# taz.de -- Die Wahrheit: Der heilige Hartmut | |
> Nach dem Rücktritt des römischen Papstes fegt ein Pontifexboom durch | |
> Deutschland. Zahllose Rollenspielfans entdecken die Kurie für sich. | |
Bild: Wenn Papst Hartmut nicht in seinem Papamobil unterwegs ist, durchstreift … | |
Der bullige Zweimetermann überprüft ein letztes Mal den Sitz seines | |
Scheitelkäppchens und lässt sich von seiner Frau Petra die weißen | |
Pontifikalhandschuhe bringen. „Das ist meine Haushälterin“, stellt Hartmut | |
Wenzel sie vor und entbietet ihr den Ring zum Kuss. „Mein Hartmut ist halt | |
für ein paar Monate im Jahr unfehlbar, damit kann ich leben“, meint die | |
leidensbereit wirkende Sachbearbeiterin, während ihr Mann, nunmehr in | |
vollem Ornat, auf einem fahrenden Podest im Wohnzimmer herumkurvt und | |
übungshalber einen wehrlosen Ficus seligspricht. | |
Hartmut Wenzel ist gelernter Fernmeldetechniker, Familienvater und | |
ADAC-Mitglied. Aber Wenzel ist auch Papst, zumindest in seiner Freizeit. | |
„Raus aus dem Job, rein in die Soutane„, erklärt der Hobbykleriker, der | |
sich mit Gleichgesinnten im Verein „Papst Hartmut & Pfründe“ | |
zusammengeschlossen hat. „Einfach mal abschalten und aus den Zwängen des | |
Alltags fliehen, während man mit einem Glas Messwein in der Hand über einer | |
gepfefferten Bulle brütet.“ | |
Wenzel ist einer von siebenundzwanzig amtierenden Päpsten in Deutschland. | |
Rollenspiele, die sich am Wirken der Kurie orientieren, erleben derzeit | |
eine ungeahnte Blüte. „Wir sehen hier einen Paradigmenwechsel“, erläutert | |
der Soziologe Lothar Pfennigstein, der in Köln den bundesweit einzigen | |
Lehrstuhl für Unterhaltungstheologie innehält. „Weg von den reinen | |
Fantasy-Welten mit ihren Elfen, Trollen und Zauberern, hin zu eher | |
erwachsenen Szenarien, die dennoch mit einer geschlossenen und von Magie | |
bestimmten Weltsicht aufwarten können. Der Katholizismus mit seiner | |
prächtigen Folklore und den uralten Riten bietet sich als Folie geradezu | |
an.“ | |
Mittlerweile ist Wenzel in seinem Papamobil, einem umgebauten | |
Pritschenwagen, auf dem Weg zum wöchentlichen Konsistorium. Man trifft sich | |
im verrauchten Hinterzimmer eines nicht eben eleganten Vorstadt-Italieners | |
am Rande eines Kölner Gewerbegebietes. „Unsere sixtinische Kapelle“, nennt | |
Papst Hartmut den Raum ohne jede Spur von Ironie, und tatsächlich sind die | |
Wandmalereien dem berühmten Vorbild nachempfunden, wenn auch weniger | |
kunstfertig und mit einer Pizza Tonno als zentrales Motiv. | |
Von den anderen selbsternannten Päpsten - weltweit sind es mittlerweile | |
über dreihundert - hält Hartmut Wenzel wenig und will sie gar nicht erst | |
anerkennen. Aber genau darin sieht „Highlander“-Fan Wenzel den Reiz des | |
Papsttums. „Es kann nur einen geben!“, ruft er bestens gelaunt, und sein | |
triumphierender Blick lässt keinen Zweifel zu, wer seiner Meinung nach | |
dieser eine sein sollte. | |
Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, immerhin sind Wenzels Papisten | |
gerade von einem gegnerischen Clan, dem Traditionsverein „Die Löstigen | |
Schismatiker Ehrenfeld“, in Grund und Boden exkommuniziert worden. „Sogar | |
unseren Vereinswimpel, das Schweißtuch meiner Nichte Veronika, haben diese | |
Schweinepriester geklaut“, empört sich Papst Hartmut und verschweigt dabei | |
allerdings, dass er es selbst war, der zuvor zum Kreuzzug wider die | |
Vereinsklause der Ehrenfelder Häretiker aufgerufen hatte. | |
Wenzel ist denn auch nicht unumstritten in der Szene des Freizeitklerus. | |
Zwar gilt er allgemein als durchsetzungsfreudiger und charismatischer | |
Pontifex, doch besonders großer theologischer Sachverstand wird ihm nicht | |
einmal von den eigenen Anhängern attestiert. „Seine Heiligkeit hat nur | |
wenig Sinn für die Schönheit scholastischer Disputationen“, bemerkt ein | |
ehemaliger Kardinal spitzzüngig. „Außerdem hat er nicht mal das kleine | |
Latinum.“ | |
Vor seiner Bekehrung wirkte Hartmut Wenzel als Präsident eines örtlichen | |
Motorradclubs, bis ihn eine Knieverletzung zur Aufgabe seines geliebten | |
Hobbys und des Amtes zwang. Doch nicht zuletzt aus diesen Quellen und | |
Erfahrungen scheint Wenzel, der den Wechsel von Kutte zu Talar nie bereut | |
haben will, sein eher traditionelles Kirchenverständnis zu schöpfen: | |
„Absoluter Gehorsam, unbedingte Loyalität und völlige Verschwiegenheit“, | |
umreißt er die Schlüsselqualifikationen seines Klerus. „Und damit sind wir | |
verdammt nah dran am Original.“ | |
Und schon beginnt die heutige Sitzung von Hartmuts Kurie - die | |
selbstverständlich nur für Mitglieder bestimmt ist. Als sich die heilige | |
Pforte schließt, hört man gerade noch, wie Papst Hartmuts Mannen gemeinsam | |
die Vereinshymne anstimmen, den rheinischen Choral „Pfründe in der Not“. | |
17 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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