# taz.de -- Mit Samenspende zur Familie: Einfacher wäre es, ihn zu vergessen | |
> Sonja und Mathias bestellen das Sperma eines Fremden, um eine Familie zu | |
> gründen. Der Umgang damit fällt nicht immer leicht. | |
Bild: Ein Vater spaziert mit seinem Nachwuchs im Park. Bei Sonja und Mathias wu… | |
Es gibt diesen einen Satz, bei dem er schlucken muss: „Ihr Sohn sieht Ihnen | |
so ähnlich.“ Mathias hört ihn oft. Er versucht, sich darüber zu freuen. | |
Wenn er den vierjährigen Max betrachtet, sieht er dessen Haare, mittelblond | |
wie die seinen, er sieht denselben wachen Blick, erkennt die Mimik wieder, | |
die Gestik. | |
Das kann nicht sein, denkt er dann. Max ist nicht sein Kind. Mathias’ Frau | |
kennt den Namen des Mannes nicht, von dem sie schwanger wurde, sie hat ihm | |
nie in die Augen gesehen, ihn nie geküsst. Sie hat nie mit ihm geschlafen. | |
Max ist aus einer Samenspende entstanden. | |
Eine Häuserzeile irgendwo in Norddeutschland. Hinter einer der Türen stehen | |
Fahrräder mit Kindersitzen, ein paar Buggys. In einem der oberen Stockwerke | |
lebt Mathias mit seiner Frau Sonja und mit Max. Sie haben hier andere Namen | |
– zum Schutz ihres Sohnes, sagt Sonja. Die Familie hat ein Bilderbuch, das | |
ihre Geschichte erzählt. Sie handelt von einem Mann und einer Frau, die | |
sich sehr lieb haben. Beide wünschen sich ein Baby. Sie bekommen keines. | |
## Kinder waren für ihn damals kein Thema | |
Die Geschichte begann, lange bevor sich Mathias und Sonja begegneten. | |
Mathias war 19, vielleicht 20, und in der Praxis eines Urologen. Nur eine | |
Kleinigkeit, nichts Ernstes, der Arzt nahm auch eine Spermaprobe. Einige | |
Tage später rief er an, druckste herum, sprach von einem schlechten | |
Ergebnis, wollte eine weitere Probe einschicken. Doch Mathias kam kein | |
weiteres Mal in die Praxis. Kinder waren für ihn damals kein Thema. Er | |
vergaß das Gespräch. „Jahrelang hab ich mit meiner Exfreundin verhütet“, | |
sagt er nun. „Das hätte ich mir sparen können.“ Er lacht. | |
Sonja und Mathias heirateten, wollten bald Kinder. Beide waren um die 30, | |
arbeiteten an der Universität. Der Zeitpunkt passte. Als Sonja nicht | |
schwanger wurde, fing das Paar an, nach dem Terminkalender miteinander zu | |
schlafen. „Dieses Gefühl, man muss jetzt heute, war auf die Dauer eine | |
Belastung“, sagt Mathias. Schlimmer machten es die Ratschläge, die Freunde | |
gaben: „Entspannt euch doch mal.“ „Fahrt in Urlaub.“ Sie ahnten nicht, … | |
verletzend solche Sätze waren. In Mathias fing es an zu arbeiten, der | |
Besuch beim Urologen fiel ihm wieder ein. Jetzt wollte er Gewissheit, | |
wollte hören, dass alles in Ordnung mit ihm war. | |
Nichts war in Ordnung. „Ja, da tut sich nichts, aber das wussten Sie ja | |
schon.“ Mathias erinnert sich gut an die Worte des Arztes. Eine künstliche | |
Befruchtung? Könne er vergessen. | |
Seit Max’ Geburt liest Mathias ihm aus dem Bilderbuch vor. Der Junge | |
erfährt, dass ein anderer Mann seiner Mama Samen schenkte. Er findet es | |
toll, dass es eine Erzählung über ihn gibt. Aber begreift ein Vierjähriger, | |
was das für sein Leben bedeutet? Einmal hat er seine Eltern gefragt: „Wer | |
ist denn der Mann?“ Auf die Idee, ihn Papa zu nennen, kam er nicht. Mathias | |
und Sonja können die Frage nicht beantworten. Die Samenbank hatte den | |
Spender ausgesucht, seine Daten blieben anonym. | |
## Die Abstammungskenntnis ist höher als die Spenderinteressen | |
Ende Januar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Kinder aus | |
Samenspenden, egal welchen Alters, die Identität ihres Erzeugers erfahren | |
dürfen. Etwa 100.000 Kinder betrifft das in Deutschland. Die Richter | |
bewerteten das Recht auf Kenntnis der Abstammung höher als die Interessen | |
der Spender. Mathias und Sonja freuen sich über den Entscheid. Sie | |
empfinden eine große Dankbarkeit gegenüber dem Unbekannten, dem sie Max | |
verdanken. Nie würden sie ihn als Vater bezeichnen. Es wäre einfacher, ihn | |
zu vergessen. Aber Max soll die Chance bekommen, ihn kennenzulernen. „Das | |
hat etwas mit der Suche nach den genetischen Wurzeln zu tun“, sagt Sonja. | |
Vielleicht hat ihr Sohn ja Halbgeschwister. | |
Trotz des negativen Bescheids des Urologen suchten Sonja und Mathias | |
zunächst eine Kinderwunschklinik auf. Sie wollten es mit einer künstlichen | |
Befruchtung versuchen. Eine Tortur. Täglich spritzte sich Sonja Hormone, | |
unter Vollnarkose wurden ihr Eizellen entnommen. Warten und Bangen, dann | |
der Bescheid: Nicht schwanger. Wieder nicht. | |
Viermal machte Sonja das mit, dann stieg sie aus. Max sei bei der fünften | |
