| # taz.de -- Fußball-WM 2022: Schuften, bis die Wüste lebt | |
| > Auch im Hinblick auf die Fußball-WM 2022 kündigte Katar bessere | |
| > Arbeitsverhältnisse an. Doch die Gastarbeiter werden nach wie vor brutal | |
| > ausgebeutet. | |
| Bild: Damit die Skyline hübsch wird, arbeiten in Katar Ausländer unter miesen… | |
| DOHA taz | Katar ist aufgewacht. Der Emir persönlich zeigte sich | |
| erschrocken über die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen | |
| Arbeiter in seinem Land, die westliche Medien in der Vorberichterstattung | |
| zur Fußball-WM 2022 kritisierten. Und er versprach Reformen. Die staatliche | |
| Qatar Foundation, selbst Erbauerin eines WM-Stadions, verpflichtete sich | |
| zur Einhaltung ethischer Mindeststandards bei der Einstellung von | |
| Arbeitsmigranten. Das Supreme Committee, der Organisator der Fußball-WM und | |
| Erbauer von mindestens fünf Stadien, zog mit ähnlichen Standards nach. | |
| Doch an der Realität der meisten der etwa 1,8 Millionen Arbeitsmigranten | |
| ändern diese Bemühungen wenig. | |
| Doha, Industrial Area. Hier schlägt das Herz des Bauwunders Katar. Mehrere | |
| 100.000 Arbeiter sind in diesem etwa acht mal acht Kilometer großen Areal | |
| untergebracht. Es liegt 20 Kilometer südwestlich der hypermodernen Skyline | |
| der Hauptstadt Doha. Extravagant geformte Wolkenkratzer findet man hier | |
| nicht. Hinter staubigen Straßen, über die ständig Lkw-Konvois rollen, | |
| liegen maximal vierstöckige Lagerhäuser, Fabriken und Wohnheimkomplexe. | |
| „Wir leben in einem Lagerhaus. Ein Raum ohne Fenster, nur eine Glühbirne an | |
| der Decke. Zehn Leute im Zimmer“, erzählt Nurdeen, ein Rohrleger aus | |
| Bangladesch. Die Miete von insgesamt 2.500 Rial, etwa 600 Euro, darf sich | |
| der katarische Besitzer der Lagerhalle pro Monat in die Tasche stecken, | |
| weil er fünf Doppelstockbetten aufgestellt und ein paar Trennwände | |
| eingezogen hat. | |
| ## Arbeiten mit „freiem Visum“ | |
| Nurdeen gehört zum Subproletariat in Katar. Dabei hat er es eigentlich | |
| recht schlau angestellt: Mit einem sogenannten freien Visum kam er in den | |
| Wüstenstaat. Das gibt es offiziell gar nicht, denn Visa sind unmittelbar an | |
| Arbeitsstellen geknüpft. Manche Arbeitgeber stellen aber fest, dass sie auf | |
| einmal mehr Visa für Arbeitskräfte haben, als sie benötigen. Die verkaufen | |
| sie oft auf dem grauen Markt – eine Praxis, die eine im letzten Jahr | |
| publizierte Studie der Qatar Foundation detailliert beschrieben hat. | |
| Um seinem Sohn ein „freies Visum“ zu ermöglichen, verkaufte Nurdeens Vater | |
| ein Reisfeld. „Mit einem freien Visum kannst du 2.000 Rial im Monat | |
| machen“, sagt Nurdeen, „mit einem, das dir dein Arbeitgeber besorgt, nur | |
| 1.000 Rial.“ In den neun Monaten, die er bislang in Katar verbrachte, fand | |
| er jedoch nur Arbeit für vier Monate. „Katar ist kein Traumland für | |
| Arbeiter“, sagt er enttäuscht. Und erzählt von einer weiteren schmerzlichen | |
| Erfahrung: „Der katarische Arbeitgeber zahlte wirklich 2.000 Rial. Der | |
| Vorarbeiter, der mir den Job vermittelt hat, strich aber 1.000 Rial ein.“ | |
| Die Ausbeutung untereinander ist Teil des Systems, der das Arbeiten in | |
| Katar unerträglich machen kann. | |
| Dass der Rohrleger aus Bangladesch gute Gründe hatte, sich um ein | |
