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# taz.de -- Verbrechen an jesidischen Frauen: „Wir sind im Irak nicht sicher�…
> Nareen Shammo verhandelt mit dem IS über die Freilassung jesidischer
> Frauen im Irak. Dafür wurde sie nun ausgezeichnet.
Bild: Nach ihrer Freilassung warten Jesidinnen an einem Checkpoint nahe der Sta…
taz: Frau Shammo, Sie haben als Journalistin gearbeitet, bevor die
Terrororganisation „Islamischer Staat“ im vergangenen Sommer die Region
Sindschar besetzte. 5.000 jesidische Frauen sollen mittlerweile vom IS
gefangen gehalten werden. Sie dokumentieren die Verbrechen gegen diese
Frauen und versuchen den Entführten zu helfen. Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Nareen Shammo: Anfangs habe ich allein gearbeitet, dann kamen einige
jesidische Aktivisten aus den USA, Europa und aus dem Irak dazu. Gemeinsam
mit Kollegen von der amerikanischen Organisation Yazda sammeln wir Spenden,
um den Gefangenen zu helfen. Außerdem versuchen wir Frauen, mit denen wir
in Kontakt sind, zu befreien und verhandeln mit dem IS über deren
Freilassung. Wir helfen auch den Frauen, denen es gelungen ist, dem IS zu
entkommen.
Die Mädchen und Frauen sind nicht nur Geiseln, der IS benutzt sie als
Sexsklavinnen, sie werden verkauft und als Geschenk in alle möglichen
Länder verschickt. Es ist eine furchtbare Situation, die uns große Angst
macht. Unter den Entführten sind auch 1.500 Kinder. Sie werden zu
Dschihadisten erzogen. Und die irakische Regierung schaut zu.
Wie kommen Sie mit den Mädchen und Frauen in Kontakt?
Wir sammeln so viele Informationen wie möglich, die Namen der Frauen in
Gefangenschaft, wo sie sich befinden, wie viele es sind und wie es ihnen
geht. Als Journalistin habe ich Erfahrung darin, Dinge herauszufinden. Die
Familien der Entführten helfen uns dabei. Und dann wenden sich auch Mädchen
und Frauen an uns, denen es gelungen ist, zu entkommen.
Diese Frauen besuchen wir dann, um sie mit Lebensmitteln, Kleidern und dem
Nötigsten zu versorgen. Die Väter von Hunderten dieser Mädchen wurden vom
IS getötet, oft sind ihre Mütter und Geschwister noch in Gefangenschaft.
Wir haben drei Häuser angemietet für die, die niemanden mehr haben. Die
Häuser sind ein Anfang, aber es fehlt dort an allem.
Als die Jesiden im Irak im Sommer vom Genozid bedroht waren, war die
mediale Aufmerksamkeit groß. Jetzt hört man zwar noch vom Vorrücken des IS,
aber kaum mehr von der Situation der Bevölkerung. Können Sie uns mehr
erzählen?
Ich arbeite seit August im Nordirak und schätze, dass 85 Prozent der
Jesiden in Flüchtlingslagern leben. Dort sind die Bedingungen schlimm, es
gibt keine Bildungsangebote für die Kinder, und die Frauen, die befreit
worden sind, leben in provisorischen Gebäuden, ohne psychologische oder
medizinische Hilfe. Die meisten fühlen sich nicht sicher. Sie haben das
Vertrauen in den irakischen Staat verloren. Er hat sie nicht beschützt.
In Deutschland wurde lange darüber diskutiert, wie man hätte reagieren
sollen. Mittlerweile werden Waffen an kurdische Kämpfer geliefert. Die USA
bombardieren den IS. Wie hätte die internationale Gemeinschaft reagieren
sollen?
Wir wissen von 3.000 Menschen, die bisher getötet worden sind. Gerade
wurden nördlich von Sindschar elf neue Massengräber gefunden. Bislang
dachten wir, dass die meisten Verbrechen im Süden stattgefunden haben.
