| # taz.de -- Die Wahrheit: Der Scheiterhaufen | |
| > Vom Erfolg verschonte Start-ups tauschen auf Fuck-up-Nights ihre | |
| > Erfahrungen aus. Vor Ort in Meppen bei glücklosen Existenzgründern. | |
| Bild: Nicht unbedingt eine sichere Bank: Existenzgründer haben es auch nicht l… | |
| Der Gastgeber des heutigen Abends ist sichtlich erleichtert, zufrieden und | |
| stolz, als die altmodische Wanduhr acht schlägt. „Fangen wir an“, sagt er, | |
| bevor er von mehreren Anwesenden darauf hingewiesen wird, dass die Uhr | |
| fünfzehn Minuten vorgeht. Also gilt es, eine weitere Viertelstunde zu | |
| warten, die das Auditorium nutzt, sich mit der Location und einander | |
| vertraut zu machen. | |
| Ein hibbeliger Pennäler mit Bommelmütze grüßt eine früh ergraute | |
| Frettchenhalterin, die auf ihrem eigens mitgebrachten Gymnastikball Platz | |
| genommen hat. Hell lächelnde Vertreter verschiedener Freikirchen und | |
| Endzeitsekten tauschen Pamphlete aus. Ein monokeltragender Fan von | |
| Kraftausdrücken versucht murmelnd, die ausgefallene Heizung wieder in Gang | |
| zu bringen. | |
| „Jetzt aber!“, schnauft der rund fünfzigjährige, beleibte Moderator in ein | |
| übersteuertes Mikro. „Zunächst die Info: Eine Fuck-up-Night hat nichts, ich | |
| wiederhole, nichts, mit Sex zu tun.“ Augenblicklich leert sich der | |
| Versammlungsort um gut 60 Prozent der Gäste. „Und ich danke der Stadt | |
| Meppen, dass sie uns diesen schönen Raum zur Verfügung gestellt hat. Das | |
| ist ja bereits mein dritter Versuch, so eine Fuck-up-Night zu etablieren, | |
| bei den ersten beiden Malen wollte niemand mitmachen. Insofern bin ich hier | |
| wohl goldrichtig.“ | |
| ## Scheitern von der Seele reden | |
| Gedämpftes Kichern über des Gastgebers Meta-Missgeschick erfüllt den | |
| Sitzungssaal im Stil des Brutalismus. Das A und O des aus Mexiko stammenden | |
| Konzepts der Fuck-up-Nights sind Selbstironie und Humorbereitschaft. Man | |
| redet sich seine Unternehmer-„Fails“ von der Seele, scherzt und tröstet – | |
| und lernt am Ende für die Zukunft. | |
| Die erste Frau am Mikro ist eine junge Mechatronikerin aus Dithmarschen. | |
| Sie führte bis vor wenigen Wochen ein 3-D-Printstudio, das ausschließlich | |
| auf das Drucken von Facebook-Stickern spezialisiert war. „Wir alle kennen | |
| und lieben diese kultigen Icons, mit denen man einfach mal so sagen kann: | |
| ’Hallo-ho?!‘ Ich dachte mir: Warum benutzen wir die nicht als | |
| dreidimensionale Plastiken im echten Leben?“, erzählt die leicht zitternde | |
| Dithmarscherin ein wenig zu enthusiastisch. | |
| „Hier: Ich hab mal so einen Fuchs auf einem Skateboard ausgedruckt. Zum | |
| Totlachen! Hätte nur 2.000 Euro gekostet.“ Die skulpturgewordene | |
| Chat-Grafik sorgt für begeistertes Nicken im Publikum, bevor die Schöpferin | |
| sie versehentlich fallen und in hundert Teile zerspringen lässt. Warum die | |
| schwarzen Zahlen auf sich warten ließen, weiß die Erfinderin nicht. | |
| „Vielleicht hätte ich die Modelle nicht aus Eis anfertigen sollen. Die | |
| haben wirklich nicht lange gehalten, wenn es etwas wärmer war …“ | |
| ## Senn-Heiser für Kühe | |
| Der nächste Referent, ein rundlicher Blaumannträger mit schwerer | |
| Raucher-Dysphonie, hält etwas in die Höhe, das wie ein riesiger | |
| Ohrenschützer aus Flausch aussieht. „Bekanntlich“, hebt er an, „geben | |
| Rinder mehr Milch, wenn sie mit klassischer Musik beschallt werden. Doch | |
