance to heal“ – mein Schmerz ist die Chance auf Heilung, singt sie in | |
| „Notget“. | |
| ## Nie wieder Hausboot | |
| „Vulnicura“ ist das Tagebuch einer Trennung, das Björk so sorgfältig | |
| datiert hat, wie es die Imagination zulässt. Drei Songs spielen vor, sechs | |
| Songs nach dem Ereignis, das im Mittelpunkt dieses Albums steht: ihre | |
| Trennung von Matthew Barney. Über ein Jahrzehnt war sie mit dem | |
| US-Filmemacher zusammen, sie waren ein Traumpaar: Björk, die Auteurin unter | |
| den Popstars, und Barney, der Künstler, der in stundenlangen Filmen seine | |
| Privatmythologie zwischen Weltliteratur und albernem apokalyptische Unsinn | |
| entfaltet. | |
| Wenn Björk in Interviews davon erzählt, wie die beiden ihr Kind mit auf ihr | |
| Hausboot nehmen, dann wäre man gern anstelle dieses Kindes an Bord. Aber | |
| diese Szenen sind Vergangenheit. | |
| „Did I love you too much?“, fragt sie ihren Verflossenen auf „Black Lake�… | |
| kurz bevor Arca die Parameter seiner Bassdrum zu einem Crescendo moduliert. | |
| „Black Lake“ ist das Herzstück von „Vulnicura“, ein zehnminütiges St�… | |
| dem Björks Stimme lange allein über den Streichern steht und sie sich in | |
| Synkopen über den Song hangelt, bevor sie zu der Erkenntnis gelangt, dass | |
| die Emotionen ihres Exfreundes über seinen apokalyptischen Bildern versiegt | |
| seien. | |
| ## „Emotional respect“ | |
| Es ist der Wendepunkt des Albums. Drei Songs vorher verausgabt sich Björk | |
| in Selbstzweifeln, jetzt findet sie ihre Stärke wieder. Wobei es schwierig | |
| ist, in Björks Musik ein objektives Korrelat zu den Emotionen zu finden, | |
| die sie in ihren Texten beschreibt. Egal ob Björk „emotional respect“ von | |
| ihrem Expartner fordert oder zum Finale trotzig „I am not hurt“ verkündet … | |
| Björk präsentiert ihre Gefühle eben nicht theatralisch. Sie erzählt uns, | |
| was sie fühlt, anstatt es uns vorzuführen. Wir könnten es ja eh nicht | |
| nachvollziehen. | |
| Aber wieso auch? „Vulnicura“ ist ein Album über Trennungsschmerz von Björ… | |
| kein Album, dass dafür gemacht ist, mit ein paar Akkordfolgen der | |
| Soundtrack für den Trennungsschmerz seiner Hörer zu sein. Björk ist unser | |
| Trennungsschmerz viel zu ernst, als dass sie sich anmaßen würde, dass | |
| ausgerechnet ihre Musik die heilende Kraft des Universums für jemand | |
| anderes außer ihr selbst sein könnte. | |
| Mit dem gleichen Prinzip begegnet sie ihren Mitmusikern auf „Vulnicura“ – | |
| auch sie sind da, weil sie ein Gegenüber sind. Arcas flüchtige Sounds | |
| kreisen um die streng komponierten Streicher und reißen sie immer vorm | |
| Abgrund des Pathos hinweg. Bobby Krlic hat die Songs so abgemischt, dass | |
| sich immer wieder die körperlich zittrigen Drones ergeben, die sein Projekt | |
| Haxan Cloak auszeichnen. Aber nirgendwo ist Björks Vertrauen in ihre | |
| musikalischen Partner größer als auf „Atom Dance“, einem Duett, das sie m… | |
| dem queeren Balladensänger Antony Hegarty anstimmt. | |
| ## Emotional, introvertiert, offen | |
| „No one is a lover alone“ singen die beidem im Duett, und Antony darf Björk | |
| nicht nur in den Hintergrund drängen, sondern verleiht dem Duett schon fast | |
| eine bluesige Schwere, bevor seine Zeile durch die Computer zu der eines | |
| grotesken Cyborgs wird. Auch das unterscheidet Björk von Madonna – sie | |
| schmückt sich nicht mit den Insignien von Queer Culture, sondern tritt | |
| dahinter zurück. | |
| „Vulnicura“ ist ein glaubwürdiges Album – zum Glück. Denn Björk findet… | |
| weg von der konzeptionellen Eindeutigkeit ihres letzten Albums „Biophilia“, | |
| diesem Gesamtkunstwerk über das Verhältnis von Mensch und Natur, das mit | |
| einer Multimedia-Show, einer Smartphone-App und Unterrichtsmaterial für | |
| isländische Schulkinder einherging. „Ich war ein wenig wie Kofi Annan“, | |
| erzählt Björk im Rückblick über diese Phase. | |
| Jetzt hat sie endlich wieder in die Rolle zurückgefunden, die ihr am besten | |
| steht: Björk in all ihren Widersprüchen. Die Hippiekommune ihrer Kindheit | |
| im Hinterkopf, emotional, introvertiert und dabei offen genug, mit allen | |
| interessanten Menschen auf diesem Planeten problemlos Freundschaft zu | |
| schließen. Nach dem Ende ihrer ersten langen Beziehung begann Anfang der | |
| Neunziger Björks Solokarriere, nach „Vulnicura“ muss man sich um Björks | |
| Spätwerk keine Sorgen machen. | |
| 22 Jan 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://bjork.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Werthschulte | |
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