# taz.de -- 70 Jahre nach dem Tag der Befreiung: Strumpfhosen für die Army | |
> Im und für den Krieg wird erfunden – im Zweiten Weltkrieg war es etwa das | |
> Radar. Doch auch Nylon, Public Viewing und Fanta stammen aus dieser Zeit. | |
Bild: Fernsehen gab es schon, einen Fernseher hatten die meisten aber nocht nic… | |
Crytal Meth | |
Was wir heute als Crystal Meth bezeichnen, heißt eigentlich Methamphetamin | |
und wurde in Deutschland erstmals 1938 unter dem Namen „Pervitin“ auf den | |
Markt gebracht. Es war in den Anfangsjahren frei erhältlich. Das | |
Aufputschmittel unterdrückt Gefühle wie Müdigkeit oder Schmerz. Das von den | |
Temmler-Werken in Detmold produzierte Pervitin wurde als Medikament für so | |
gut wie jedes Gebrechen eingesetzt. Vor allem sollte die Droge aber während | |
der Blitzkriege gegen Polen und Frankreich die Leistungsfähigkeit der | |
Soldaten steigern und ihr Angstgefühl unterdrücken – weswegen sie auch | |
Spitznamen wie „Panzerschokolade“ oder „Stuka-Tabletten“ bekam. | |
Insgesamt sollen Soldaten der Wehrmacht bis 1945 etwa 60 Millionen Pillen | |
Pervitin erhalten haben. Die ungesunden Nebenwirkungen waren nicht zu | |
übersehen. Bald traten unter den Soldaten neben Sucht und Psychosen immer | |
mehr Fälle von Herzversagen auf. 1941 fiel Pervitin unter das | |
Reichsopiumsgesetz und war damit nur noch auf Rezept erhältlich. Die | |
Ausgabe an Soldaten wurde nicht gestoppt, aber eingeschränkt. Auch Hitler | |
soll pervitinabhängig gewesen sein. | |
Gummi-Ersatz | |
Der Gummi-Rohstoff war außerordentlich wichtig für die Produktion von | |
Reifen für die Wehrmachtsfahrzeuge. Da Kautschuk in Deutschland nicht | |
natürlich vorkommt und der Rohstoff im Laufe des Krieges knapp wurde, | |
konzentrierte man sich früh auf die Herstellung einer synthetischen | |
Variante aus „Heimstoffen“, der man später den Namen „Buna“ gab. 1937 … | |
die IG Farben das weltweit erste Synthesekautschukwerk in Betrieb, die | |
Buna-Werke in Schkopau. Es folgten ein zweites und ein drittes Werk sowie | |
1942 die Buna-Werke [1][samt firmeneigenem Konzentrationslager in | |
Auschwitz-Monowitz (auch Auschwitz III)]. Dieser Standort der IG Farben ist | |
eines der anschaulichsten Beispiele für die Verbindungen zwischen dem | |
NS-Regime und der Wirtschaft. | |
Nach heutigem Wissensstand sind dort etwa 25.000 Menschen entweder bei | |
schwerster Zwangsarbeit ums Leben gekommen oder in den Gaskammern von | |
Auschwitz-Birkenau ermordet worden. Auschwitz III sollte ab Sommer 1945 die | |
größte und modernste Chemiefabrik Europas werden. Bis dahin waren nur | |
einige Labore in Betrieb – wie etwa das, in dem Primo Levi Zwangsarbeit | |
leisten musste. Zum Betriebsstart kam es nicht mehr, Auschwitz-Monowitz | |
wurde zusammen mit den anderen Teilen des KZ am 27. Januar 1945 von den | |
Sowjets befreit. | |
Fernsehen | |
Während der Fußball-WM zum Public Viewing – dieser Trend hat mit den | |
Anfängen des Fernsehens einiges zu tun. Das weltweit erste regelmäßige | |
Programm in hochauflösender Qualität wurde in Deutschland ab dem 22. März | |
1935 ausgestrahlt. Der deutsche Fernsehsender Paul Nipkow (auch: Deutscher | |
Fernseh-Rundfunk) sendete bald jeden Abend für 90 Minuten – obwohl damals | |
kaum jemand über einen Fernseher verfügte. Während der Olympischen Spiele | |
1936 wurde die Sendezeit auf acht Stunden ausgeweitet, die sonst schwach | |