| wer den ganzen Tag Beethoven auf seinem Bauernhof laufen lässt, bei dem | |
| beschweren sich irgendwann die Ziegen. Deswegen habe ich die ersten | |
| Kopfhörer für Milchkühe erfunden. Senn-Heiser hab ich sie genannt, um vor | |
| allem bayerische Almhirten anzusprechen.“ | |
| Warum er mit dieser Idee auf die Nase gefallen ist? „Beim ersten | |
| Testdurchlauf gab es eine Stampede. Die Kühe sind durcheinandergerannt, | |
| dabei haben sich die Kopfhörerkabel heillos verheddert. Neunzehn Viecher | |
| wurden erdrosselt. Das hat mich in den Ruin getrieben.“ | |
| Gleich darauf stellt ein echtes „Orjinal“ sein Fuck-up vor: eine 92-jährige | |
| einbeinige Ex-Chansoneuse, die 2011 in Potsdam das erste | |
| Edel-Umzugsunternehmen gegründet hatte. Die Möbelpacker rückten stets mit | |
| Frack und Fliege an, der Transport des Hausrats wurde in historischen | |
| Brauereiwagen durchgeführt. Die Rechnung dafür, auf Büttenpapier und auf | |
| Wunsch in Latein ausgestellt, war nicht eben niedrig, wurde der Kundschaft | |
| aber per berittenem Boten persönlich zugestellt. Die Umzugsanmeldung musste | |
| schriftlich und ein halbes Jahr im Voraus erfolgen. | |
| „Als ich jung war, galt es als Selbstverständlichkeit, dass man ein Piano | |
| nur tragen durfte, wenn man es auch spielen konnte“, deklamiert die | |
| resolute Greisin, die während ihres Vortrags zweimal wiederbelebt wird. | |
| „Heute kutschieren die Leute ihren Krempel in klapprigen Mietkarren umher, | |
| pfui!“ Ich-AG ade, hieß es darum nach kurzer Zeit. Viel Applaus erntet die | |
| Seniorin dennoch, auch wenn sie davon nicht mehr viel mitbekommt – ihr | |
| Hörrohr geht unvermittelt in Flammen auf und schmilzt. | |
| ## Tinder auf grob | |
| Zwei Brüder mit abgebrochenem Medieninformatikstudium präsentieren | |
| „BeatPartner“, die erste Dating-App für Hooligans, die letztes Jahr | |
| immerhin einen Monat lang in Duisburg recht fleißig genutzt wurde (zwölf | |
| Verletzte, drei Vermisste). Erlebnisorientierte Fußballfans konnten damit | |
| Gleichgesinnte für ein spontanes Stelldichein und Schlagmichtot finden. | |
| „Tinder für die etwas gröbere Gangart“, umschreibt einer der Brüder das | |
| Projekt schmunzelnd. | |
| Es waren bereits weitere Features geplant: Über den Zusatzdienst | |
| „Instaslam“ sollten Porträtfotos, die nach dem „Treffen“ aufgenommen | |
| wurden, direkt an Notfallkliniken in der Nähe geschickt werden können, und | |
| eine Uber-ähnliche Bonus-App hätte die anschließende Fahrt zur nächsten | |
| Polizeiwache abgewickelt. Doch die zuständige polizeiliche | |
| Staatsschutzabteilung verbot „BeatPartner“, noch ehe es von Google gekauft | |
| werden konnte. | |
| Am Ende gibt der sichtlich zufriedene Moderator einen Ausblick auf das | |
| nächste Treffen: Keynote-Speaker wird dann sein ein junger Liberalenführer | |
| und mittlerweile Galionsfigur der Fuck-up-Szene; er wird berichten, wie er | |
| aus purem Spaß am „Ablosen“ eine marode Spaßpartei wiederzubeleben | |
| versucht. Ferner erwartet: ein Energiemanager aus Russland, der mit einem | |
| „Agenda 2010“ genannten Reformpaket einen kompletten Sozialstaat ad | |
| absurdum geführt hat, sowie ein greiser Unternehmer, der an seinen Traum | |
| vom „Hauptstadtflughafen“ glaubt. Man darf gespannt sein. | |
| 2 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Torsten Gaitzsch | |
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