# taz.de -- Homeless Veggie Dinner in Berlin: Der Riesen-Gemüseauflauf | |
> Einmal im Monat kochen junge Leute beim Homeless Veggie Dinner für | |
> Bedürftige. Doch hier essen nicht nur Arme, sondern auch Künstler und | |
> Studierende. | |
Bild: Sieht einfach aus, ist aber begehrt: vegetarisches Essen | |
Der Duft von Karottensuppe liegt in der Luft. Die Fensterscheiben sind | |
beschlagen; der Raum ist prall gefüllt. Ständig werden neue Gäste | |
willkommen geheißen und bedient. An einem der langen Tische sitzt ein | |
älterer Mann mit sandfarbenem Jackett aus Kord, der sich als Arend | |
vorstellt. Er habe 40 Jahre in den USA gelebt und bekomme Rente, erzählt | |
er, könne aber von dem Geld nicht leben und arbeite deshalb zusätzlich als | |
Zeitungsträger. Menschen wie Arend gibt es hier einige. | |
Es ist Samstagabend kurz nach 18 Uhr in einer eigentlich als | |
Seniorenbegegnungsstätte genutzten Einrichtung in Kreuzberg nahe dem | |
Schlesischen Tor. Einmal im Monat kommen hier junge BerlinerInnen zusammen, | |
um Bedürftigen ein kostenloses vegetarisches Essen zu kochen. | |
Die Idee entstand vor fast fünf Jahren. Mittlerweile ist das Abendessen | |
Anlaufpunkt vieler geworden: Nicht nur Obdachlose und Einkommensschwache | |
kommen, sondern auch Studierende, Künstler und Reisende. Je nach den | |
eigenen finanziellen Möglichkeiten erhält man das Essen kostenlos oder | |
gegen eine kleine Spende. Diejenigen, die es sich leisten können, bezahlen | |
freiwillig für diejenigen mit wenig Geld mit. Von den eingenommenen Spenden | |
wird dann das nächste Abendessen finanziert. | |
## Mehr als warmes Essen | |
Die Stimmung ist ausgelassen; nahe der Eingangstür steht eine junge Frau | |
mit einer Lichterkette um den Kopf und einer Gitarre in der Hand. Als sie | |
anfängt zu singen, gesellen sich drei Männer zu ihr, stimmen ein und | |
beginnen zu tanzen. Das komme häufiger vor, erzählt June-Marie Dennis, die | |
seit mittlerweile vier Jahren das Homeless Veggie Dinner mitgestaltet und | |
die positive Atmosphäre unter den Gästen schätzt. „Für viele ist dies ein | |
Ereignis, auf das sie sich den ganzen Monat über freuen“, so die gebürtige | |
US-Amerikanerin. | |
Dabei gehe es nicht nur um die warme Mahlzeit, sondern vielmehr um das | |
soziale Miteinander, den Austausch, die Geselligkeit. „Vielen Menschen hier | |
wird häufig kein Gehör geschenkt, daher sind der soziale Kontakt zu anderen | |
Menschen und das Gefühl, wahrgenommen zu werden, besonders wichtig. Für sie | |
ist das vegetarische Dinner eine Konstante im Leben geworden“, berichtet | |
June-Marie. | |
Im Raum drängen sich die Gäste eng an Tischen und unterhalten sich. In den | |
meisten Fällen allerdings sitzen Menschen mit dem scheinbar gleichen | |
sozialen Hintergrund zusammen. Auf den ersten Blick sieht es nach einem | |
Miteinander aus; wie intensiv der Kontakt aber tatsächlich ist, bleibt | |
fraglich. | |
In der Küche, wo seit mittlerweile fünf Stunden eifrig Obst und Gemüse | |
geschnitten, Kuchen gebacken und Saucen angerührt werden, hört man Lachen. | |
Als das Projekt von Dario Adamic im März 2010 gegründet wurde, waren es | |
gerade einmal drei HelferInnen. Nun sind es 30–35 Freiwillige, die sich bei | |
der Planung und Umsetzung des vegetarischen Abendessens einbringen. Dabei | |
ist so etwas wie ein internationales soziales Netzwerk entstanden, so | |
June-Marie. Die Organisation wird weitestgehend über Facebook abgewickelt, | |
manchmal werden Freunde, die ebenfalls helfen wollen, mitgebracht. | |
