| # taz.de -- Streit um Gedenkstätte Olympia-Attentat: Kein Raum für Erinnerung… | |
| > Elf Tote forderte das Attentat auf die Olympischen Spiele 1972 in | |
| > München. Nun kämpfen Angehörige für einen Gedenkort, doch Anwohner | |
| > stellen sich quer. | |
| Bild: Im Fokus der Aufmerksamkeit: der Entwurf für die Gedenkstätte des Olymp… | |
| MÜNCHEN/TEL AVIV taz | Gerade murmelte Ludwig Spaenle noch etwas von | |
| „miteinander reden“, jetzt reicht es dem bayerischen Kultusminister. Mit | |
| rotem Kopf gibt er das Mikro aus der Hand. Buhrufe aus dem Publikum, einer | |
| ruft: „Geh hoam!“. Es sind 500 gegen einen. Bis zu den Eingängen der | |
| kleinen Kirche drängen sich die Einwohner des Olympiadorfs. Sie wollen | |
| Spaenle bei einer Einwohnerversammlung klarmachen, was sie davon halten, | |
| dass quasi in ihrem Vorgarten eine Gedenkstätte für die Opfer des | |
| Olympia-Attentats 1972 stehen soll: nichts. | |
| Bei den „heiteren Spielen“ wurden 1972 elf israelische Sportler und ein | |
| bayerischer Polizist von palästinensischen Terroristen ermordet. Eine | |
| kleine Gedenktafel vor dem Haus der Geiselnahme und ein Granitbalken im | |
| Olympiapark erinnert an ihren Tod. Kein Satz erklärt, wie es zu einem der | |
| ersten internationalen Terroranschläge in Europa nach 1945 kam, keine Fotos | |
| der Ermordeten, kein Wort vom kläglichen Versagen der deutschen | |
| Sicherheitskräfte. | |
| Das soll sich 43 Jahre nach dem Attentat ändern. Am Ort des Terrors soll | |
| die Gedenkstätte stehen. Ein Schnitt durch einen der Hügel vor dem | |
| Olympiadorf soll den Einschnitt sichtbar machen, den dieser Tag in der | |
| Geschichte Deutschlands und bei den Angehörigen hinterließ. Der Vorschlag | |
| aus dem abgeschlossenen Wettbewerb sieht vor, dass eine Hügelkuppe auf | |
| Stelzen eine 130 Quadratmeter große Fläche überdacht. | |
| Doch die Anwohner wollen sich ihren Park nicht zerschneiden lassen. Wer | |
| „Nein zur Bebauung“ ins Mikrofon ruft, erntet tobenden Applaus. Gedenken | |
| ja, aber nicht dort, wo ihre Kinder im Winter Schlitten fahren. Fast 2.000 | |
| Unterschriften sammelten sie gegen den Standort. Minister Spaenle versuchte | |
| es mit dem Nachbarhügel, der ans Studentendorf grenzt. Gedenken ja, aber | |
| nicht dort, wo die Studenten im Sommer picknicken. Als Spaenle nach vier | |
| Stunden um 11 Uhr nachts den Saal verlässt, bleiben rund 500 Bürger, die er | |
| besänftigen muss, eine Suche nach einem Standort, die zum dritten Mal | |
| beginnt, und Ankie Spitzer, der er die Sache auch erklären müsste. | |
| ## Das friedliche Gesicht | |
| Ankie Spitzer sitzt in ihrer Küche in Tel Aviv. Ihre 69 Jahre sieht man der | |
| Frau mit den frisch lackierten roten Nägeln und den wachen, dezent | |
| geschminkten Augen nicht an. Sie war 25 Jahre alt, eine Holländerin mit | |
| langen, blonden Haaren, als sie sich in Holland in ihren Fechtlehrer | |
| verliebte, den Israeli André Spitzer – groß, schlank mit schwarzer | |
| 70er-Jahre-Matte. Auf ihrem Hochzeitsvideo tanzt sie mit ihm im weißem | |
