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# taz.de -- Philosoph über Blockupy: „Politische Krise erzwingen“
> Thomas Seibert sieht die Proteste gegen die EU nicht auf rechten Abwegen.
> Er hofft auf eine linke europäische Bewegung durch Syriza und Podemos.
Bild: Mit Transparenten und Regenschirmen gegen die EU-Politik.
taz: Herr Seibert, während der Blockupy-Demonstrationen am Mittwoch in
Frankfurt am Main wurde die Europäische Zentralbank ein „Monstrum“ genannt.
Man konnte den Eindruck gewinnen, die EU sei zu nichts anderem zu
gebrauchen, als Südeuropa zu unterdrücken. Kann Blockupy nichts Gutes an
einem geeinten Europa finden?
Thomas Seibert: Doch, selbstverständlich. Die Blockupy-Bewegung ist
entschieden europäisch. Das Ja zu Europa ist auch sichtbar. Es zeigt sich
etwa am Verhältnis zu Griechenland und Syriza. Wesentliche Teile der
Bewegung folgen der Position Syrizas, in Europa bleiben zu wollen und das
andere Europa in einer anderen EU zu beginnen.
Das wurde bei den Demonstrationen in Frankfurt aber nicht sehr deutlich.
Eine Demo ist das falsche Setting, um im Detail zu erklären, wie man sich
ein anderes Europa vorstellt. Und die Ideen, die wir haben, sind noch
blass, das räume ich ein. Doch das spiegelt die realen Kräfteverhältnisse
wider. Die Gegenseite hat einen Vorsprung. Es gibt einen Einigungsprozess
von oben. Der wird von den politischen und ökonomischen Eliten dominiert
und verdichtet sich in völlig undemokratischen Institutionen. Dem müssen
wir einen anderen Einigungsprozess von unten entgegensetzen. Dabei agieren
wir aus einer Position der Schwäche.
Und wie wollen Sie die Europäische Union trotzdem verändern?
Wir müssen der Europäischen Union aus ihrer ökonomischen Krise heraus eine
politische Krise aufzwingen. Dazu müssen wir Europa so darstellen, wie es
ist: eine Macht, die Millionen aus ihrem Leben geworfen, gedemütigt und
verarmt hat. Ein Beispiel nur: Die von der Troika aufgezwungene Zerstörung
des griechischen Gesundheitssystems bedroht die Leute buchstäblich in ihrem
Überleben.
Ein ziemlich gewagtes Spiel. Wenn man die EU immer nur als undemokratisch
und antisozial diskreditiert – besorgt man dann nicht zwangsläufig das
Geschäft der rechten Europagegner?
Das Geschäft der Rechten besorgt, wer nichts gegen die sozialen
Verwerfungen unternimmt. Denn das Leid bleibt in der Welt und führt dann
zweifellos zu Chauvinismus und Renationalisierung. Den von mir
beschriebenen Weg zu gehen ist unvermeidlich. Wir können uns die Situation
nicht ausmalen, wie wir sie wollen.
Wie soll aus der „politischen Krise“, die Sie herstellen wollen, ein
Einigungsprozess von unten werden?
Wir haben das große Glück, auf Regierungsebene einen Akteur zu haben, der
für diesen anderen Einigungsprozess steht. Dafür braucht es Zeit. Der
zweite Schritt ist einer, den die Syriza-Regierung allein gar nicht leisten
kann, denn sie ist furchtbar schwach: Ein Prozess der Repolitisierung, der
Selbstermächtigung eines europäischen „Demos“, einer sich selbst
regierenden europäischen Bürgerschaft. Das gibt es so nur in Ansätzen, auf
der Ebene der sozialen Bewegungen. Die Unterstützung Syrizas bedeutet für
sie selbst einen ungeheuren Europäisierungsschub. Blockupy ist nur eine
erste Verdichtung: Wir brauchen noch viel mehr transnational organisierte
Bewegungen.
Das klingt, als sei die griechische Syriza-Regierung der einzige Weg zu
einer besseren Europäischen Union. Ist es nicht etwas riskant, alle
Hoffnung auf eine derart fragile Regierung zu setzen?
Die maßgeblich von Deutschland bestimmte Logik treibt die EU an, den
Aufbruch von Syriza zunichte zu machen. Das kann ein Scheitern von Podemos
und den Durchmarsch der Troika bedeuten. Hält die Syriza-Regierung dem
Druck stand, kann es eine ähnliche Entwicklung in Spanien, vielleicht auch
in Irland geben. Damit taucht die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen den
Linken und den schwachen Versuchen der Sozialdemokratie in Italien und
Frankreich auf, Distanz zu gewinnen zu Berlin, einen mittleren Kurs zu
fahren. Für all das sind Kompromisse nötig, die Räume öffnen und Luft
verschaffen. Diesen Spielraum brauchen wir, um die absolute Berliner
Hegemonie zu schwächen.
20 Mar 2015
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Blockupy
Syriza
Podemos
Euro-Krise
Blockupy
Frankfurt
Schwerpunkt Finanzkrise
Frankfurt am Main
Kapitalismuskritik
EZB
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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