## Gemüse statt Buletten | |
Der große Andrang reißt nicht ab. Selbst drei Stunden nach Eröffnung kommen | |
hungrige Gäste herein und geben ihre Bestellung auf. In der Regel rechnen | |
die OrganisatorInnen mit einem Zulauf zwischen 200 bis 250 Menschen. | |
Die Bewirtung der Gäste ist aufgrund der starken Nachfrage zu einer | |
logistischen Herausforderung geworden. Gearbeitet werde in drei Schichten, | |
erklärt June-Marie den Ablauf. Die erste Schicht sei für das Kochen, die | |
zweite für den Service, die dritte für den Abwasch und das Aufräumen | |
zuständig. | |
Auf das kostenlose Essen wird eine Woche im Voraus aufmerksam gemacht. Dazu | |
nutzt man hauptsächlich Flyer und Plakate, die unter anderem in | |
Suppenküchen, sozialen Einrichtungen und Obdachlosen-Treffpunkten verteilt | |
und ausgehängt werden. | |
Große Teile der Lebensmittel, insbesondere Obst und Gemüse, werden von | |
einem Großmarkt am Westhafen geholt, wo die Nahrungsmittel ansonsten | |
weggeworfen werden würden. Der Rest, zum Beispiel Reis, Mehl oder Getränke, | |
wird im Supermarkt gekauft, allerdings unter Einhaltung eines | |
selbstgesetzten Budgets, welches 130 Euro nicht überschreitet. | |
Während Dinner-Gast Arend von seinem Leben in den USA berichtet, vergisst | |
er das Essen beinahe. Die Frau, die ihm gegenübersitzt und sich bislang aus | |
dem Gespräch herausgehalten hat, macht sich jedoch zügig über das ihr | |
servierte Essen her. Später am Abend gibt es auch noch Nachschlag: Wer bis | |
zum Ende bleibt, bekommt in Thermobehältern Reste – falls welche übrig | |
bleiben. | |
Das Essen schmecke ihm, sagt Arend, während er an seiner | |
Karotten-Linsen-Suppe löffelt, obwohl er sich auch über eine Bulette freuen | |
würde. Das Servieren von rein vegetarischem oder veganem Essen war damals | |
eine bewusste Entscheidung, berichtet June-Marie. Es sei gesund und eine | |
gute Alternative zu der üblichen Kost in Suppenküchen. Außerdem könne | |
dadurch die Skepsis gegenüber vegetarischem Essen abgebaut werden. | |
Anfangs fand das Dinner in der Admiralstraße, später in der Nansen- und | |
dann in der Adalbertstraße statt. Doch durch die erhöhte Nachfrage mussten | |
sich die OrganisatorInnen bald um neue Räumlichkeiten kümmern. Nun sind sie | |
in einer Begegnungsstätte für Senioren zu Gast, die vom Bezirksamt | |
Friedrichshain-Kreuzberg zur Verfügung gestellt wird. | |
Mittlerweile gäbe es allerdings einen derart großen Bedarf an dem Dinner, | |
dass die Küche nicht mehr ausreiche, um alle Gäste zu versorgen. Daher | |
bedienen sich die ehrenamtlichen HelferInnen bereits eines Nebenraums, den | |
sie als Putzküche umfunktioniert haben. | |
## Staatliches Versagen? | |
Die Arbeit von June-Marie und Co ist zweifelsohne eine wichtige. Doch | |
drängt sich die Frage auf, ob das, was diese jungen Menschen leisten, nicht | |
eigentlich Aufgabe des Staates ist. Ist es nicht Aufgabe des | |
Wohlfahrtsstaats, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben und sie mit dem | |
Lebensnotwendigen zu versorgen? | |
Als sich um 22 Uhr das Dinner seinem offiziellen Ende neigt, ist der Raum | |
noch immer von den Stimmen der Gäste erfüllt. In der Küche wird langsam mit | |
den Aufräumarbeiten begonnen. | |
Arend hat gerade sein Dessert verspeist. Am nächsten Tag muss er wieder um | |
1.30 Uhr aufstehen und Zeitungen austragen. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Fanny Lüskow | |
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