# taz.de -- Interview zum Projekt „digitalpast“: Mit Twitter in den Kriegsa… | |
> Charlotte Jahnz nutzt Tweets zur Geschichtsvermittlung. Sie erklärt, wie | |
> sie mit vier weiteren Historikern die letzten Kriegsmonate 1945 | |
> rekonstruiert. | |
Bild: Vor allem über die Situation der Kinder im zweiten Weltkrieg will „dig… | |
taz: Wie kam das Twitterprojekt „digitalpast“ zustande? | |
Charlotte Jahnz: Moritz Hoffmann, der Initiator, ist November 2012 auf ein | |
Twitterprojekt des MDR gestoßen, in dem fiktive Personen getwittert haben, | |
wie sie 1989 den Mauerfall erleben. | |
Da kam ihm die Idee, dass man es auch wissenschaftlich aufziehen kann. Also | |
ohne fiktive Personen, sondern durch Augenzeugenberichte und | |
Ereignis-Schilderungen. Man hat ja für die neuere Geschichte in den meisten | |
Fällen Zugang zu vielen Quellen und die kann man so auch nutzen. | |
Beispiele für diese Art von Geschichtsprojekten auf twitter gab es damals | |
schon. Ein Absolvent der Universität Oxford rekonstruiert zum Beispiel den | |
gesamten Zweiten Weltkrieg mit Tweets. So etwas Ähnliches wollte Moritz | |
Hoffmann für die Reichspogromnacht auch machen, mit den Stimmen aus der | |
Bevölkerung, von Verfolgten und Tätern. | |
Wie sind Sie dann dazu gekommen? | |
Moritz Hoffmann hat wie ich in Bonn den Bachelor in Geschichte gemacht. So | |
kannte man sich über ein paar Ecken. Wirklich kennengelernt habe ich ihn | |
aber auf Twitter, genau wie im Laufe der Zeit ab 2009 auch die anderen drei | |
Teilnehmer des Projekts, die ebenfalls Historiker sind. Via Twitter ist er | |
dann auch mit seiner Idee an mich herangetreten. Die fand ich super und hab | |
mich dann entschlossen mitzumachen. | |
Nach dem Erfolg von @9nov38 war klar, dass wir weitermachen wollten und die | |
Erfahrungen, die wir mit dem Projekt gemacht haben, einarbeiten wollten. | |
Hinzu kam, dass der Propyläen Verlag an uns herangetreten ist und uns | |
angeboten hat, für das neue Projekt ein Buch zu schreiben. | |
Im Oktober 2014 haben wir uns dann zum ersten Mal alle getroffen, um dem | |
Buch „Als der Krieg nach Hause kam“ gemeinsam den Feinschliff zu geben. | |
Sonst machen wir fast alles über das Internet. Das geht auch nicht anders. | |
Wir leben in verschiedenen Städte. | |
Was hat Sie denn an der Idee fasziniert? | |
Ich interessiere mich generell für Geschichte, ist ja logisch für eine | |
Geschichtsstudentin. Aber besonders die Geschichtsvermittlung reizt mich | |
sehr. Und diese grauenhafte Phase der Geschichte, also der Zweite | |
Weltkrieg, mit Twitter zu vermitteln, empfand ich als Herausforderung, der | |
ich mich stellen wollte. | |
Warum ist das denn eine Herausforderung? | |
140 Zeichen können nicht abbilden, was geschehen ist. Aber mit mehreren | |
Tweets kann man wieder eine Geschichte erzählen, also auch | |
kontextualisieren, was uns als Historiker natürlich nochmal wichtiger ist. | |
Wir müssen deswegen auch überlegen, wie wir verschiedene Ereignisse | |
eindrucksvoll mit einem Tweet ausdrücken können und gleichzeitig darauf | |
achten, dass es auch in den gesamten Verlauf passt und eine von vielen | |
Geschichten des Zweiten Weltkriegs erzählt. | |
Ist Twitter denn überhaupt das richtige Medium für so eine Vermittlung? | |
Wird man den Ereignissen gerecht, wenn man sie auf 140 Zeichen reduziert? | |