| Kleid über den Rasen, ein Jahr später steht sie an seinem Grab. André | |
| Spitzer war der Fechttrainer der israelischen Mannschaft und nahm seine | |
| Frau mit nach München, zu den „heiteren Spielen“. | |
| Für Deutschland war es die Chance, der Welt ein neues, friedliches Gesicht | |
| zu zeigen. Die Antithese zu den Spielen 1936 in Berlin, als die Sportler | |
| den Arm zum Hitlergruß reckten. Nur 36 Jahre später trug die israelische | |
| Mannschaft ihre Fahne ins Stadion. „Hier ist alles möglich“, sagte André | |
| Spitzer damals und schüttelte den libanesischen Athleten die Hand, mit | |
| dessen Nation Israel im Krieg lag. | |
| Am 2. September reiste das Ehepaar Spitzer nach Holland, um ihre fünf | |
| Wochen alte Tochter bei den Großeltern zu besuchen. Weil sich André Spitzer | |
| von ihr nicht losreißen konnte, verpasste er den Zug. Er wollte noch einen | |
| Tag bleiben, doch Ankie Spitzer raste mit dem Auto zur nächsten Station. | |
| Ihr Mann bekam den Zug. Es war der 4. September, ein Tag vor dem Attentat. | |
| Ein paar Minuten später und er wäre noch am Leben. | |
| Am 5. September, um 4.30 Uhr klettern acht Palästinenser in | |
| Trainingsanzügen über den Zaun des Olympiadorfs, in ihren Sporttaschen | |
| haben sie Waffen. Es ist das Zimmer von André Spitzer, in dem sie ihn und | |
| 10 israelische Sportler gefangen halten, in dem der Gewichtheber Josef | |
| Romano nach qualvollen Stunden verblutet. | |
| ## Ein dilettantischer Befreiungsversuch | |
| Die Terroristen drohen, jede Stunde eine Geisel zu erschießen, wenn Israel | |
| nicht bis 12 Uhr zusagt, 200 palästinensische Gefangene freizulassen. Ankie | |
| Spitzer starrt in Holland mit ihrer Familie auf den Fernseher. „Jetzt | |
| werden sie ihn töten“, denkt sie bei jedem Ultimatum, das verstreicht. Um | |
| 12 Uhr, um 15 Uhr, um 17 Uhr. Dann sieht sie ihren Mann ein letztes Mal auf | |
| dem Bildschirm. Er steht gefesselt am geöffneten Fenster, Kalaschnikows | |
| stoßen ihn zurück ins Zimmer. | |
| Am Abend werden Terroristen und Geiseln zum Fliegerhorst Fürstenfeldbruck | |
| geflogen. Ankie Spitzer erlebt den dilettantischen Befreiungsversuch und | |
| sein grausames Ende am Fernseher: Stille, eine Explosion, Dunkelheit, | |
| Schüsse, eine Stunde lang Schüsse, eine Flamme und wieder Stille. Fünf | |
| Terroristen, alle neun Geiseln und ein Polizist sind tot. | |
| Ankie Spitzer fliegt sofort nach München, geht in das Zimmer, in dem ihr | |
| Mann seine letzten Stunden erlebte. Sie sieht das Blut, die | |
| Einschusslöcher. Das Einzige, was sie von ihrem Mann mit nach Israel nimmt, | |
| ist das Olympia-Maskottchen Waldi, ein Stofftierdackel. Ihr Mann hatte ihn | |
| für ihre Tochter gekauft. | |
| Spitzer erzählt ihre Geschichte seit mehr als 40 Jahren, Politikern, | |
| Journalisten, Anwälten. Nie glaubte sie der offiziellen deutschen Version, | |
| dass nur die Terroristen für den Tod ihres Mannes verantwortlich seien. Sie | |
| wollte die Akten einsehen, schrieb an die damaligen Bundeskanzler Willy | |
| Brandt und später an Helmut Schmidt, redete mit Exaußenminister | |