Unsere Informationen sind noch voller Lücken. Deutschland hat sich bereit
erklärt, ein paar hundert Jesidinnen zu helfen. Aber die Frauen können
nicht mehr warten. Es muss jetzt etwas passieren. Es gibt einen Genozid an
der jesidischen Minderheit. Wir brauchen die internationale Gemeinschaft an
unserer Seite. Wir sind im Irak nicht sicher. Die internationale
Gemeinschaft muss sicherstellen, dass wir dort eine Zukunft haben.
Was genau meinen Sie? Humanitäre oder militärische Hilfe?
Beides. Meine Leute vertrauen weder dem irakischen noch dem kurdischen
Militär. Am 3. August haben die kurdischen Peschmerga uns dem IS
überlassen. Wie kann ich Vertrauen in ein Militär haben, dass mich nicht
beschützt? Die Vertreibungen konnten geschehen, weil sich kein Militär
verantwortlich dafür fühlte, die Jesiden zu schützen. Wir brauchen
militärische Unterstützung, damit jesidische Kämpfer uns beschützen können.
Und wir brauchen humanitäre Unterstützung.
In einem Ihrer Dokumente steht, dass es erlaubt ist, weibliche Gefangene
„zu kaufen, zu verkaufen und zu verschenken“, und es gibt Videos, die
zeigen, wie IS-Kämpfer untereinander um Jesidinnen feilschen. Warum ist die
Degradierung von Frauen so wichtig für radikale Islamisten?
Das ist schwer zu sagen. Ein Genozid ist nicht fair. Sie töten uns allein
deshalb, weil wir Jesiden sind. Für sie sind wir Ungläubige, Kuffar. Was
sie dabei nicht anerkennen, ist, dass die Jesiden im Nordirak auch eine
Geschichte von 6.000 Jahren haben. Wir sind keine Ungläubigen. Wir glauben
auch an Gott.
Aber richtet sich dieser Krieg nicht auch speziell gegen Frauen?
Die Jesidinnen werden nicht verfolgt, weil sie Frauen sind, sondern weil
sie jesidisch sind. Auch Christinnen wurden verfolgt. IS-Kämpfer haben mir
immer wieder gesagt: Du bist nur eine Ungläubige, du bist nichts, du bist
kein Mensch. Entweder wir konvertieren zum Islam, oder wir werden von ihnen
gekauft und verkauft.
Sie stehen in direktem Kontakt mit IS-Kämpfern, auch um Frauen
freizukaufen. Haben Sie keine Angst?
Es gibt nichts, wovor ich persönlich Angst zu haben brauche. Wir haben
schon alles verloren: unser Land, Häuser, Töchter, Tempel, viele Leben. Ich
fürchte mich höchstens vor der Größe der Aufgabe, unsere Leute zu befreien.
Sie haben bis 2009 in Mossul im Nordirak gelebt und studiert. Wie war das
Leben dort vor dem IS?
Auch als ich studiert habe, wurde ich oft bedroht. Für jesidische Männer
ist es schon schwer, an die Universität zu kommen, als jesidische Frau war
es kaum möglich. Es gab viele Hassreden, Studierende sind aufgehetzt
worden, ihre jesidischen Kommilitonen zu attackieren. Ab 2003 [im Zuge des
Irakkrieges, Anm. der Redaktion] haben viele jesidische Studierende und vor
allem Studentinnen die Universitäten verlassen. Viele Jesiden und Christen
sind aus Mossul geflüchtet. Das war eine sehr harte Zeit. Aber nach dem
Sommer 2014 ist es viel schwieriger geworden. Im Irak wurden die Jesiden
schon immer benachteiligt. Aber mit einem Genozid haben wir nie gerechnet.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Was ich mir wünsche, liegt ziemlich weit abseits der Realität. Die Realität
ist sehr kompliziert. Ich verstehe nicht, was mit uns geschieht. Und ich
kann mir auch nicht vorstellen, was noch alles passieren wird. Aber ich
will, dass wir in Frieden leben. Ich möchte sehen, dass die irakische
Gesellschaft die Jesiden akzeptiert und beschützt. Das ist mein Traum.
9 Mar 2015
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Geisel
Irak
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„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Syrien
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