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# taz.de -- Südkoreas Schiffskatastrophe: Ein Unglück mit System
> Ein Jahr nach dem Untergang der Fähre „Sewol“ kämpfen Angehörige der 3…
> Toten weiter gegen politische Blockaden der Aufklärung.
Bild: Die Angehörigen der Opfer der vermeidbaren Katastrophe lassen nicht lock…
SEOUL taz | Rückblickend würde sie es wohl Vorahnung nennen. Doch am Morgen
des 16. April 2014 konnte Park Bo Na ihr ungutes Gefühl nicht einordnen. Zu
jener Stunde saß sie wie immer im Seminarraum ihrer Uni und schaffte es
nicht, sich auf den Vortrag des Professors zu konzentrieren. Ihre beste
Freundin reichte ihr unterm Tisch das Smartphone, dessen Display eine Fähre
zeigte, die in Schieflage im Gelben Meeres versank. Intuitiv blickte die
19-Jährige auf ihr Handy, sah Dutzende Anrufe ihrer Eltern.
Damals ahnte sie, was erst am Sonntag drauf, ausgerechnet zu Ostern, für
die gläubige Katholikin zur Gewissheit wurde: Ihr kleiner Bruder würde
niemals von seiner Klassenfahrt zurückkehren. „Für viele Familien ist seit
dem 16. April die Zeit stehen geblieben. Wir versuchen alles Mögliche, um
die Realität zu leugnen“, sagt Park.
Der Untergang der Fähre „Sewol“, bei dem 304 Menschen vor der Südküste d…
Landes ertranken, darunter 250 Schüler, polarisiert das Land ein Jahr
später stärker denn je. Die gelben Schleifen, Zeichen der Solidarität, sind
im Stadtbild Seouls allgegenwärtig. Hinterbliebene überwinterten in einem
Protestcamp im Rathausviertel. „Die Wahrheit sinkt nie!“, rufen sie.
Auch wenn noch immer nicht restlos geklärt ist, was genau in jenen Stunden
des 16. Aprils geschah, herrscht Konsens darüber, dass die Tragödie zu
verhindern gewesen wäre. Der Kapitän verließ als einer der ersten das
Schiff, doch verordnete er per Bordlautsprecher den Schülern, in ihren
Kabinen zu bleiben.
## Fehlverhalten von Kapitan, Crew und Reederei
Große Teile der Crew sollen noch in den Morgenstunden Alkohol getrunken
haben. Die Fähre war mit dem Doppelten der erlaubten Last unterwegs, das
Ballastwasser zur Stabilisierung war nicht an Bord. „Die Tragödie ist auch
eine Konsequenz des komprimierten Wirtschaftswachstums, des
allgegenwärtigen Neoliberalismus“, sagt Kim Tae Hyun. Die schlecht
ausgebildete Besatzung bestand zum Großteil aus Zeitarbeitern.
Schon als Student demonstrierte Kim für die Demokratiebewegung. Sein Leben
lang bekämpfte er, dass die dunklen Kapitel der Militärdiktatur in
Vergessenheit geraten. Nun hilft der Kurator, die Erinnerung an das
„Sewol“-Unglück zu archivieren. Er sammelte persönliche Überbleibsel der
Opfer und engagierte Fotografen, um die verlassenen Kinderzimmer
abzulichten. Derzeit zeigt eine Wanderausstellung die Bilder, später sollen
sie für ein Mahnmal dienen.
„Früher wurden Hinterbliebene mit Geld ruhig gestellt. Inzwischen erheben
die Leute ihre Stimme, ein zumindest kleiner Schritt der Veränderung“, sagt
Kim. Die „Sewol“-Aktivisten fordern eine neue Untersuchungskommission ohne
Beteiligung der konservativen Regierung, der sie misstrauen. Die
Verantwortlichen würden in der Regierung von Präsidentin Park Geun Hye
sitzen, die politische Elite sei nicht an tiefgreifenden Veränderungen
interessiert.
Park hat inzwischen mehrere Gesetze erlassen, um lang tolerierte korrupte
Netzwerke zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu entflechten, die für
das Unglück verantwortlich gemacht werden. Park kündigte einen
Sicherheitsplan an, der künftige Katastrophen vermeiden soll.
## Das Unglück spaltet die Gesellschaft
Doch das Unglück riss alte gesellschaftliche Wunden auf, welche die
Bevölkerung in Anhänger von Regierung und Opposition spalten. Während sich
die liberale Opposition früh mit Hinterbliebenen solidarisierte, mied Park
ein direktes Treffen mit Opferfamilien. Parks Umfragewerte sanken auf ein
Rekordtief.
Noch immer hängt Park an, dass sie mehrere Stunden nach der Katastrophe
nicht einmal für engste Mitarbeiter zu erreichen war. Als ein japanischer
Journalist Gerüchte aufgriff, wonach sie einen Exberater in einem Hotel
getroffen habe, wurde er angeklagt. Was Park wirklich machte, ist bis heute
unklar.
Als die Hinterbliebenen Zahlungen der Regierung ablehnten, drehte sich
erstmals die öffentliche Meinung. Die Studentin Park bekam das zu spüren,
als sie im Stadtzentrum Unterschriften für eine Petition sammelte.
Passanten warfen ihr vor, sich am Leid der Opfer persönlich bereichern oder
politisches Kapital daraus schlagen zu wollen. Die Studentin fürchtet sich
vor dem 16. April. Mit dem Jahrestag könne sie sich nicht mehr einreden,
ihr Bruder wäre noch immer auf Klassenfahrt.
15 Apr 2015
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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