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# taz.de -- Kunst aus Tel Aviv in Berlin: Drachen vor braunem Himmel
> Picasso neben aktueller israelischer Videokunst: Über 70 Kunstwerke aus
> dem Tel Aviv Museum of Modern Art sind jetzt zu Gast in Deutschland.
Bild: Besucher vor der Installation „Wenn Diktatoren wüten“ von Michael He…
Im Jahr 1944 malte Felix Nussbaum den „Triumph des Todes (Die Gerippe
spielen zum Tanz)“. Mit blasser Haut überzogene Skelette tanzen auf
zerbrochenen Skulpturen, zerknüllten Notenblättern und zivilisatorischem
Gerät, dabei spielen sie auf Trompeten, Violinen und Pauken. Im Hintergrund
sind Stacheldraht und Panzer auszumachen und am braunen Himmel steigen
Drachen mit verzerrten Fratzen auf. Es ist Nussbaums letztes Werk, die
Verarbeitung eines beliebten Themas der europäischen Kunstgeschichte und
zugleich eine schreckliche Vision: Kurze Zeit später wurde der
jüdisch-deutsche Künstler in Auschwitz ermordet.
Im Berliner Martin-Gropius-Bau klingen die Töne des beklemmenden Konzerts
jetzt mehrmals täglich durch die Räume, live gespielt. Die israelische
Künstlerin Michal Helfman hat Nussbaums tragisches letztes Bild 2013 in die
konzeptuelle Installation „Wenn Diktatoren wüten“ überführt. Objekte aus
dem Gemälde stehen im Museumsraum, an der Decke hängen die Drachenfratzen.
Die Arbeit ist Teil einer Gruppenschau anlässlich des 50-jährigen Bestehens
diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik, für die
über 70 Kunstwerke aus dem Tel Aviv Museum of Art in die deutsche
Hauptstadt gebracht wurden. Neben Videoarbeiten und Installationen
zeitgenössischer israelischer Künstler sind Meisterwerke von Größen wie
Pablo Picasso, Max Ernst oder Marc Chagall zu sehen.
Viele kehren erstmals nach Europa zurück. Seit der Eröffnung des Museums
1932 in der Villa des ersten Bürgermeisters Tel Avivs, Meir Dizengoff,
kamen sie in die Sammlung, einige noch in den Dreißigerjahren, als sich der
aus Berlin eingewanderte Kunsthistoriker Karl Schwarz enthusiastisch an
ihren Aufbau machte. Mit Erfolg warb er bei jüdischen Sammlern Kunstwerke
der Klassische Moderne ein. Noch 1933 schickte etwa der Fabrikant Erich
Goeritz über 500 Werke nach Tel Aviv, darunter Arbeiten der von den Nazis
verfemten Expressionisten. Schlüsselwerke von Lovis Corinth, Erich Heckel
und Ludwig Meidner werden nun erstmals wieder in Berlin gezeigt. In den
Fünfzigerjahren schenkte Peggy Guggenheim dem Haus 36 Werke, zum Beispiel
drei bedeutende Gemälde von Jackson Pollock.
## 100 Jahre Kunstgeschichte
Aktuelle zeitgenössische Kunst ist heute wichtiger Programmteil des
Museums, das längst mehrere Gebäude zählt. Auch wenn die Verknüpfung mit
frühen Werken der Sammlung in den Berliner Räumen ein wenig behäbig
daherkommt – das Kuratorinnen-Team aus Tel Aviv präsentiert sie anhand
ausgemachter thematischer Parallelen –, zahlt sich die Spannbreite über 100
Jahre Kunstgeschichte mit Abgang in die israelische Kunstproduktion der
Gegenwart für ein deutsches Publikum aus.
Die Israelis setzen sich mit dem Status quo ihrer Gesellschaft auseinander,
mit Siedlungspolitik, Religion und Identität. Raafat Hattab zeigt sich in
einem Film beim Gießen und Pflegen eines Olivenbaums, dem palästinensischen
Nationalsymbol. Er befindet sich auf dem aus Nachrichtenbildern bekannten
Rabin-Platz in Tel Aviv, wo Demonstrationen und Nationalfeiern abgehalten
werden und wo ein jüdischer Fundamentalist Mitte der Neunziger bei einer
Friedenskundgebung den damaligen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin
ermordete.
Um Fragen einer sich zwischen Orient und Okzident entwickelnden Identität
geht es in einer Arbeit von Nevet Yitzhak. Wie Helfman adaptiert sie einen
europäischen Klassiker, Jan Vermeers Gemälde „Das Konzert“ von 1664. Auf
zwei Bildschirmen sind Versatzstücke aus ägyptischen Fernsehfilmen zu sehen
und auf einem Podest davor liegt ein Orientteppich mit projiziertem Muster,
aus dem sich Ornamente lösen und über die Fläche bewegen.
Nira Pereg beobachtet in einer Videoarbeit, wie Menschen vor Beginn des
Sabbats ultraorthodoxe Wohnviertel absperren, und findet so ein Bild für
Abgrenzungs- und Kontrollversuche im religiösen Melting Pott Jerusalem.
Kulturattaché Ran Yaakoby sagte bei der Eröffnung, Israel sei mehr als die
Schlagzeilen von heute oder morgen, das zeige die Kunst. Sie zeigt aber
auch, dass viel Bedarf an politischer Auseinandersetzung besteht.
31 Mar 2015
## AUTOREN
Sabine Weier
## TAGS
Pablo Picasso
Martin-Gropius-Bau
Kinderarbeit
Museum
Ausstellung
Tattoo
Schwerpunkt Rassismus
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