# taz.de -- Die Wahrheit: Das grübelnde Sandmännchen | |
> Auf den Spuren des IFO-Index. Wo und wie tickt das wichtigste | |
> Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft? Ein Ortstermin in München. | |
Bild: Das Orakel von München: Hans-Werner Sinn in seinem Büro. | |
München. Millionendorf. Macht und Moneten. Hort von Zaster und Laster. Und | |
Ort des sagenhaften Ifo-Instituts, des Instituts für Wirtschaftsforschung | |
samt seinem kinnbärtigen Leiter Professor Hans-Werner Sinn. Von dort, am | |
Hochufer der Isar in Bogenhausen – eine Lage, die sich eigentlich nur | |
Freimaurer und die jüdische Weltregierung leisten können –, von dort wird | |
monatlich der Ifo-Index getickert. Doch wie kommt dieses gefühlige | |
Barometer der germanischen Ökonomie zustande? Ein Ortsbesuch. | |
Bevor wir die heiligen Hallen des Instituts in der Poschingerstraße | |
betreten, treffen wir Eva „Evi“ Stadlmayr (54). Einem Insider-Tip zufolge, | |
weiß sie in Sachen Ifo-Index bestens Bescheid. Evi ist Geschäftsführerin | |
und CEO von „Evi’s Backstubn“, einem aufsteigenden | |
Backwarenfranchise-Unternehmen mit einer einzigen Niederlassung in | |
Schwabing. | |
„Freilich, es ist wahr!“ bestätigt Evi stolz, während sie ein Blech | |
knackige Brezn aus dem Ofen hievt. „Schon seit vierzehn Jahren werde ich, | |
wie viele andere deutsche Wirtschaftsbosse, monatlich vom Ifo-Institut | |
befragt. Und zwar vom Chef persönlich – gerade vorgestern war er wieder | |
da!“ | |
Denn der charakterbärtige Hans-Werner Sinn lässt kein Interview aus (vgl. | |
Spiegel, Zeit, FAZ, FAS, Münchner Studentenmagazin Philtrat, Ausgabe | |
2/2012). „Zum ersten Mal kam er 2001“, erinnert sich Evi, „ich dachte, das | |
Sandmännchen steht in der Tür.“ Doch dann habe sie die Pferdekutsche | |
gesehen, mit der er durch den Englischen Garten zu ihr ins Herz von | |
Schwabing gefahren war. „Der Sinn hat, unter uns gesagt, einen kleinen | |
Amish-Fetisch oder so, gell?“, mutmaßt die Bäckerin zwinkernd und | |
präpariert ein paar Leberkässemmeln. | |
Wie die Ifo-Befragungen durch den Herrn Professor denn üblicherweise | |
ablaufen, wollen wir von Evi wissen. „Ja mei, der Sinn kommt halt immer | |
mittags hineinspaziert, bestellt eine Auszogne und möcht hören, wie’s so | |
läuft.“ Ein „bisserl spanisch“ komme ihr, der Evi, das Ganze schon manch… | |
vor. Klage sie vor dem Sinn beispielsweise darüber, dass sich die Kinder | |
aus der Nachbarschaft, die „Hundskrüppel“, einen Spaß daraus gemacht | |
hätten, ihr „in die Krapfenauslage zu rotzen“, dann könne sie tags drauf … | |
der Süddeutschen lesen: „Ifo-Schock: Deutsche Wirtschaftselite sieht | |
schwarz!“ | |
Die letzten drei Male allerdings habe sie dem Professor Sinn freudig von | |
einer enormen Steigerung des Kaffee- und Butterbrezn-Ausstoßes berichten | |
können. „Kein Wunder“, findet Evi, schließlich sei die Konkurrenz, „der | |
Brutzelgrieche vom Eck“, kürzlich „zwecks Sanierung“ aus dem Haus geklagt | |
worden. Und die Nachbarschaftskinder seien von ihren Eltern zu „Tennis-, | |
Chinesisch- und Geigenstunden“ verdonnert worden, was den Absatz immens | |
befördert habe. Von daher wundere sie sich kein bisschen, dass der | |
Ifo-Index laut Spiegel nun schon „zum dritten Mal in Folge“ gestiegen sei, | |
zuletzt gar im Januar von „105,5 auf 106,7 Punkte“. | |
Das mit dem „guten Jahresauftakt der deutschen Wirtschaft“ stimme schon. | |
„Ein Ende des aktuellen Booms ist auch bei mir nicht abzusehen.“ Aufgrund | |
des niedrigen Ölpreises denke sie für „Evi’s Backstubn“ sogar darüber … | |
eine Fritteuse in Betrieb zu nehmen. „Pommes für die Geschäftsleute aus den | |
Social-Media-Büros!“, frohlockt Evi und verabschiedet sich in ihrem | |
fabrikneuen, weißblauen 7er-BMW in den Feierabend. | |
## „Top Secret!“ | |
Wir haben alles wirtschaftlich Wichtige notiert und machen uns nicht wie | |
Hans-Werner Sinn per Pferdekutsche, sondern zu Fuß auf nach Bogenhausen – | |
direkt zu seinem Ifo-Institut. Als wir das gutbürgerliche Gemäuer betreten, | |
werden wir von tibetanischem Obertongesang empfangen, überall glimmen | |
Räucherstäbchen. Die Herren des Instituts tragen Sinn-Kinn-Bärte, die Damen | |
eine Warze auf der Nase. In einem Konferenzraum legen Praktikanten | |
Tarotkarten, ein Trainee schreibt mit, rechnet etwas herum und fertigt dann | |
eine Fieberkurve an. | |
Auf die Frage nach Professor Sinn werden wir in sein Vorzimmer geschickt. | |
Sinns Sekretär, ein verhuschter Taschenrechner auf zwei Beinen, panikt bei | |
unserem Anblick: „Stören Sie nicht! Der Herr Professor befindet sich seit | |
gut 48 Stunden in Meditation!“ Die Zeit sei knapp, schon morgen müsse der | |
neue Index raus. „Und danach wollen Dutzende Interviews abgearbeitet | |
werden!“, liest der Sekretär klagend an der Außenseite einer Glaskugel ab. | |
Ob er uns trotzdem Hinweise geben könne, wie der Ifo-Index erstellt werde? | |
Der Taschenrechner auf zwei Beinen blockt ab: „Top Secret!“ Nur so viel | |
könne er uns verraten: Wenn der Professor Sinn von der Backstubn-Evi | |
zurückkehre, begebe er sich sofort zum Meditieren. Sei er fertig, trüge man | |
ihm die Befragungsbögen der anderen Wirtschaftsbosse in sein abgedunkeltes | |
Kämmerchen. Wenig später käme der Chef dann mit dem fertigen | |
„Ifo-Geschäftsklimabarometer“, kurz Ifo-Index, und einer Untertasse voller | |
Kaffeesatz und losgezwirbelter Barthärchen heraus. „Gehen Sie!“, drängt d… | |
verhuschte Sekretär uns zur Tür, „ich habe bereits zu viel verraten.“ | |
Im großen Aquarium des Vorzimmers sehen wir Krake Paul über einem | |
Mercedes-Stern und einer Toyota-Plakette schweben. Nach kurzer Bedenkzeit | |
setzt er sich auf den Stern. 2015 wird ein gutes Jahr für den Standort | |
Deutschland. | |
3 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Moritz Hürtgen | |
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