| halblegales Visum für Katar zu bemühen, zeigt der Fall des Bauarbeiters | |
| Nabin aus Nepal. Nabin zahlte eine Million nepalesischer Rupien als | |
| Rekrutierungsgebühr. Das sind knapp 9.000 Euro. Er verdient im Monat mit | |
| Überstunden 1.300 Rial – ein durchaus üblicher Tarif, der deutlich über dem | |
| Mindestlohn von 900 Rial liegt, den Nepal für seine ins Ausland geschickten | |
| Arbeiter gesetzlich festschreiben ließ. Nur um die Rekrutierungsgebühr | |
| abzuzahlen, müsste Nabin theoretisch 28 Monate arbeiten – und dabei nicht | |
| krank werden, immer Überstunden haben und diese auch bezahlt bekommen. | |
| Die Rekrutierungsgebühr wird selbst von der Qatar Foundation „Erpressung“ | |
| genannt. Ray Jureidin vom Zentrum für Migrationsforschung der American | |
| University in Kairo, der im Auftrag der Qatar Foundation die Studie | |
| verfasst hat, beschreibt detailliert, wie die ärmsten der Arbeiter ganz | |
| besonders ausgebeutet werden. „Die ungelernten Arbeiter zahlen für alle | |
| Kosten, inklusive medizinische Untersuchung, Vorbereitungsseminare und | |
| Werbung. Facharbeiter zahlen nur die Hälfte. Das Geld, das man den vielen | |
| ungelernten Arbeitern abnimmt, subventioniert die Anwerbung der besser | |
| ausgebildeten Arbeitskräfte.“ | |
| Die jetzt beschlossenen Reformen sehen die komplette Abschaffung der | |
| Vermittlungsgebühr vor. Sie verpflichten Arbeitgeber zur korrekten | |
| Bezahlung der Löhne, sollen Erleichterungen bei der Ausreise schaffen und | |
| es Arbeitern ermöglichen, den Arbeitgeber wechseln zu können – zumindest | |
| nach Auslaufen des Vertrags. Angekündigt wurden die Reformen im Mai letzten | |
| Jahres, passiert ist noch nichts. | |
| ## Angekündigte Verbesserungen | |
| „Katar bemüht sich“, erzählt Nicholas McGeehan, Verantwortlicher von Human | |
| Rights Watch für die Golfregion. „Das Gute ist, dass NGOs zu dem Thema in | |
| Katar arbeiten können und wir auch hochrangige Ansprechpartner in den | |
| Ministerien finden. Aber das Tempo der Umsetzung ist enttäuschend.“ | |
| Langsam arbeitet auch das Supreme Committee. Es hat die ethischen | |
| Mindeststandards erst veröffentlicht, als die Arbeiten zum | |
| Al-Wakrah-Stadion, die von Stararchitektin Zaha Hadid erdachte bionische | |
| Entertainmentschüssel, bereits begonnen hatten. Die Standards sehen unter | |
| anderem das Verbot von Rekrutierungsgebühren, pünktliche und korrekte | |
| Lohnzahlungen und ansprechende Unterkünfte vor. „Wir kontrollieren das. Der | |
| Hauptauftragnehmer ist dabei verantwortlich für seine Subauftragnehmer“, | |
| versichert Farah al-Muftah, Verantwortliche für Arbeitsbedingungen beim | |
| Supreme Committee, der taz. | |
| Al-Muftah ist eine moderne Katarerin, die ihre Gäste ganz ohne | |
| landestypischen Schleier im 33. Stockwerk des eleganten Al-Bidda-Towers | |
| empfängt. Sie macht den Eindruck, sich energisch für Verbesserungen | |
| einzusetzen, und sie gibt auch dabei auftauchende Probleme zu. „Es gab | |
| Beschwerden über die Qualität der Unterkunft und des Essens“, sagt sie und | |
| bittet: „Man muss auch Geduld haben.“ Immerhin, zwei Drittel der Bewerber | |
| um Aufträge beim Stadionbau hat das Supreme Committee schon aussortiert: | |
| Eigene Kontrollen ergaben, dass die Qualität der Unterkünfte mangelhaft | |
| waren. | |
| Allerdings sind die in Doha selbst tätigen Stadionbauarbeiter laut | |
