# taz.de -- China diskriminiert Uiguren: Flucht in die Türkei | |
> Peking erhöht den Druck auf die muslimische Minderheit der Uiguren. | |
> Tausende sind seit dem vergangenen Sommer in Istanbul eingetroffen. | |
Bild: Uiguren verlassen eine Moschee im westchinesischen Kashgar. | |
ZEYTINBURNU/ISTANBUL taz | Recep Sadettin Akyol ist eigentlich | |
Gemüsehändler, doch für seinen Laden hat er im Moment wenig Zeit. Seit zwei | |
Monaten ist er fast rund um die Uhr von seinem Ehrenamt als Vorsitzender | |
des Vereins der „Einwanderer aus Ost-Turkestan“ in Anspruch genommen. „No… | |
nie haben sich so viele hilfesuchende Neuankömmlimge an uns gewandt wie im | |
Moment“, erzählt er. „Unsere Brüder und Schwestern aus China flüchten in | |
Scharen, und die meisten kommen zu uns in die Türkei“. | |
Sein Verein kümmert sich um die Flüchtlinge – Uiguren, die ethnisch zu den | |
Turkvölkern gehören und meist Muslime sind. „Die Uiguren“ wurden in China | |
schon immer unterdrückt“, sagt Recep Sadettin Akyol, dessen eigene Familie | |
schon in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus der Volksrepublik | |
eingewandert ist. „Aber so schlimm wie zur Zeit war es noch nie.“ | |
Viele wollen deshalb ihre Heimat verlassen – und viele haben den Schritt | |
bereits gemacht: Seit Mitte 2014 sind rund 7.000 Uiguren in die Türkei | |
gekommen, besonders viele aber seit Januar diese Jahres. „Sie dürfen ihre | |
Religion nicht mehr ausüben“, meint Herr Akyol, „Frauen wird der Schleier | |
vom Gesicht gerissen und die Männer werden auf dem Weg in die Moschee | |
verprügelt.“ | |
Tatsächlich sind für die Region Xingjiang ganz im Nordwesten Chinas, in der | |
die Uiguren zu Hause sind, Anfang Februar neue restriktive Regeln in Kraft | |
getreten. In der Hauptstadt Urumqi ist es beispielsweise „an öffentlichen | |
Orten verboten, Sachen zu tragen, die das Gesicht verdecken oder den Körper | |
einhüllen“, wie es in Artikel 2 der Order heißt. Auch in anderen Orten | |
Xinjiangs ist es Parteifunktionären, Staatsangestellten, Lehrerinnen oder | |
Schülern untersagt, Bart oder Schleier zu tragen. | |
## Der globale Dschihad | |
Die chinesische Regierung begründet das als Maßnahme gegen den globalen | |
islamistischen Dschihad, dem sich angeblich immer mehr Uiguren anschließen | |
würden. Die Behörden behandeln flüchtende Uiguren, die an der Grenze zum | |
Nachbarland Vietnam aufgegriffen werden, deshalb oft gleich als potentielle | |
Terroristen, die angeblich in den Dschihad ziehen wollten. | |
Recep Sadettin Akyol hält das für Unsinn. „Sicher“, sagt er, „es gibt e… | |
paar junge zornige Männer unter den Uiguren, die den falschen Versprechen | |
der Islamisten geglaubt haben und nach Syrien gegangen sind.“ Das seien | |
aber „nur sehr wenige – viel weniger, als aus westlichen Staaten nach | |
Syrien in den Krieg gezogen sind.“ Der wahre Grund für die Entscheidung, in | |
der Türkei ihr Glück zu suchen, sei ein anderer: „Unsere Leute hier klagen | |
über Diskriminierung und Perspektivlosigkeit in China.“ | |
Allerdings ist die Flucht in die Türkei – das einzige Land, in dem sie | |
problemlos aufgenommen werden – für die meisten Uiguren ein langes und | |
gefährliches Unterfangen. Denn die Grenze Xinjiangs nach Westen, nach | |
Kirgistan oder Kasachstan, ist streng bewacht. Darüberhinaus erschweren | |
hohe Berge den Weg. Deshalb gehen die meisten erst einmal nach Süden: Sie | |
versuchen über Vietnam, Laos und Thailand nach Malaysia zu kommen. | |
Im muslimischen Malaysia hilft man ihnen weiter in die Türkei. Wie diese | |
Unterstützung aussieht, wollen die Flüchtlinge nicht erzählen. Das würde | |
die Reise derjenigen, die noch unterwegs sind, nur erschweren. Sadettin | |
Akyol geht davon aus, dass im Moment noch 4-5000 uigurische Flüchtlinge auf | |
dem Weg in die Türkei sind. | |
## Eine privilegierte Gruppe | |
Die meisten, die in Istanbul ankommen, wenden sich als erstes an das Büro | |
von Sadettin Akyol in Zeytinburnu, einem armen Arbeiterstadtteil, in dem | |
auch viele andere Flüchtlinge Unterschlupf gefunden haben. „Sie können | |
unsere Adresse benutzen um sich bei der Polizei anzumelden“ sagt Herr | |
Akyol. In einem pro forma Verfahren wird ihre Einwanderung dann legalisiert | |
und sie können einen Daueraufenthalt oder eine Einbürgerung beantragen. | |
Ende Januar hat der türkische Staat eine Gruppe von 500 Uiguren in | |
Wohnungen im zentralanatolischen Kayseri untergracht, Wohnungen, die | |
eigentlich für Polizeioffziere gebaut worden waren. „Wir helfen jetzt | |
weiteren Neuankömmlingen dass sie Wohnungen in Kayseri bekommen“, erzählt | |
Sedattin Akyol stolz. | |
Die Uiguren sind in der Türkei, anders als Flüchtlinge aus Afghanistan, dem | |
Iran oder dem Irak eine privilegierte Gruppe. Für die türkischen | |
Nationalisten sind sie der östlichste Vorposten von Großturkistan und für | |
die Religiösen darüberhinaus unterdrückte Glaubensbrüder, denen man helfen | |
muss. | |
Die türkische Regierung weist allerdings Vorwürfe zurück, dass sie aktive | |
Fluchthilfe leisten würde. „Für uns sind die Flüchtlinge aus China ein rein | |
humanitäres Problem“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums gegenüber | |
der Zeitung Hürriyet. | |
24 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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