Deswegen sollte man die Tweets nicht einzeln lesen, sondern im | |
Zusammenhang. Uns ist klar, dass das nicht ausreicht und deswegen ist | |
Twitter auch nur ein Medium für die Geschichtsvermittlung. Wir verlinken | |
auch auf unser Blog für mehr Informationen und vor allem auch für unsere | |
Quellenhinweise. Wir wollen transparent bleiben. Dazu gehört auch, dass wir | |
am Ende des Projekts eine Tabelle veröffentlichen werden, in der es zu | |
jedem Tweet eine Quellenangabe geben wird. | |
Wer will, kann also selber nachlesen, woher die Tweets kommen. Außerdem | |
haben wir zum Twitterprojekt auch ein Buch veröffentlicht: „Als der Krieg | |
nach Hause kam“. Darin haben wir einige Tweets veröffentlicht, aber wichtig | |
war es uns vor allem mehr Informationen zu der Situation der Bevölkerung zu | |
geben, zum Beispiel zu den Frauen und auch zu den Kindern. Alles gemeinsam | |
gibt einen guten Einblick auf die Chronologie der Ereignisse. | |
Sie haben also ein Blog und ein Buch. Wozu dann noch Twitter? | |
Man darf Twitter für die Geschichtsvermittlung nicht unterschätzen. Als | |
Beispiel: Unser erstes Projekt @9nov38 hat ja die Ereignisse um die | |
Reichsprogromnacht rekonstruiert. Wenn man da alle Tweets mitbekommen hat, | |
hat man ganz nebenbei 51 Seiten gelesen, einfach so, im Alltag. | |
Ihre Tweets erzählen ja nicht nur von den Ereignissen, sondern informieren | |
den Nutzer auch minutengenau darüber. Wieso haben Sie sich für diese Art | |
der Vermittlung entschieden? | |
Es ist nicht immer minutengenau, weil ja nicht immer die Uhrzeit in den | |
Quellen verzeichnet ist. Aber wir versuchen uns dann zumindest der | |
Tageszeit anzunähern. Das ist uns wichtig, weil die Tweets so zu einer | |
Verbindung zur Vergangenheit werden, so eine Quasi-Gleichzeitigkeit. So | |
wird man aus seinem Alltag abgeholt und taucht in die Vergangenheit ein. | |
Ganz schnell, ganz nebenbei. | |
Wie waren die ersten Reaktionen auf ihr Projekt? | |
Sehr positiv. Wir haben viele ermunternde Nachrichten bekommen und die | |
Leute sind interessiert und wollen mehr wissen. Sie empfehlen uns auch | |
weiter, damit uns mehr Leute folgen. Das gibt uns auch Motivation für die | |
nächsten Monate. | |
Wie lange wird das Projekt gehen? | |
Wir wollen ja die letzten Kriegsmonate nachzeichnen. Das ist unser | |
Schwerpunkt im aktuellen Projekt. Wir hören aber nicht mit dem 8. Mai 1945 | |
auf. Wir werden mit unseren Tweets auch die Nachkriegszeit darstellen, aber | |
nur sehr kurz. Wir haben nämlich noch Meldungen für Juni 1945. | |
Haben Sie noch andere Projekte dieser Art in Planung? Also noch ein anderes | |
historisches Ereignis, was sie so rekonstruieren wollen? | |
Darüber hab ich mir tatsächlich noch gar keine Gedanken gemacht. Ich bin so | |
drin in diesem Projekt, dass ich noch gar nicht weiter denken kann. Aber | |
ich will es gerne weitermachen. | |
Was ist Ihr Wunsch für „digitalpast“? | |
Ich möchte unsere Follower für die Beschäftigung mit Geschichte begeistern, | |
sodass sie mehr wissen wollen. Sie sollen animiert werden, selbst zu | |
recherchieren, wie der Alltag im Krieg in ihrer Umgebung war. Vielleicht | |
können sie ihre Familiengeschichte selbst erforschen oder mit Zeitzeugen | |
sprechen, solange das möglich ist. | |
31 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Laila Oudray | |
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