Befruchtung entstanden, erzählen sie den Leuten später. Eine Lüge. Niemand | |
fragt nach. | |
## Sie entscheiden sich zur Samenspende | |
„Er kann einen ganzen Bahnwagen unterhalten“, sagt Sonja. Max ist so | |
lebhaft, ganz anders als seine Eltern, die beide als Kinder sehr schüchtern | |
waren. Manchmal fragen sie sich, was wohl der Samenspender für ein Mensch | |
ist, was ist Erziehung, was Veranlagung. Manchmal scherzen sie: „Also, das | |
hat er nicht von uns.“ Sollte Max im Kindergarten von dem anderen Mann und | |
dem geschenkten Samen erzählen, wissen sie nicht, wie sie am besten | |
reagieren. Die Eltern haben ihm nie verboten, darüber zu sprechen. | |
„Wahrscheinlich laufe ich rot an, aber dann ist es eben raus“, sagt Sonja. | |
Im Grunde wären sie froh. | |
Je mehr Sonja die Hoffnung in die künstliche Befruchtung verlor, desto | |
öfter dachte sie das: Körperlich bin ich völlig gesund. Zu einem Kind | |
fehlen nur aktive Spermien. | |
Spermien von einem Fremden? Mathias haderte. Und was ist mit Adoption? | |
„Dann sind beide Elternteile gleichgestellt“, dachte er. „Dann sind beide | |
Elternteile fremd“, dachte sie. | |
Trotzdem suchten sie das Jugendamt auf, stellten einen Adoptionsantrag, | |
füllten seitenweise Bögen aus. Zweifel wuchsen. Sollten sie ein Häkchen | |
setzen bei der Frage, ob die Mutter des Kindes alkohol- oder drogenabhängig | |
sein darf? „Es fühlte sich alles falsch an“, sagt Sonja. Mathias war es, | |
der sich doch für eine Samenspende aussprach. | |
## Im ersten Moment war es wie Fremdgehen | |
Was geht in einem Mann vor, wenn er zustimmt, dass seine Frau das Kind | |
eines anderen bekommt? Einmal hatte Mathias einer Freundin erzählt, dass er | |
keine Kinder zeugen kann. Sie redete von Impotenz. Sie hatte nichts | |
verstanden. Er war gekränkt, aber ihn trieben andere Fragen um. Wird ihm | |
sein Sohn in der Pubertät vorwerfen, nicht sein Vater zu sein? Der Moment, | |
den er fürchtete, kam früher als gedacht. „Du bist nicht mehr mein Papa“, | |
schrie Max, als er seinen Willen nicht bekam. Mathias war geschockt, aber | |
nur kurz. Manchmal sagte der Kleine auch: „Du bist nicht mehr mein Freund.“ | |
Gemeinsam war das Paar in die Klinik gefahren, um das Sperma des anderen | |
Mannes in Sonjas Gebärmutter spritzen zu lassen. Es war wie Fremdgehen, im | |
ersten Moment. Das Gefühl verflüchtigte sich schnell, zwischen | |
Sagrotan-Geruch und Monitoren. Es klappte direkt, Sonja wurde schwanger. | |
Drei Jahre waren seit der Diagnose vergangen. | |
Ab dann verlief alles wie bei einer normalen Schwangerschaft. Nur hin und | |
wieder drängte sich der Spender doch ins Familienleben. Als Mathias für ein | |
paar Tage mit dem Flugzeug verreiste, geriet Sonja in Panik: Was, wenn sein | |
Flieger abstürzen würde, was sollte sie dem Kind sagen? Dass der Vater tot | |
sei, es aber noch einen Erzeuger habe, dessen Namen sie nicht einmal kenne? | |
Mathias kehrte gesund zurück, Max kam gesund zur Welt, die Bedenken | |
verschwanden. | |
## Max’ Herkunft soll kein Geheimnis sein | |
Sonja und Mathias hätten ein Geheimnis aus Max’ Herkunft machen können. Die | |
Samenspende ist nirgends vermerkt, im Stammbuch ist Mathias als Vater | |
eingetragen. Die wenigen engen Freunde, denen sich das Paar anvertraute, | |
fragten, warum sie es dem Sohn überhaupt erzählen wollten. „Damit klaut ihr | |
ihm doch den Vater“, so erinnern sie sich, bekamen sie zu hören. Sie sehen | |
das anders, auch ihre Familien sind eingeweiht. | |
Mit dem Umfeld aber tun sie sich schwerer. Noch immer denken Bekannte, Max | |
sei damals bei der künstlichen Befruchtung entstanden. Sonja und Mathias | |
warten auf den passenden Anlass, die Wahrheit zu erzählen. Es scheint ihn | |
nicht zu geben. Vielleicht nicht, weil sie der Gedanke ängstigt, ihr Sohn | |
könne gehänselt werden. Weil sie fürchten, dass er als Junge sorglos seine | |
Entstehungsgeschichte ausplappert – und es später mal bereut. „Man bürdet | |
dem Kind mit einer besonderen Familiengründung auch etwas auf“, sagt | |
Mathias. | |
Sonja steht auf. Vor ihr liegt das Kinderbuch ihres Sohnes, die letzte | |
Seite ist aufgeschlagen. Die Geschichte ist zu Ende. Fast. An ihrer Brust | |
regt sich ein kleines Bündel, das sie um den Leib gewickelt hat: Ein | |
Köpfchen schaut heraus. Vor zwei Monaten hat Max eine Schwester bekommen. | |
Sie haben dieselbe Mutter – und denselben Erzeuger. Er ist nicht viel mehr | |
als die Nummer in einer Samenbank und doch Teil der Familie. | |
22 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Christine Luz | |
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