# taz.de -- Gruppe-Zero-Retrospektive in Berlin: Als alles noch mal neu war | |
> Die Null im Namen der Gruppe Zero, die Ende der 50er in Düsseldorf | |
> zusammenkam und nun im Martin-Gropius-Bau gefeiert wird, stand nicht für | |
> Negation. | |
Bild: Eine „malende Maschine“ des Künstlers Jean Tinguely in der Ausstellu… | |
Es war schon ziemlich passend, dass die Pressekonferenz der großen | |
Gruppe-Zero-Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgerechnet zu | |
dem Zeitpunkt stattfand, als die Sonnenfinsternis am Freitag ihren | |
Höhepunkt erreicht hatte. Der Künstlergruppe um Heinz Mack, Otto Piene und | |
Günther Uecker waren die Beschränkungen des Irdischen im Grunde immer ein | |
überflüssiges Hemmnis ihrer kreativen Ambitionen; gerade der jüngst | |
verstorbene Piene hatte als Begründer der „Sky Art“ ein besonders inniges | |
Verhältnis zum Kosmischen. | |
Während sich draußen der Mond langsam vor die Sonne schob und halb Berlin | |
dieses Schauspiel durch Sonnenbrillen, Fotonegative, Röntgenbilder und | |
Handys verfolgte, schien die Installation „Mond“ von Heinz Mack im großen | |
Lichtsaal des Gründerzeitbaus die Eklipse ästhetisch zu duplizieren: Eine | |
riesige, von der Decke hängende Scheibe dreht sich so mit und gegen ihre | |
Beleuchtungsquellen, dass sich Licht und Schatten auf ihrer Oberfläche | |
ununterbrochen neu organisieren. Hübsch. | |
Die Null im Name der Kunstgruppe, die Ende der 50er Jahre in Düsseldorf | |
zusammenkam, hat nichts mit Negation oder Verweigerung zu tun. Die Gruppe | |
Zero begann ihre künstlerische Arbeit mit dem Verständnis, aus dem | |
absoluten Nichts heraus neu anzufangen. Für Künstler im | |
Nachkriegs-Westdeutschland, die wegen der Ausradierung kunsthistorischen | |
Wissens durch die Nazis von Dada und Surrealismus wenig wussten, | |
möglicherweise eine legitime Annahme. | |
## Freude am Experiment | |
Die Berliner Ausstellung handelt darum auch von einer Zeit, in der alles | |
noch einmal neu war, die Vorkriegsavantgarde nur in Ansätzen wiederentdeckt | |
und die Zukunft noch eine schöne Hoffnung – nicht die Dystopie, als die sie | |
uns heute erscheinen mag. Das Frühwerk der Gruppe Zero war gänzlich | |
unangekränkelt von Fortschrittsskepsis, Zukunftsängsten oder | |
Technikfeindlichkeit, wenn auch schon von einem vagen Verständnis für die | |
globale Verbundenheit der Schöpfung geprägt. | |
Die unbefangene Freude am Experiment und an den eigenen extravaganten | |
Ideen, mit der da Ende der angeblich so muffigen 50er Jahre losgelegt | |
wurde, fährt einem in die müden Knochen, sobald man die Ausstellungsräume | |
betritt. Soll ich ganz viele Nägel in eine Leinwand hauen und dann alles | |
weiß malen? Na klar! Könnte man nicht mal mit Kerzenflammen und | |
Feuerwerkskörpern ein Bild malen? Super Idee! Und wie wär’s, wenn ich | |
Streifen aus Aluminiumfolie an einem silbernen Ventilator befestige, sodass | |
sie lustig in der Brise flattern, und das Ganze dann Jean Tinguely widme? | |
Nichts wie los! Sorglos wurden kunstfremde Materialien wie Eier oder Watte | |
verarbeitet oder mit technischen Mitteln wie Glühbirnen, Elektromotoren und | |
Spiegeln kinetische Lichtskulpturen gebaut. | |
Wenn einzelne Zero-Arbeiten im städtischen Kunstmuseum gezeigt werden, | |
wirkt das oft, als würde aus reinem Pflichtbewusstsein eine einst irgendwie | |
wichtige, aber heute im Grunde hinfällige Station westdeutscher | |
Kunstgeschichte abgehakt – nicht zuletzt, weil viele der kinetischen | |
Arbeiten oft „vorübergehend außer Betrieb“ sind. Auch die Fotos von | |
Aktionen aus dieser Zeit vermitteln in Büchern und Katalogen kein | |
wirkliches Bild von deren Faszination. Aber schon die Neuinszenierung von | |
Pienes Dia-Projekt „Proliferation of the Sun“ und seiner Luftskulpturen, | |
die im vergangenen Jahr in der Neuen Nationalgalerie stattfand, zeigte, | |
dass diese Arbeiten noch immer Power haben. | |
