# taz.de -- Ausstellung über NS-Zeit: Verbrechen in Ost und West | |
> Eine Ausstellung im Hamburger Rathaus widmet sich Vergeltungsmaßnahmen | |
> der Wehrmacht am Ende des Krieges in den Niederlanden, in Frankreich und | |
> Belgien. | |
Bild: Wer es im besetzten Westeuropa nicht schaffte zu fliehen, lebte gefährli… | |
HAMBURG taz | Wenn es doch nur geregnet hätte! Doch die Sonne scheint hell | |
und klar am Mittag des 1. Oktober 1944. Und Cornelius Steijlen, Johannes | |
Kienhuis und Gerhardus Schiffmacher steigen auf ihre Fahrräder, nach dem | |
Gottesdienst in der kleinen niederländischen Gemeinde Haderwijk. Radeln | |
los, wollen angesichts des unerwartet guten Wetters in der benachbarten | |
Kleinstadt Putten eine Verwandte besuchen. | |
Sie radeln in Putten geradewegs hinein in eine Razzia des deutschen Heeres. | |
Denn nahe Putten haben Widerstandskämpfer tags zuvor einen Anschlag auf | |
einen PKW der Wehrmacht verübt, wobei ein Soldat ums Leben kam – und die | |
Deutschen wollen Rache nehmen. Sie greifen die drei Radler, stecken sie zu | |
den anderen rund 650 Männern, die sie auf dem Marktplatz von Putten | |
festhalten. Verfrachten sie in einen Zug, der sie am Ende ins KZ Neuengamme | |
bei Hamburg bringt. | |
Bei einem letzten, längeren Halt auf noch von den Deutschen besetztem | |
niederländischen Staatsgebiet gelingt es den dreien, einen | |
handgeschriebenen Zettel aus dem Zug zu werfen, der tatsächlich gefunden | |
und den Familien überbracht wird. Geschrieben steht: „Gestern Abend sind | |
wir auf Transport gegangen nach Deutschland.“ Und: „Wir sind | |
zuversichtlich!“ | |
Die drei werden ihre Familien nie wiedersehen. Knapp 71 Jahre später schaut | |
Frieda van Vliet in der Diele des Hamburger Rathauses auf eine Kopie dieser | |
letzten Nachricht und ist sichtlich berührt. „Cornelius war der Vater | |
meines Schwagers, der Mann meiner älteren Schwester“, erklärt sie. Auch mit | |
Johannes Kienhuis sei sie entfernt verwandt. Das Verschwinden der Männer | |
habe die Angehörigen über viele Jahrzehnte sehr belastet: „Cornelius‘ Soh… | |
also mein späterer Schwager, war zwei Jahre alt, als sein Vater inhaftiert | |
wurde, und er hat seinen Vater so vermisst“, sagt sie. | |
Sie nickt anerkennend in Richtung der Stelltafeln, auf denen in kurzen | |
Kapiteln, flankiert von Fotos, Landkarten und Kopien amtlicher Dokumente, | |
der Lebensweg auch ihrer Verwandten dokumentiert und die Hintergründe ihrer | |
Verschleppung dargelegt werden. | |
„Deportiert ins KZ Neuengamme – Strafaktionen von Wehrmacht und SS im | |
besetzten Europa“ heißt die Ausstellung im Umfeld des 27. Januar, dem | |
Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetische Soldaten 1945. | |
Auch in diesem Jahr wird die Schau von der Gedenkstätte Neuengamme | |
ausgerichtet, was seit 15 Jahren gute Tradition ist. „Diesmal haben wir uns | |
für einen direkten Bezug zu Neuengamme entschieden, auch weil wir selbst | |
lange nicht genau wussten, wer alles infolge von Vergeltungsaktionen aus | |
Europa nach Neuengamme verschleppt wurde“, erklärt Katja Hertz-Eichenrode, | |
Kuratorin der Schau. | |
Und so wird dort neben der Geschichte der verschwundenen Männer von Putten | |
auch die Vergeltungsaktion der Deutschen im französischen Murat im Juni | |
1944 und die in der belgischen Gemeinde Meensel-Kiezegem im August 1944 | |
