Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Entpolitisiert durch Hypnose
> Es ist Wahlkampfjahr: Die offene und schleichende Politisierung geht um.
> Mit dramatischen Folgen für den Geisteszustand der Nation.
Bild: Bislang war Einschläfern das beste Mittel im Wahlkampf: Kandidat Laschet…
Es sind ja alle Menschen nur noch politisiert – Jung und Alt politisiert
bis zum Gehtnichtmehr. Den Einwand, dass es auf den Dörfern noch eine
Jugend gibt, die Audis tieferlegt und sich ansonsten für nicht allzu viel
interessiert, kann man nicht mehr gelten lassen. Denn selbst ehemals fromme
Tuner loggen sich heute am Rastplatz bei Facebook ein und warnen vor einer
grünen Kanzlerin. Auch Zahnärztinnengatten und Maklerinnen – also Leute,
die nun wirklich überhaupt keinen Grund haben, sich je einen politischen
Gedanken zu machen – sind hochpolitisiert. Früher haben sie halt einfach
FDP gewählt. Jetzt machen sie das auch, aber aus politischen Gründen.
Sicher: Es ist Wahlkampf. Die Zeitungen sind voll von Politik. Aber neu
ist: Immer mehr Menschen begreifen ihre Kreuzchen am Wahlzettel als
politisches Statement. Längst lässt sich nicht mehr nur von einer
schleichenden Politisierung sprechen, die unsere Gesellschaft durchmacht.
Es ist radikale Politisierung im exponentiellen Wachstum. Grassierend! Und
woher kommt’s? Wer oder was trägt Verantwortung für die Politisierung an
jeder Milchkanne?
Darauf eine Antwort zu finden, die nicht selbst auch wieder zur
Politisierung beiträgt, ist schlechterdings unmöglich. Schreiben Sie mal
„Klimawandel“ oder „AfD“ oder ungelenk „Spaltung der Gesellschaft“ …
Text – zack! Schon ist Ihr Text politisiert, von der Kommentarspalte
darunter ganz zu schweigen.
Diese Politisierung kostet Nerven, macht die Leute kirre. Darf man das noch
sagen, ohne dass gleich wieder wer kommt und politisiert? Die Frage wird
hiermit zurückgenommen, auch sie hat zu großes Politisierungspotenzial.
Die Lage scheint insgesamt hoffnungslos, selbst der Konsum ist vollkommen
durchpolitisiert. Wenn man nach neuen Möbeln googelt, liest man zehn
Minuten später einen Text über Care-Arbeit. Versuchen Sie mal durch einen
Supermarkt zu navigieren, ohne politisiert zu werden! Ein aussichtsloses
Unterfangen.
## Schweinsteiger politisiert
Wieder daheim stellen Sie fix und foxi die Glotze an, und dann steht da ein
bis zur Entstellung politisierter Bastian Schweinsteiger und diskutiert
eine komplett durchpolitisierte Europameisterschaft. Ja, ist es denn zu
glauben? Apropos: Selbst die Kirchen sind politisiert, und zwar bis hoch
zum Franziskus.
Was also tun? Der Politisierung aktiv entgegenzutreten, birgt die Gefahr,
damit durch die Hintertür quasi auch wieder politischen Aktivismus zu
betreiben. Eine Petition gegen Politisierung kommt nicht infrage, bitte
unterlassen. Die einzige Möglichkeit wären unverbindliche
Aussteigerangebote. Keine Aussteigerkampagnen, keine Aussteigerbewegung gar
– weil dann ist alles ruck, zuck wieder … – genau!
Nein, stellen Sie sich einfach vor, Sie stießen über eine Zeitungsannonce
oder per Aushang an einer Ampel auf einen diskreten Kontakt: „Unverfänglich
und zwanglos: Entpolitisierung per Hypnose (Kassenleistung)“. Sie riefen
eine Festnetznummer an, bekämen Termin und Adresse. Freunden und Familie
könnten Sie erzählen, Sie hätten für ein langes Wochenende einen
Sensibilisierungsworkshop in Zusammenhang mit irgendeiner aktuellen Debatte
gebucht. Je politischer die Ausrede, desto glaubhafter. Und dann führen Sie
in eine Kleinstadt, verschwänden in einem unauffälligen Reihenhaus – und
kämen nach 48 Stunden vollständig entpolitisiert wieder heraus. Jede
Anspannung wäre wie aus Ihnen gewichen. Sie fühlten sich nicht glücklicher,
aber irgendwie beruhigt.
Es gibt diese Angebote inzwischen an vielen Orten in der gesamten Region.
Halten Sie einfach die Augen offen. Bewahren Sie Diskretion, wenn Sie einen
Aushang finden. Verhalten Sie sich nach ihrer Entpolitisierung normal,
simulieren Sie zur Not ab und zu Interesse an politischen Diskussionen.
Hängen Sie Ihre Entpolitisierung niemals an die große Glocke. Und – um
Gottes willen! – bitte vernetzen Sie sich hinterher nicht mit anderen
Entpolitisierten.
16 Jul 2021
## AUTOREN
Moritz Hürtgen
## TAGS
Armin Laschet
Wahlkampf
Politik
Die Wahrheit
Olympische Winterspiele 2022
Gedicht
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
Horst Seehofer
Wirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Pionier des Knips’n’Roll
Volle Kanne guinnessbuchreif: Harald Metzmeier aus Frankfurt am Main machte
wohl weltweit als erster Mensch ein Handyfoto auf einem Konzert.
Die Wahrheit: Die Xi-Spiele können beginnen
Gibt es noch Originelles über die dräuenden Winterspiele anno 2022 in
Peking zu berichten? Lose olympische Gedanken.
Die Wahrheit: Schicksalslink
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die verehrte
Leserschaft an einem Poem über eine gegenderte Liebe erfreuen.
Die Wahrheit: Angst vor Wahlen
Normalerweise ist Donnerstag Gedichtetag. Aus besonderem Anlass können sich
die Leser am Freitag an einem politischen Poem erfreuen.
Die Wahrheit: Sexy Terrorbiester
Nach dem Sexskandal in der Münchner Parteizentrale verspricht CSU-Chef
Horst Seehofer schonungslose Keuschheit.
Die Wahrheit: Das grübelnde Sandmännchen
Auf den Spuren des IFO-Index. Wo und wie tickt das wichtigste
Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft? Ein Ortstermin in München.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.