Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sängerin Björk in New York: Intergalaktische Pusteblume
> Sängerin Björk feiert ihr Album „Vulnicura“ in New York mit einem
> Konzertmarathon. Auf der Bühne inszeniert sie ihre
> Vergangenheitsbewältigung.
Bild: Björk mit einem ihrer typischen Outfits auf dem Berlin Festival 2013.
Hurra, endlich wieder auf der Bühne!“, jubelt Björk auf ihrer Website. Die
isländische Popkünstlerin scheint ekstatisch und erleichtert wieder live
aufzutreten – nach dem Fiasko der ihr gewidmeten, von der Kritik in der
Luft zerrissenen Kunstausstellung, die seit Februar im New Yorker MOMA
läuft.
Als wäre die schonungslose Verarbeitung der Trennung von ihrem Mann auf
ihrem aktuellen Album „[1][Vulnicura]“ nicht schon schmerzhaft genug,
durchlebt sie alles noch einmal. Und das ausgerechnet in New York vor den
Augen Tausender Fremder, wo ohnehin alle zu allem ungefragt ihren Senf dazu
geben.
Auch wenn Björks allabendliche Katharsis strapaziös sein muss: Mit ihrem
quer über die Stadtbezirke verteilten Konzertmarathon findet ihr Exorzismus
seine wahre Bestimmung. Sie erreicht dabei ein Publikum, das ihr gerne ein
Ohr leiht, um mit ihr zu fühlen. Ihr Liebeskummer ist intim und scheint
gleichzeitig universell, fantastische Einbildungskraft inbegriffen.
Nachdem sie ihr Leid zwei Abende in die Carnegie Hall getragen hat,
wechselte sie nun in die pseudo-maurischen Räumlichkeiten des New York City
Center. Am Montag kam sie für ein Nachmittagskonzert vorbei, und am
Mittwochabend rief sie die Stadt zusammen, um Aprilscherze zu reißen. In
Sachen Pop hat New York ohnehin gerade zwei gute Wochen erlebt.
Das britische Hauntology-Duo Demdike Stare spielte in Harlem live zum
Zwanzigerjahre-Hexen-Stummfilm „Haxan“. Und der legendäre Disco-DJ Nicky
Siano legte an seinem 60. Geburtstag in Coney Island die alten Klassiker
auf. Die Münz-Basketball-Maschine war kaputt. Während ich endlos Freiwürfe
ausführte, droppte Siano Chaka Kahn’s „I Know You, I Live You“. Was für…
Abend!
## Björn fackelt Manhattan ab
In der Zwischenzeit hat Björk in aller Seelenruhe Manhattan abgefackelt.
Für ihre Verhältnisse ist die Bühne im City Center fast minimalistisch
dekoriert. Die Sitze der fünfzehnköpfigen Begleitband Alarm Will Sound
(Geigen, Violas und Cellos) sind halbrund angeordnet.
In „Schock Korridor“-Weiß gekleidet sitzen sie Björk im Nacken. Hinter den
Streichern haben der venezolanische Produzent Alejandro Ghersi (alias Arca)
und der Perkussionist Manu Delago ihr Equipment auf kleinen erhöhten Bühnen
drapiert.
Björk erscheint zu „Stonemilker“, dem Auftakt des Albums, das auch ihr
Konzert eröffnet, mit einem intergalaktischen Pusteblumenhut auf dem Kopf.
Ihr vergrößerter Schatten an der Wand erinnert an Sun Ra, womöglich ein
Zufall. Von einer polymorphen Gestalt, die einst vor gigantischen Akira
Teddybären davonrannte, kann man solche Nebeneffekte aber stets erwarten.
In der Liveversion von „Black Lake“ steckt prächtige Verzweiflung. Ghersi
lässt das Wasser mit vereinzelten Rauschtropfen bei der Textzeile „I’m
bored of your apocalyptic obsessions“ aus dem Tümpel ab.
Björk verteilt Luft-Nackenschläge, die in einen triumphalen Faustschlag
münden. Auch wenn es an diesem Abend wirklich nicht um Clubsounds geht,
hätte ich doch zu gern gehört, wie Arca sich Björks Song „Karvel“ annehm…
würde, vielleicht auf die Art, wie ihr Song „Wanderlust“ (2008) sich seiner
annahm.
