Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lateinpflicht auf der Kippe: Cicero nicht mehr korrekt zitieren
> Ist die Lateinpflicht für Lehrer unerlässlich oder ungerecht? Die
> Regierung von NRW will sie abschaffen. Gegner und Befürworter sammeln
> Argumente.
Bild: Über 2000 Jahre nach Caesars Eroberungen bröckelt der Primat seiner Spr…
BERLIN taz | Beatriz Matafora wollte Spanischlehrerin am Gymnasium werden.
Doch die Lehramtsstudentin hat ihr Berufsziel geändert. Schuld daran ist
Latein. „Ich habe Spanisch studiert, meine Muttersprache ist Portugiesisch,
und dann musste ich Texte von Latein ins Deutsche übersetzen, das ergibt
doch wirklich keinen Sinn“, erzählt sie.
Viele ihrer Kommilitonen hätten daher den Studiengang gewechselt und
studierten nun Lehramt für Real- und Gesamtschulen. Dafür brauche man kein
Latinum. Allerdings sind auch die Jobaussichten schlechter, da an diesen
Schularten oft weniger Fremdsprachen unterrichtet werden.
In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz müssen Lehramtsstudenten der
Fächer Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch sowie Theologie und
Geschichte ein Latinum nachweisen, wenn sie später das Fach im Gymnasium
unterrichten wollen. Wer es nicht aus der Schule mitbringt, muss es im
Studium nachholen. Der Aufwand ist beträchtlich: Vier Stunden Lateinbüffeln
am Tag gelten als Faustregel für das kleine Latinum.
Nicht nur Matafora kapitulierte, auch die rot-grüne Landesregierung. Sie
verspricht schon länger eine Reform des Lehrerausbildungsgesetzes. Schon
vor zwei Jahren hielt Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) die
Lateinpflicht für verzichtbar. Bis Mitte des Jahres will ihr Ministerium
einen Vorschlag erarbeitet haben. Voraussichtlich wird man bei den modernen
Fremdsprachen auf den Nachweis von Lateinkenntnissen verzichten, bei
Geschichte und Philosophie soll das kleine Latinum reichen.
## Besonderer Nachteil für Arbeiterkinder
Noch bevor der Landtag abstimmt, debattieren Gegner und Befürworter über
die Lateinpflicht. Der Bochumer Studierendenvertreter Moritz Fastabend
hatte bereits vor zwei Jahren eine Petition zur Abschaffung der
Lateinpflicht für Lehramtsstudenten eingereicht. Die Lateinpflicht
verstärkt die Bildungsungerechtigkeiten, argumentiert er. Denn Latein wird
traditionell an humanistischen Gymnasien gelehrt. „Wer nicht den
klassischen Schulweg beschritten hat, weil er sein Abitur auf dem zweiten
Bildungsweg absolvierte, hatte keine Möglichkeit, Latein in der Schule zu
lernen.“
Das müsse er dann an der Uni nachholen – und dort sei das Latinum sehr
hart. „Das ist eine Ungerechtigkeit den Leuten gegenüber, die nicht das
Glück hatten, ein Gymnasium zu besuchen. Arbeiterkinder haben da einen
besonderen Nachteil, sie sind dort ohnehin schon seltener vertreten“, sagt
Fastabend.
Die Lateinpflichtgegner wollten bereits vor zwei Jahren erreichen, dass
angehende Englisch-, Französisch-, Italienisch- und Spanischlehrer kein
Latinum mehr brauchen: Über 9.000 Unterschriften sammelten sie binnen sechs
Monaten ein.
Die Kölner Studentin Hannah Birken hat vor einem Jahr eine Gegenpetition
eingereicht: Sie spricht sich für den Erhalt der Lateinpflicht aus. Latein
sei sowohl für die modernen Fremdsprachen als auch für Geschichte und
Philosophie sinnvoll, um wissenschaftlich arbeiten zu können. „Gerade als
Gymnasiallehrer soll man das wissenschaftliche Arbeiten in der Oberstufe
seinen Schülern beibringen können“, argumentiert sie.
## Private Kurse kosten viel
Bisher profitieren vor allem Anbieter privater Lateinkurse von der
Lateinpflicht: Zwischen 600 und 1.200 Euro kostet ein solcher Kurs in den
Semesterferien. Viele von Isabell Keys Kommilitonen besuchen diese Kurse
aus Angst, den Stoff nicht zu bewältigen. „Dass so viele Studenten diese
unglaublich teuren Kurse bezahlen müssen, macht mich wütend“, sagt die
21-Jährige. Sie fordert, der Aufwand sollte auch so, allein mit den
Uni-Kursen, machbar sein.