| Hans-Dietrich Genscher. Immer hieß es: Es gibt keine Akten. | |
| ## Uniformen, aber keine Waffen | |
| Bis Spitzer 1992 von einem anonymen Unterstützer einen Briefumschlag mit 80 | |
| Seiten geheimer Dokumente zugeschickt bekam. Plötzlich fanden die deutschen | |
| Behörden fast 4.000 Akten, ein Zeugnis ihres Versagens. Die 2.000 | |
| Sicherheitsleute trugen hellblaue Uniformen, aber keine Waffen. Das Dorf | |
| war fast unbewacht. Als das Kommando „Feuer frei“ gegeben wurde, wusste der | |
| Einsatzleiter nicht, wie viele Terroristen es waren. Die fünf | |
| Scharfschützen hatten weder eine Ausbildung noch Präzisionsgewehre, Funk | |
| oder kugelsichere Westen. | |
| Zweimal verklagten die Angehörigen die Stadt München, Bayern und die | |
| Bundesregierung auf Schadenersatz, zweimal wurden sie wegen Verjährung | |
| abgewiesen. 2002 zahlte die deutsche Regierung 3 Millionen Euro. Nach Abzug | |
| der Gerichtskosten blieben für jeden Angehörigen rund 40.000 Euro. Kein | |
| Schuldeingeständnis, nur eine „humanitäre Geste“. | |
| Umso wichtiger ist Spitzer, dass es endlich einen Ort gibt, an dem das | |
| Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden klar benannt wird. Mehr als 30 | |
| Jahre kämpft sie für eine solche Gedenkstätte, jetzt soll sie kommen. „Es | |
| muss dort sein, wo das Attentat passierte“, sagt sie. Der Protest der | |
| Anwohner ist für sie „egoistisch“. „Dort wurden Menschen ermordet. Warum | |
| wollt ihr das verstecken?“ | |
| Till von Feilitzsch ist einer der Sprecher des Olympiadorfs. Niemand wolle | |
| etwas verstecken. „Es braucht mehr Information“, sagt er. Doch nicht nur | |
| über das Attentat. Seine Wohnung ist eine Hommage an die „heiteren Spiele“: | |
| eine orangefarbene 70er-Jahre-Bank, Olympia-Gedenkmünzen eingerahmt an der | |
| Wand. Für ihn ist das Olympische Dorf „der Geist der 68er in Beton“. Auch | |
| daran müsste erinnert werden. Aber nicht in seinem „Garten“. | |
| ## Der Park sei die einzige Grünfläche | |
| Feilitzsch zeigt bei einem Spaziergang, warum. Rechts von ihm kleine | |
| Bungalows, links neunstöckige Betonblöcke. Dicht an dicht leben hier um die | |
| 7.000 Menschen. Als Ausgleich für die räumliche Enge haben sie nur den | |
| Olympiapark. Für seine Instandhaltung zahlt die Stadt München fast 7 | |
| Millionen Euro im Jahr. Wer hier wohnt, hat Glück gehabt. | |
| Ihr Privileg wollen sich die Anwohner nicht verbauen lassen. Die | |
| Hügellandschaft vor ihrer Tür sei ihre einzige Grünfläche. Darauf | |
| schlängelt sich ein Weg, dahinter stehen ein paar Bäume auf einer Wiese. | |
| Diesen Fleck hat Kultusminister Spaenle den Anwohnern als dritten Standort | |
| angeboten. Damit könnten sie leben, heißt es. Aber nur, wenn sie an der | |
| Ausgestaltung der Gedenkstätte beteiligt würden. Ankie Spitzer sagt: „Ich | |
| kann nicht länger warten.“ Ihr ist mittlerweile egal, wie der Ort des | |
| Erinnerns aussieht. Hauptsache, es gibt ihn endlich. | |
| 8 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Lisa Schnell | |
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