## Größte Zero-Ausstellung jemals in Deutschland | |
Die nach Angaben der Organisatoren größte Zero-Ausstellung, die es in | |
Deutschland je gegeben hat, zeigt die Aktivitäten der Düsseldorfer Gruppe | |
im Kontext ihnen verbundener Künstler wie Lucio Fontana, Yves Klein, | |
Christian Megert oder Adolf Luther als Teil der europäischen | |
Nachkriegsavantgarde. Aber die Kuratoren haben auch Werke von Künstlern aus | |
den Magazinen geholt, die heute nicht mehr so bekannt sind: die Objekte aus | |
abzubrennenden Streichhölzern und die angekokelten Leinwände des Franzosen | |
Bernard Aubertin. Zu den absoluten Höhepunkten der Ausstellung gehören | |
selten gezeigte Arbeiten wie das wandhohe Kartonrelief von Jan J. | |
Schoonhoven und eine unglaubliche Deckeninstallation aus | |
Baumarkt-Styroporplatten von Herman de Vries. | |
Allerdings hätte bei der Präsentation der Arbeiten etwas mehr Sorgfalt | |
nicht schaden können. Dass man nicht neben jede Arbeit ein Schildchen | |
hängen möchte, geht als kuratorische Entscheidung in Ordnung. Die Titel der | |
Arbeiten dann aber auf in den Ecken versteckten Zetteln nachzuliefern, auf | |
denen die Bilder in der Größe eines Passbildes nebst Titel präsentiert | |
werden, ist verwirrend und unübersichtlich – besonders bei Räumen, in denen | |
die Wände voll mit monochrom weißen Gemälden oder Rasterbildflächen hängen. | |
In Anbetracht der verwendeten ungewöhnlichen Materialien hätte man sich | |
auch die eigentlich üblichen Informationen über die einzelnen | |
Kompositionselemente gewünscht. | |
Da bleibt dann nichts anderes übrig, als selbst das Rätsel lösen, ob es | |
sich bei der weißen Leinwand vor der eigenen Nase nun um Günther Ueckers | |
„Informelle Struktur“, Jef Verheyens „Witte Ruimte“ oder Piero Manzonis | |
„Achrome“ handelt. Oder, um genauer zu sein, Manzonis „Achrome“ von 195… | |
Manzonis „Achrome“ von 1958–1959 oder Manzonis „Achrome“ von 1958–1… | |
sehen sich nämlich leider schon an der Wand ziemlich ähnlich. Auf ihren | |
weiß-auf-weißen Reproduktionen im Thumbnail-Format ist gar kein Unterschied | |
mehr auszumachen. | |
## Archivfilme bleiben tonlos | |
Vollends rätselhaft bleiben die Videos, die ohne Ton auf Monitoren im | |
iPad-Format vor sich hin flimmern. Dass es sich bei den Aufnahmen von dem | |
Mann mit den Spiegeltürmen in einer Wüste um Heinz Macks mit diversen | |
Preisen bedachten Fernsehfilm „Tele-Mack“ von 1968 handelt, muss man | |
wissen; in der Ausstellung erfährt man nicht, dass dieser Film, der Macks | |
Glas- und Spiegelskulpturen im grellen Sonnenlicht der Sahara zeigt, eine | |
Art Apotheose seines gesamten Schaffens war. Und im Grunde sogar ein frühes | |
Werk der Land Art. Auch warum die zahlreichen, aus den Archiven gehobenen | |
Fernsehnachrichtenfilme – inklusive möglicherweise hochinteressanter | |
Künstlerinterviews – ohne Ton und auf sich wellenden Projektionsflächen | |
gezeigt werden, bleibt das Geheimnis der Kuratoren. | |
In ersten Kritiken der Ausstellung empfanden einige Rezensenten, dass | |
manche der gezeigten Werke heute altmodisch wirkten. In der Tat kann der – | |
in der Ausstellung unglücklich in einem Durchgangsraum platzierte – „Zero | |
Raum“ voller Lichtskulpturen möglicherweise nicht mit der | |
Überwältigungsästhetik eines Ólafur Elíasson mithalten. Coole | |
Post-Internet-Skulpturen aus dem 3-D-Drucker mögen slicker wirken. | |
Aber in einer Kultur, die von einer Faszination mit der eigenen | |
Vergangenheit eingefangen scheint wie die Mücke im Bernstein, und in der | |
die richtigen Referenzen und geschmackssichere Zitate oft schöpferische | |
Energie ersetzen, haben die Zero-Arbeiten den Vorteil eines beherzten | |
Willens zum Neuanfang – auch wenn der nicht so schaumgeboren gewesen sein | |
mag, wie es die Künstler im kulturellen Vakuum der Nachkriegszeit offenbar | |
geglaubt haben. | |
23 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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