Key studiert Englisch, Kunst und Bildungswissenschaften auf Lehramt. Auch
sie brauchte mehrere Anläufe, hat jetzt aber das kleine Latinum in der
Tasche. Das Schlimmste, sagt sie, liege noch vor ihr: das große Latinum.
„Mir wurde von vielen geraten, vor dem großen Latinum keine Hausarbeiten
oder schwierige Prüfungen anzugehen – sonst würde ich es nicht schaffen.“
Wer das Latinum im ersten Anlauf nicht schafft, braucht häufig länger. Das
verursacht dann auch ein finanzielles Problem: Bafög-berechtigte Studenten
verlieren ihren Anspruch auf Unterstützung, wenn sie die Regelstudienzeit
überschreiten. Zwar kann das Lernen von Fremdsprachen im Studium den
Anspruch auf Unterstützung um ein Semester verlängern, wenn die
Fremdsprache für das Studienfach vorausgesetzt wird – doch das gilt
ausgerechnet nicht für Latein, weil das laut Bafög-Gesetz „üblicherweise“
während der Schulzeit unterrichtet wird.
## Latinum erhalten – länger studieren
Lateinbefürworterin Birken schlägt vor, die Regelstudienzeit und damit den
Bafög-Anspruch zu verlängern, wenn für die Fächer Lateinkenntnisse
vorgeschrieben sind. Außerdem sollten Leistungspunkte vergeben werden, wenn
Studenten das Latinum während ihres Studiums absolvieren müssen.
Doch auch die Studierenden, die nebenher noch arbeiten gehen müssen, um
sich das Studium zu finanzieren, haben mit dem ungeheuren Lernaufwand ein
echtes Problem, wendet Fastabend ein. Er zweifelt allgemein die
Notwendigkeit von Latein bei Sprachlehrern an: „Jemand, der Spanisch
unterrichtet, muss ja nicht Cicero zitieren. Bei Geschichte ist es sicher
sinnvoll, die Texte in groben Zügen zu verstehen, aber moderne
Fremdsprachen kann man auch ohne ein großes Latinum vermitteln.“ Die
Lateinpflicht müsse grundsätzlich reformiert werden, nicht stückchenweise
verbessert.
Auch nach der voraussichtlichen Abschaffung der Lateinpflicht für werdende
Fremdsprachenlehrer dürfen die Universitäten selbst entscheiden, ob sie
einen Lateinnachweis verlangen, und wie hoch er sein soll. Deshalb kann es
sein, dass auch weiterhin einige Universitäten darauf bestehen, ihre
Studenten in Lateinkurse zu schicken.
Dieses Risiko wollte Matafora nicht mehr eingehen. Sie studiert jetzt
Erziehungswissenschaften. Dafür braucht sie kein Latinum.
16 Apr 2015
## AUTOREN
Helke Ellersiek
## TAGS
Lehrerausbildung
Lehrer
Gymnasium
Nordrhein-Westfalen
Bildung
Hamburg
Lehramt
Papst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Panne beim Zentralabi in Hamburg: Schulbehörde durchgefallen
Bei der Abiturprüfung in Physik fehlte eine Formel. Die Schulbehörde
schickte sie per Fax in die Prüfungszimmer – nicht überall rechtzeitig.
Lingua Latina non mortua est: Gloria Latinitatis!
Nordrhein-Westfalen hat die Latein-Pflicht für Lehramtsstudierende
aufgehoben. Welch Missetat, welch Frevel!
Die Wahrheit: Der heilige Hartmut
Nach dem Rücktritt des römischen Papstes fegt ein Pontifexboom durch
Deutschland. Zahllose Rollenspielfans entdecken die Kurie für sich.
... Italienern das Latinum
Das neue Motto der italienischen Feuerwehr lautet "Flammas domamus donamus
cordem". Blöd, dass das kleine Latinum offenbar nicht gepaukt wurde - und
sich ein Grammatikfehler im Credo versteckt.
Niels Annen ohne Uni-Abschluss: Ein Leben ohne Latinum
Pleiten, Pech und Pannen: Politiker Niels Annen hat sein Studium
abgebrochen und schämt sich - aber warum?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.