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# taz.de -- Die Wahrheit: Galerie des Grauens
> Der Versandhändler Amazon macht jetzt in schlechter Hochkunst. Seit
> Kurzem verkauft er hässliche Bilder. Bald produziert er scheußliche
> Filme.
Wo soll, wo kann ich heute mein Geld anlegen? Banken geben bald nur noch
Negativzinsen, der Goldpreis ist so unvorhersehbar wie das Aprilwetter, an
den meisten Aktien klebt Blut und Oldtimer nehmen so furchtbar viel Platz
weg. Aber wie wäre es mal mit: Kunst?
Dank Internet braucht man weder irgendwelche öden Auktionen oder
Vernissagen zu besuchen, noch muss man sich auf zwielichtigem Wege
konfiszierte Opferkunst zusammengurlitten. Seit gut eineinhalb Jahren führt
Amazon, allerdings nur das amerikanische, die Rubrik „Fine Art“. Hier kann
man bequem von zu Hause aus echte Gemälde von echten Künstlern kaufen; dass
es sich dabei in der Regel um die jeweils hässlichsten Werke handelt: egal!
Wann hat man beispielsweise schon mal die Gelegenheit, mit zwei, drei
Klicks einen echten Marc Chagall zu erstehen?
„Der Künstler und seine Frau“ (1971), ein in Holz gerahmter
Gouache-Albtraum für 285.000 US-Dollar, hat sogar drei Kaufrezensionen
erhalten, was seltsam ist, da es sich um ein Unikat handelt. Dass die
Rezensentinnen und Rezensenten jeweils nur einen von fünf Sternen vergeben
haben, hat nichts zu bedeuten – Banausen-Amis halt: „My 1st grader brought
something like this home from school one day“.
Wem Chagall zu avantgardistisch ist, für den hält Amazon auch
massenkompatible Prachtstücke des Klassizismus bereit: Jean-Léon Gérômes
„Leda und der Schwan“, auf dem eine nackte Leda unbeholfen in einem Tümpel
steht und eine Gruppe schwimmender und fliegender Putten nebst besagtem
Wasservogel empfängt, passt in jede Wohnstube, deren Besitzer 985.000
Dollar übrig haben.
Zu langweilig? Dann greifen Sie für schlappe 65.000 Dollar zu einem der
Bilder der Kunstgeschichte, dem „Schrei“! Einziger Wermutstropfen: Es
handelt sich nicht um ein original Brüllmännchen von Munch, sondern
lediglich um die 2006er Kopie eines gewissen Vik Muniz. Eine sehr schlechte
Kopie.
Apropos Kopien: Für Fans der seriellen Popkultur offeriert Amazon.com
diverse Exemplare aus Andy Warhols Schaffen. Der „Mao“ ist für 200.000
Dollar zu haben, eine „Marilyn“ schon für 150.000 Dollar inkl. Versand
(Zollgebühren können freilich anfallen). Das Acrylwerk „$15“ gibt es gar
für, wenn schon nicht 15, so immerhin für nur 125.000 Dollar.
## E-Painting und „Prime Art Abo“
Reizvoll, zumindest für Geisteskranke, dürfte auch eine von Joan Mirós
Vogelstudien sein, die derzeit für eine Viertelmillion angeboten wird. Für
die Hälfte wiederum ist das so generische wie deprimierende
Blumenstillleben eines Herrn Paul Theodor van Brussel zu kriegen; passt gut
ins Ess- oder Sterbezimmer, sollte jedoch mit einem Zettel versehen werden,
auf dem etwas steht wie „Das ist ein Original von anno 1800, für das ich
mich heillos in den Dispo gestürzt habe, wisset das bitte zu schätzen!“
Für den kleinen Geldbeutel empfehlen sich die in fünf Minuten hingerotzten
Porträt-Radierungen aus Henri Matisses „Fuck it“-Periode, zum Beispiel
„Gesicht einer jungen Frau mit verdrehter Halskette“ für 7.500 Bucks („v…
good condition“, leider). Aus der Reihe tanzt dann lediglich Roy
Lichtensteins „Sweet Dreams Baby!“, das für Amazon-Verhältnisse viel zu g…
aussieht. Für 135.000 Dollar ist es Ihres. Unter den Produkten des „Fine
Art“-Department vermisst man leider Angaben à la „Leute, die dieses Bild
kaufen würden, hätten auch Folgendes gekauft: Gummibaum, Flagellier-Set,
Makramee-Eule.“ Schade.
Ist Kunst also das nächste große Ding des Onlinehandels? Erwarten uns bald
Angebote wie das E-Painting, bei dem Hintergrundgemälde für den Ruhemodus
des Kindle Fire geschaffen werden, oder das „Prime Art Abo“, bei dem man
zwölfmal im Jahr ein Kunstwerk geliefert bekommt, das man sich einen Monat
lang in die Wohnung hängen darf, bevor man es – möglichst unbeschädigt –
zurücksendet?
Am wahrscheinlichsten dürfte eine „Pilot Art Season“ sein: Analog zu den
jüngst selbstproduzierten Serienpiloten, über deren Weiterführung die
Kunden abstimmen, entwerfen zeitgenössische Kunstschaffende im Auftrag des
Großkonzerns Skizzen, die nur dann zu richtigen Bildern vollendet werden,
wenn das Publikum grünes Licht gibt; andernfalls landen die Entwürfe in
Jeff Bezos’ ganz privater Altpapiertonne.
Zuvor jedoch steigt der Web-Riese, wie vorige Woche bekannt wurde, in eine
andere Form der Leinwandkunst ein. Amazon will eigene Filme drehen lassen –
mit deutlich niedrigeren Budgets als in Hollywood üblich: Die Schauspieler
reisen mit DHL zum Drehort, gefilmt wird nur mit Uralttechnik und die
Drehbücher sollen anschließend gewinnbringend im Marketplace verhökert
werden.
Dafür liegen die Onlinetickets unterhalb des Festpreises, nach der
Vorführung steht der Soundtrack zum Download bereit. Für Filme ohne
Werbeeinblendungen gibt es zu 4,99 Euro mehr eine Premiumversion. Genial!
Und dann? Eine Verzahnung der Sparten Kunsthandel und Film kommt
garantiert. Unter dem Motto „Running Art“ werden die schlechtesten Schinken
bei Amazon bald zu Leinwandschinken.
27 Jan 2015
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Amazon
Kunst
Film
Filme
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