besuchten öffentlichen Fernsehstuben füllten sich. Ab 1939 wurde vermehrt | |
Kriegspropaganda wie die Küchensendung „Die Hausfrau im Kriege“ und die | |
Truppenbetreuungssendung „Soldaten spielen für Soldaten“ ausgestrahlt. | |
Nylon | |
Aus ihm machen wir Zahnbürsten, Strumpfhosen oder Gitarrensaiten – Nylon. | |
Im Jahr 1935 erfand der amerikanische Chemiker Wallace H. Carothers die | |
erste vollständig synthetische Faser, bestehend aus Kohlenstoff, Wasser und | |
Luft. Stellte die Firma DuPont zunächst vor allem Zahnbürsten aus Nylon | |
her, ging der 16. Mai 1940, an dem erstmals vier Millionen Damenstrümpfe | |
auf den regulären Markt kamen, als „N-Day“ in die amerikanische Geschichte | |
ein. Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg Ende 1941 avancierte | |
Nylon zu einem wichtigen Rohstoff für die Herstellung von Fallschirmen für | |
die Fliegerpiloten – japanische Seide war nach Pearl Harbor nicht mehr zu | |
haben. Die Produktion für zivile Zwecke wurde eingeschränkt. Patriotische | |
Frauenverbände starteten Sammelaktionen und spendeten dem Militär ihre | |
Nylons. | |
In Deutschland entwickelte die IG Farben 1938 ebenfalls eine Kunstfaser mit | |
dem Namen „Perulan“, später bekannt als „Perlon“. Ihrem Erfinder Paul | |
Schlack gelang es, das amerikanische Nylon in seinen Eigenschaften | |
nachzuahmen, ohne jedoch das Patent zu verletzen. Die Erfindung wurde | |
geheim gehalten. Perulan war als „militärisch wichtiges Material“ nur für | |
die militärische Produktion gedacht. Flugzeugreifen, Fallschirme, Bürsten | |
zum Reinigen von Waffen. Nur die Frauen der IG-Farben-Manager bekamen zu | |
Weihnachten 1943 Perlonstrümpfe. Im Nachkriegsdeutschland nahmen | |
Nylonstrümpfe aus amerikanischen Carepaketen eine wichtige Rolle als | |
Währung auf dem Schwarzmarkt ein. | |
Fanta | |
„Vor 75 Jahren waren die Rohstoffe für die beliebte Coke in Deutschland | |
knapp“, erklärt ein Video, mit dem [2][die Coca Cola Company das Jubiläum | |
der Orangenlimonade Fanta bewerben] will. Zu diesem Anlass brachte sie die | |
[3][„Klassik Fanta“ in der Glasflasche] auf den Markt und warb mit dem | |
Aufdruck „75 Jahre Fanta. Erfunden in Deutschland“ – um diese „deutsche | |
Ikone“ zu feiern und das „Gefühl der guten alten Zeit“ zurückzubringen.… | |
Werbespot löste im Internet Empörung aus. Was der Konzern als „gute alte | |
Zeit“ anpreist, ist nämlich das Jahr 1940 in Nazi-Deutschland. | |
Kriegsbedingt waren damals die Rohstoffe knapp, die amerikanische Coca Cola | |
Company wollte den deutschen Markt, auf dem sie seit 1929 präsent war, aber | |
nicht aufgeben. Deswegen ließ sie von dem deutschen Chemiker Schetelig ein | |
Ersatzgetränk aus Molke und Apfelfasern zusammen mischen: Fanta. Im Jahr | |
1939 produzierte der Konzern in Deutschland nach eigenen Angaben 4,5 | |
Millionen Kisten Cola in 50 Fabriken. Im Jahr 1942 stellte er die | |
Produktion komplett auf Fanta um. Für das peinliche Werbevideo hat die Coca | |
Cola Company sich entschuldigt, sie bewirbt die „deutsche Ikone“ nun mit | |
den Worten „erfrischend anders“. | |
10 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wollheim-memorial.de/de/auschwitz_bunamonowitz | |
[2] https://vimeo.com/120705931 | |
[3] http://www.fanta.de/ | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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