erzählt. | |
Bemerkenswert ist dabei, wie unaufgeregt die Taten der deutschen Wehrmacht | |
neben denen der kämpfenden SS-Verbände thematisiert werden. Das sei | |
durchaus positiv, sagt Hertz-Eichenrode – „wobei allerdings immer noch | |
wenig bekannt ist, dass die Wehrmacht nicht nur im Osten, sondern auch in | |
Westeuropa Verbrechen verübt hat“. | |
Doch die Ausstellung belässt es nicht bei der Schilderung der | |
Kriegsereignisse. Erläutert wird auch, was nach Ende des Zweiten Weltkriegs | |
am 8. 5. 1945 geschah: wie schnell die Verbrechen vergessen wurden, wie | |
mühsam der Prozess der Aussöhnung verlief und dass kaum einer der | |
Verantwortlichen von deutschen Gerichten verurteilt oder bestraft wurde. | |
Friedrich Christiansen etwa, als General und Befehlshaber verantwortlich | |
für die Verschleppung der Männer von Putten, blieb bis 1980 Ehrenbürger | |
seiner Heimatstadt Wyk auf Föhr. Seine Rolle aufgedeckt hat schließlich | |
gegen viele Widerstände die Gedenkstätte Ladelund in Nordfriesland. In | |
Ladelund war zur NS-Zeit eine kurzzeitige Außenstelle des KZ Neuengamme, wo | |
ein Großteil der Männer aus Putten verstarb. Seit Längerem gibt es einen | |
intensiven Erinnerungsaustausch zwischen Putten und Ladelund. Auch davon | |
berichtet die Hamburger Ausstellung. | |
Eine zweite Spur führt nach Sandbostel bei Bremervörde. Im dortigen | |
Kriegsgefangenenlager, das in den letzten Kriegsmonaten zum KZ-Auffanglager | |
ausgebaut wurde, verstarb schließlich Cornelius Steijlen – kurz nach der | |
Befreiung des Lagers. Sein Schicksal hat einer seiner Enkel aufgeklärt, der | |
während eines schulischen Rechercheprojekts erst in Neuengamme und dann in | |
Sandbostel forschte. | |
Lange hat man sich in Sandbostel übrigens mit aller Kraft dagegen gewehrt, | |
an das Geschehene zu erinnern. Eine 1992 gegründete Gedenkstätteninitiative | |
versuchte erfolglos, einen Teil des ehemaligen Lagerareals zu erwerben, das | |
die örtliche Politik zuvor vorsorglich in ein Gewerbegebiet umgewidmet | |
hatte. | |
Das änderte sich erst, als sich 2004 der Hamburger Unternehmer Ivar | |
Buterfas einschaltete, der angesichts seiner guten Kontakte zum damaligen | |
niedersächsischen Ministerpräsident Christian Wulff wie auch zum | |
Oppositionsführer Sigmar Gabriel erreichte, dass ein Teil des Geländes von | |
einer Stiftung aufgekauft wurde. Danach wurde dort eine Gedenkstätte | |
errichtet. Große Teile des Geländes mit den einstigen Lagerbaracken werden | |
aber immer noch als Gewerbegebiet genutzt. | |
In Sandbostel ist schließlich, hochbetagt, auch die Frau von Cornelius | |
Steijlen noch gewesen. „Sie hat nicht wieder geheiratet, sie hat die | |
Deutschen lange abgelehnt, aber sie ist bei diesem Besuch sehr herzlich und | |
wahnsinnig nett empfangen worden“, erzählt Frieda van Fliet, die ihrerseits | |
seit Längerem in Hamburg lebt. Die Niederländerin formuliert es so: „Als | |
sie ein halbes Jahr später mit über 90 Jahren starb, hat sie gemeint, sie | |
möchte neben ihrem Mann in Sandbostel begraben sein, so viel Gutes hat ihr | |
der Besuch dort gebracht.“ | |
## „Deportiert ins KZ Neuengamme – Strafaktionen von Wehrmacht und SS im | |
besetzten Europa“: bis 8. Februar, Rathaus | |
25 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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