## Geburtsszenen von Schnecken und Spinnen
Doch Björk will hier eindeutig ihren ganzen privaten Scheiß verarbeiten,
manchmal mit dem Rücken zum Publikum, zum großen Gezeter ansetzend. In
Momenten der Stille, von denen es einige wenige gibt, platzt aus so mancher
armen Seele im Publikum „Ich liebe dich“ heraus. Arca fängt einige davon
ein, ich wünschte, er hätte sie in sein eigenes Trennungsmonsterlied
getaucht: „Brokeup“.
Zu Beginn des zweiten Sets stolziert Ghersi in einem schwarzen Kleid mit
langen Handschuhen auf die Bühne, gefolgt von Björk in traubenfarbenem
Latex, das Haar jetzt herabwallend, mit dem Blick einer Todesfee. Fast das
ganze Konzert über wird ihre Musik mittels Stephen Malinowskis „Music
Animation Machine“ auf einer gigantischen Leinwand visualisiert.
Einzig zu Beginn des zweiten Sets wenden sich die Dinge eher in Richtung
„Die Hellstrom Chronik“, als atemberaubend klebrige Geburtsszenen von
Schnecken und Spinnen gezeigt werden. Gierig nach jedem noch so kleinen
Anzeichen des Frühlings, habe ich völlig verpasst, was während „Come to
Me“, von Björks Debütalbum, und „All Neon Like“ auf der Bühne passiert…
zu sehr war ich von den Freuden des Schleims und der Sekrete absorbiert.
Wer Delago beim Trommeln zuschaut, sehnt milde Temperaturen herbei. Sein
Spiel erinnert eindeutig an typische Handbewegungen am Grill. Björk hat das
Glück, dass Ghersi die Glasharmonika bei „Come to Me“ spielt. Ganz zu
schweigen vom gekonnten Austickenlassen ihrer Stimme, die durch den Raum
(oder in unseren Köpfen) hin und her gerollt und geworfen wird wie ein
losgelassener Ballon, während Björk selbst die Hände wedelnd und schelmisch
grinsend auf der Bühne umherhopst.
Da kann sich jeder sein eigenes Island-Mythen-Panoptikum zurechtbasteln.
Und ich dachte, meine geschiedene 50-jährige Mutter würde etwas absolut
Verrücktes tun, als sie mich einst zu einem Run-DMC-Konzert mitnahm. Bei
der Zugabe kommt Björk mit „Mouth Mantra“ wieder zu „Vulnicura“ zurüc…
aufgepimpt mit überdimensionalen Kanarienvogel-Schulterpolstern mit
Flatterbändern, mit denen sie beinah den äußeren Geiger ausgeschaltet
hätte.
Der wiederum krümmt kurz seinen Ellenbogen, ohne auch nur mit der Wimper zu
zucken. Was für ein Instinkt! Dann bedankt sich Björk noch bei uns für den
Abend, wirft lässig das Mikrofon von sich und verschwindet auf
Nimmerwiedersehen. Kurz zuvor verschränkt sie noch ihre Hände, streckt sie
genüsslich und lässt ihre Knöchel krachen.
aus dem Englischen von Sylvia Prahl
3 Apr 2015
## LINKS
[1] /Bjoerks-Album-Vulnicura/!153325/
## AUTOREN
Dave Tompkins
## TAGS
New York
Björk
Elektro
Island
Island
Pop
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Arca: Als würde jemand zuschlagen
Der venezolanische Elektroproduzent Arca kehrt mit einem brutal emotionalen
Album singend sein Innerstes nach außen. Ein Rat dazu kam von Björk.
Björks Album „Vulnicura“: Schmerz als Chance auf Heilung
Björks neues Album ist im Netz aufgetaucht, zwei Monate früher als geplant.
Statt zu schmollen, macht die Musikerin „Vulnicura“ digital zugänglich.
Pop, Punk und Politik in Island: Die Möglichkeit einer Insel
In Island laufen die Fäden von Gegenkultur und Politik zusammen. Die
Do-it-yourself-Mentalität des Punk wird nun wichtig für die Gesellschaft.
Gender und Pop: Die Welt klingt queer
Es gab noch mehr als Conchita Wurst: Die wichtigsten Acts des vergangenen
Jahres sind weiblich sozialisiert – meist mit transnationalen Biografien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.