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# taz.de -- Visumspflicht für Syrer: Libanon destabilisiert sich weiter
> Damit weniger Syrer ins Land kommen, wurde im Libanon die Visumspflicht
> eingeführt. Eine absurde und auch gefährliche Aktion.
Bild: Syrische Schulkinder im Norden Beiruts. April 2015.
Das hat es in der Geschichte der beiden Länder noch nie gegeben. Bislang
musste beim Passieren der Grenze lediglich der Personalausweis vorgelegt
werden. Und weil für Syrer bisher keine Visumpflicht bestand, ist die Zahl
syrischer Flüchtlinge im Libanon seit Beginn der Kämpfe 2012 nahe der
Grenze (Homs, Damaskus und Umland) auf 1,2 Millionen gestiegen.
Die starke Zuwanderung gefährdet die Sicherheitslage des ohnehin fragilen
Libanon. Der hat zusätzlich zu seiner maroden Infrastruktur mit enormen
wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, und sowohl die Regierung als auch
die Bevölkerung beurteilen die Geschehnisse im Nachbarland politisch
gespalten. Man darf nicht vergessen, dass die Hisbollah, die
Regierungspartei ist, in Syrien an der Seite von Baschar al-Assad kämpft.
Angesichts dieser Gemengelage soll seit Anfang des Jahres eine Visumpflicht
für mehr Stabilität sorgen. Syrer müssen für ein Visum, das nur 24 Stunden
bis maximal 6 Monate Gültigkeit hat, den Grund ihrer Einreise angeben und
Nachweise über ausreichende finanzielle Mittel erbringen. Ansonsten dürfen
sie nicht mehr ins Land kommen. Das Ziel ist eindeutig: Es sollen weitere
Asylgesuche verhindert, die Einreise von Syrern soll reguliert und deren
Aufenthaltsorte im Libanon sollen kontrollierbar werden. Doch das Gegenteil
ist der Fall.
Zwar sank die Zahl der legal einreisenden Syrer von täglich 8.000 auf
3.000, wie eine hochrangige Quelle des libanesischen Innenministeriums eine
Woche nach Einführung der Maßnahmen der Zeitung Asharq al-Awsat erklärte.
Gleichzeitig nimmt natürlich die illegale Einwanderung zu, denn der Krieg
in Syrien geht ja unverändert brutal weiter. Mit dem Unterschied, dass die
Ausbeutung von vertriebenen Syrern nun noch leichter wird.
## Noch weniger Kontrolle
Zugleich haben die libanesischen Behörden über die Anzahl der Syrer und
deren Aufenthaltsorte im Libanon keine Informationen mehr, denn die meisten
kommen nun illegal. Eine vollständige Kontrolle der 330 Kilometer langen
Grenze ist ohnehin nicht möglich, weshalb auch der Schmuggel und das
organisierte Verbrechen weiter zunehmen. Warum also haben sich die Behörden
zu diesem unsinnigen Schritt entschlossen?
1. Die libanesische Koalitionsregierung ist nicht nur in der Syrienfrage,
sondern generell tief gespalten, was jede Entscheidungsfindung extrem
schwierig macht, zumal wenn es um Detailfragen geht. Also verständigt man
sich generell auf grobe Leitlinien – und ignoriert die praktischen Folgen
neuer Gesetze.
2. Der Libanon hat, was den Umgang mit Vertriebenen angeht, ein schwieriges
Erbe. Die Erfahrung mit palästinensischen Flüchtlingen ist bis heute
schmerzhaft in Erinnerung, denn sie waren ein Auslöser des Bürgerkriegs.
Auch deshalb wollen libanesische Behörden heute die syrischen Flüchtlinge
unbedingt loswerden.
3. Die Amtsträger versäumen es notorisch, mit der Zivilgesellschaft in
Kontakt zu treten und greifen stattdessen zu populistischen Maßnahmen. Dass
etwas gegen syrische Flüchtlinge unternommen werden muss, ist Konsens.
## Kein Pass, kein Mietvertrag
Und so wirkt sich das Gesetz im Einzelfall aus: Lama, eine junge Syrerin,
lebt seit etwa eineinhalb Jahren im Libanon und arbeitet für eine
libanesische Hilfsorganisation. Anfang des Jahres wollte sie ihren
Aufenthalt registrieren lassen, doch ihr Vermieter verweigerte ihr einen
offiziellen Mietvertrag, um keine Steuern zahlen zu müssen. Also suchte
Lama eine neue Wohnung, fand aber keine, die sie sich leisten konnte. So
lebt sie nun ohne Aufenthaltsgenehmigung, in der Hoffnung, dass das Gesetz
wieder abgeschafft wird.
Der junge Syrer Azzam studiert an einer libanesischen Universität. Im
Februar wollte er ein Studentenvisum beantragen. Entsprechend der neuen
Regelung muss er nun einen Nachweis über die Finanzierung seines
Lebensunterhalts erbringen (Konto, Überweisungsbelege etc.). Doch er
verfügt über kein Konto. Seine Familie lässt ihm Geld über Freunde und
Verwandte aus Syrien zukommen. Ohne Arbeit und Aufenthaltsgenehmigung kann
er wiederum kein Konto eröffnen – eine der Wirtschaftssanktionen gegen
Syrien. Azzam befindet sich in einem Teufelskreis. Auch er hat keine
Aufenthaltsgenehmigung und hofft auf eine Änderung des Gesetzes.
## Libanesische Großzügigkeit
Es gibt keine Statistiken über Situation und Aufenthaltsorten der
Flüchtlinge. Das erschwert es dem Libanon, internationale Hilfsgelder für
die Flüchtlinge zu erhalten. Hinzu kommt, dass die libanesische Regierung
die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen behindert. Sie verweigert
den ausländischen Experten die Verlängerung der Arbeitsgenehmigung.
Häufig werden syrische Flüchtlinge für die Zunahme der Kriminalität im
Libanon verantwortlich gemacht. Doch die offiziellen, von den ISF (Internal
Security Forces) herausgegebenen Zahlen für den Zeitraum von 2011 (dem
Beginn der syrischen Revolution) und dem dritten Quartal 2014 belegen das
Gegenteil. Diesen Angaben zufolge ist der Anteil der Verbrechen, die von
Syrern an Libanesen begangen wurden, von 6 Prozent (2011) auf 5 Prozent
(2014) gesunken. Der Anteil der von Libanesen an Syrern verübten Verbrechen
hingegen stieg von 2 Prozent (2011) auf 9 Prozent (2014). Der Anteil der
Verbrechen von Syrern an ihren Landsleuten nahm von 5 Prozent (2011) auf 12
Prozent (2014) zu. Aus den Statistiken geht auch hervor, dass die
Verbrechen an Syrern zugenommen haben. Der Grund dafür ist, dass es keinen
gesetzlichen Rahmen gibt.
Wenn das bereits vor der Neuregelung so war, wie wird sich erst die
zunehmende illegale Einwanderung auswirken? Trotzdem nimmt die libanesische
Bevölkerung die syrischen Flüchtlinge mit beispielloser Großzügigkeit auf.
Wäre das anders, die Lage wäre längst eskaliert. Mein Eindruck ist, dass
zwar die Ansicht vorherrscht, die Migration von syrischen Flüchtlingen
müsse dringend verringert werden. Gleichzeitig aber halten viele Libanesen
diese Maßnahmen für kontraproduktiv, ja auch für gefährlich.
Aus dem Arabischen von Jessica Siepelmeyer
12 Apr 2015
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