| al-Muftah allesamt im Industrial Area untergebracht – und dort nicht in den | |
| Vorzeigesiedlungen, die der Staat gegenwärtig baut, sondern in Wohnheimen | |
| der Vertragsnehmer. Im Gespräch mit der taz gibt al-Muftah auch zu, dass es | |
| „Herausforderungen bei der Bezahlung und der Abrechnung von Überstunden“ | |
| gibt. Wie genau diese „Herausforderungen“ aussehen, kann man dort | |
| beobachten, wo die zukünftigen Stadien in ihrer Rohform vorliegen. | |
| In Mesaieed, etwa 40 Kilometer südlich von Doha, sind riesige künstliche | |
| Dünen in die Wüste gesetzt. Bagger und Dumper fahren darauf und beladen | |
| Fahrzeuge mit dem graubraunen Material. „Acht Millionen Tonnen Sand liegen | |
| hier“, sagt A., Ingenieur der Qatar Primary Materials Company (QPMC), und | |
| weist mit einer Hand auf die grauen Berge gewaschenen Sands ringsum. „Das | |
| ist der Stoff, aus dem die Stadien sind“, sagt er noch. Extra für das | |
| WM-Infrastrukturprogramm vergrößerte QPMC seine Produktionskapazität. | |
| ## Bis zu 15 Stunden pro Tag | |
| Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Fahrer der Bagger und | |
| Lastwagen hat in dem Unternehmen mit der Monopolstellung allerdings keine | |
| Priorität. Zwar hat auch QPMC aufgrund des weltweiten Drucks auf Katar ein | |
| paar neue Bestimmungen eingeführt. „Sie haben jetzt eine Arbeitszeit von 8 | |
| Stunden pro Tag festgelegt“, berichtet A., der wegen der Turbulenzen des | |
| Arabischen Frühlings in Katar anheuerte. „Sie haben aber auch gesagt, dass | |
| Überstunden bis hin zu 12, im Einzelfall bis 15 Stunden pro Tag erlaubt | |
| sind, wenn andernfalls das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten | |
| gebracht wird.“ Entsprechend geht es zu: „Sie sagen natürlich immer, dass | |
| sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten würden, wenn wir keine | |
| Überstunden machen. Von vier, fünf Überstunden pro Tag bezahlen sie den | |
| Arbeitern aber nur zwei.“ | |
| Dass die Regierung ihre Reformversprechen für den gesamten Arbeitsmarkt | |
| verzögert, liegt nach Einschätzung des Human-Rights-Watch-Experten Nicholas | |
| McGeehan an konservativen Wirtschaftskreisen: „Leider hat man es noch nicht | |
| geschafft, sie zu überzeugen, dass eine grundlegende Reform des | |
| Arbeitsmarkts auch zum Besten von Katar wäre.“ | |
| Und so ist die Einschätzung von Nabin, dem Bauarbeiter aus Nepal, | |
| gegenwärtig die typische: „Katar ist deprimierend. Hier kannst du nur | |
| arbeiten, essen und schlafen. Du darfst nicht tanzen, nicht singen, keinen | |
| Alkohol trinken. Das ist kein freies Land“, meint er und widmet sich im | |
| Industrial Area seiner einzigen Freude in der langen Nacht vor dem | |
| arbeitsfreien Freitag: einem Curryhuhn aus der Bräterei um die Ecke. Die | |
| meisten Kinos, Shoppingzentren und auch viele Sportanlagen sind nicht nur | |
| wegen der Entfernung und der Eintrittspreise nichts für Arbeiter wie ihn. | |
| Oft pflegen sie eine „Family friendly“-Politik, die es alleinstehenden | |
| männlichen Arbeitern gar nicht erlaubt, diese Anlagen als Gäste zu | |
| betreten. Das ist versteckte, aber sehr wirksame Segregation, die die | |
| Erbauer der Vergnügungsinfrastruktur von deren späterer Benutzung | |
| ausschließt. | |
| 28 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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