# taz.de -- Jugendbanden in El Salvador: „Nicht zögern, sondern schießen“ | |
> In El Salvador eskaliert der Kampf zwischen Staat und Jugendbanden | |
> erneut. Die Regierung reagiert repressiv und hilflos. | |
Bild: Mitglieder der Jugendbande Barrio 18 auf dem Weg ins Gefängnis. | |
Es passiert so gut wie jeden Tag: Granaten werden auf einen Armeeposten | |
geworfen, ein Toter, drei Verletzte. Eine Polizeipatrouille gerät bei einer | |
Streife auf dem Land in einen Hinterhalt, eine Polizistin wird erschossen. | |
Ein Leibwächter des Präsidenten wird von Maskierten zu Hause aufgesucht und | |
ermordet. Die Sicherheitskräfte schlagen wütend zurück: Neun junge Männer | |
werden von einer Armeeeinheit niedergeschossen. Die Militärs behaupten | |
hinterher, sie seien in ein Feuergefecht verwickelt worden. | |
Erstaunlicherweise hat kein Soldat auch nur eine Schramme abbekommen. | |
Auch im Bürgerkrieg der achtziger Jahre in El Salvador hatte das Militär | |
stets behauptet, seine Truppen hätten nur sich und Recht und Ordnung | |
verteidigt, wenn junge Leute von Soldaten massakriert wurden. Die Toten, | |
das seien „Terroristen“ von der Guerilla der Nationalen Befreiungsbewegung | |
Farabundo Martí (FMLN). Inzwischen regiert die FMLN das Land und sagt, die | |
heutigen Toten seien Mitglieder der Maras genannten kriminellen | |
Jugendbanden. | |
Der Vizepräsident und ehemalige Guerillakommandant Oscar Ortiz hat Armee | |
und Polizei aufgefordert, sie sollten „nicht zögern, sondern schießen“. | |
Hato Hasbún, Sicherheitsbeauftragter der Regierung, hat öffentlich | |
„Säuberungen“ verlangt. Allein im März haben Sicherheitskräfte, so | |
Präsident Salvador Sánchez Cerén, 140 Mara-Mitglieder erschossen. | |
Nach zwei Jahren relativer Ruhe erlebt El Salvador eine Welle der Gewalt. | |
2012 und 2013, als die beiden großen Mara-Verbände Mara Salvatrucha und | |
Barrio 18 einen von Beratern des damaligen Präsidenten Mauricio Funes | |
vermittelten Waffenstillstand mehr oder weniger einhielten, starben täglich | |
durchschnittlich fünf Menschen eines gewaltsamen Tods. Heute sind es | |
sechszehn. Der knapp sechs Millionen Einwohner zählende Kleinstaat gilt | |
nach Honduras als das weltweit gewalttätigste Land außerhalb von | |
Kriegsgebieten. | |
## Die Bevölkerung lebt von den Einnahmen der Banden | |
Die immer häufiger werdenden gezielten Angriffe auf Sicherheitskräfte sind | |
eine weitere Eskalation: In den vergangenen zwei Monaten wurden 23 | |
Polizisten und sechs Soldaten ermordet. Polizei- und Armeeposten bunkern | |
sich seither hinter hohen Mauern aus Sandsäcken ein. In der vergangenen | |
Woche kündigte Sánchez Cerén die Bildung von drei schnellen Eingreiftruppen | |
aus Eliteeinheiten der Armee zur Bekämpfung der Maras an. Solche Battalions | |
waren im Bürgerkrieg für die meisten Massaker an der Zivilbevölkerung | |
verantwortlich und sind deshalb nach dem Friedensvertrag von 1992 aufgelöst | |
worden. | |
Auch das Mara-Problem reicht in diese Zeit zurück. Jugendliche, die fast | |
ohne Schulbildung in Flüchtlingslagern aufgewachsen waren, schlossen sich | |
in Banden zusammen, nannten sich „Maras“ und schlugen sich als | |
Kleinkriminelle durchs Leben. Zu ihnen stießen Exilsalvadorianer aus den | |
USA, die dort kriminelle Karrieren in Bandenkriegen und Drogenhandel hinter | |
sich hatten und nach dem Krieg in ihre Heimat abgeschoben wurden. | |
Heute kontrollieren Maras den lokalen Drogenmarkt und erpressen Schutzgeld | |
von Privatleuten und Firmen. Die beiden großen Verbände haben zusammen rund | |
70.000 Mitglieder. Soziologen gehen davon aus, dass rund zehn Prozent der | |
Bevölkerung von ihren Einnahmen leben. | |
Der seit Juni 2014 regierende Sánchez Cerén hatte eigentlich eine | |
Kombination aus geheimdienstlicher Arbeit der Polizei gegen die | |
Führungszirkel der Maras und Integrationsprogrammen für Aussteigewillige | |
versprochen. Weil aber auch während des Waffenstillstands die massenhafte | |
Schutzgelderpressung weiterging, schlug er eine härtere Gangart ein. Auf | |
die jetzige Eskalation der Gewalt reagiert er mit einer Mischung aus | |
Repression und Hilflosigkeit. | |
Unter anderem werden die bislang in getrennten Haftanstalten | |
untergebrachten Mitglieder der Mara Salvatrucha und der Barrio 18 in | |
Zukunft zusammengelegt. Das wird zu blutigen Bandenkriegen hinter | |
Gefängnismauern führen. Mitte März rief die Regierung gemeinsam mit Kirchen | |
und sozialen Organisationen zu Demonstrationen gegen die Gewalt auf. Rund | |
eine halbe Million Menschen ging auf die Straße. Die Zahl der Morde ist | |
seither weiter gestiegen. | |
4 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Cecibel Romero | |
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