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# taz.de -- „Vater des modernen Singapur“ ist tot: Tod eines elitären Bess…
> Mit Lee Kuan Yew verliert Singapur seinen Übervater, manch autoritärer
> Herrscher ein Vorbild und der Westen einen respektierten Kritiker.
Bild: Ein Geschäftsmann trägt sich in das Kondolenzbuch für Lee Kuan Yew ein.
BANGKOK/BERLIN taz | Singapurs Regierung hat am Montag die sogenannte
"Speakers Corner" in einem Park im Finanzzentrum der südostasiatischen
Handelsmetropole auf unbestimmte Zeit in eine Zone zum Gedenken an Lee Kuan
Yew verwandelt. Dieser Schritt ist typisch für das autoritär regierte
Singapur wie für den Staatsgründer, der in der Nacht zum Montag verstorben
ist. Lee hat den Stadtstaat wie kein anderer geprägt und zum Modell einer
gelenkten Gesellschaft wie des wirtschaftlichen Aufstiegs gemacht.
Lee, der jetzt 91-jährig, wenige Monate vor dem 50. Unabhängigkeitstag, an
einer Lungenentzündung starb, hat Singapur 31 Jahre als Premierminister
regiert und weitere 20 als „Senior Minister“ und später „Minister Mentor…
mit Kabinettsrang mitgelenkt. Die Speakers Corner im Hong-Lim-Park war im
Jahr 2000 eingerichtet worden, um in Form simulierter Demokratie eine
Versammlungs- und Redefreiheit vorzugaukeln, wie es sie in Singapur bis
heute nicht gibt. Sie jetzt für das Gedenken an Lee auszusetzen, ist nur
folgerichtig.
Denn Lee hat Demokratie im westlich-liberalen Sinn stets als ungeeignet für
Singapur und Asien bezeichnet. Stattdessen hielt er „asiatische“ Werte
hoch, von denen er Stabilität am meisten schätzte. Er sperrte
Oppositionelle weg und schränkte die Presse- und Meinungsfreiheit ein.
Zugleich gelang ihm das Kunststück, auch ohne wirksame Opposition ein
korruptionsfreies und effizientes Regierungssystem zu installieren, wie es
auch viele demokratischere Staaten nicht ihr Eigen nennen.
Unter Ausnutzung von Singapurs strategischer Lage an einem der wichtigsten
Wege des maritimen Welthandels, der Globalisierung wie der schlechteren
Bedingungen in den Nachbarländern Malaysia und Indonesien gelang dem
multiethnischen Staat mit chinesischer Bevölkerungsmehrheit ein
beeindruckender Wirtschaftsaufstieg. Während westliche Regierungen
gelegentlich Lees harte Hand kritisierten, platzierten westliche Konzerne
dort ihre Filialen.
Dabei folgte Lee nicht blind dem Mantra freier Marktwirtschaft, sondern
unterwarf als elitärer Besserwisser die Ökonomie des Staates mit einer
Fläche kleiner als Hamburg einer strategischen Wirtschaftsplanung, die
nichts dem Zufall überließ. Das Ganze verband er mit seiner Obsession für
Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung. Das Verbot von Kaugummi und hohe
Strafen für das Überqueren der Straße jenseits der Ampeln oder bei Rotlicht
sind dafür nur die bekanntesten Symbole.
## Vorgehaltene Doppelmoral
Für viele Herrscher in Entwicklungsländern, nicht nur in Asien, erbrachte
Lee den attraktiven Beweis, dass autoritäre Herrschaft und wirtschaftlicher
Erfolg sehr wohl kompatibel und durchaus eine Alternative zur als chaotisch
empfundenen westlichen Demokratie ist.
Der scharfzüngige Lee war auch deshalb in Asien so geachtet, als dessen
Stimme er sich inszenierte, weil er dem Westen immer wieder Doppelmoral
vorhielt. Gab es etwa Kritik an der Verfolgung politischer Gegner, konnte
er stets darauf verweisen, dass er nur auf Gesetze zurückgreife, welche die
britische Kolonialmacht hinterlassen hätte.
Lee wurde 1923 in einer wohlhabende chinesische Familie in Singapur
geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Jura im britischen
Cambridge. Ab 1949 arbeitete er in Singapur als Anwalt. 1954 gründete er
die Peoples Action Party mit, die bis heute regiert. Aus dem Jahr 1962 ist
das folgende Zitat überliefert: „Hätte ich in Singapur unbefristet das
Sagen und müsste die repräsentierten Bürger nicht fragen, ob sie das, was
gemacht wird, mögen, dann könnte ich ohne Zweifel viel effektiver in ihrem
Interesse regieren.“ Stets meinte Lee, besser als andere zu wissen, was gut
ist.
1990 übergab er die Macht seinem Stellvertreter Goh Chok Tong, seit 2004
regiert Lees Sohn Lee Hsien Loong. Während der Lee-Clan stets Vorwürfe der
Vetternwirtschaft von sich wies, genoss Lee seine neue Freiheit. Fortan
lehrte er der Welt seine Erfahrungen, die westliche Diskurse infrage
stellte. Doch längst wächst auch unter Singapurs 5,4 Millionen Einwohnern
der Unmut. Hohe Lebenshaltungskosten, das zunehmende soziale Gefälle und
verkrustete politische Strukturen gehören zu Lees Erbe.
23 Mar 2015
## AUTOREN
Nicola Glass
Sven Hansen
## TAGS
Singapur
Opposition
Graffiti
Singapur
Rüstungsexporte
Singapur
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