| # taz.de -- Behördenwahnsinn in Berlin: Verdammt lange Warteschleife | |
| > Ein Wohnungseigentümer will in Solarenergie machen und braucht dafür eine | |
| > klitzekleine Genehmigung. Doch die lässt seit Wochen auf sich warten. | |
| Bild: Bevor man sie putzen kann, muss man die Solarzellen fürs eigene Heim kri… | |
| Stellen Sie sich einen Kreuzberger Wohnungseigentümer mit grünem Gewissen | |
| vor. Der gute Mann hat seine Eigentümergemeinschaft überzeugt, auf dem Dach | |
| der gemeinsamen Immobilie eine Photovoltaikanlage zu installieren. Eine auf | |
| Solartechnik spezialisierte Firma im Nachbarbezirk ist bereits mit der | |
| Montage beauftragt. Bald kann der Sonnenstrom fließen. | |
| Die Leitungen zu den Modulen muss die Solarfirma auf der Fassade des | |
| Neubaus verlegen. Kein Problem – dafür gibt es hydraulische Arbeitsbühnen, | |
| die ein lokaler Anbieter vermietet. Der kümmert sich auch beim Ordnungsamt | |
| um die Genehmigung zur Aufstellung des Fahrzeugs. Ohne geht es nicht, | |
| schließlich handelt es sich um eine Sondernutzung von Straßenland, und | |
| während der Arbeiten muss der Gehweg gesperrt werden. Kein Ding. | |
| Aber dann kommt die Antwort vom Amt, genauer: von der | |
| Straßenverkehrsbehörde. Man bestätige den Eingang des Antrags, heißt es da, | |
| allerdings sei wegen „personeller Engpässe“ mit „längeren | |
| Bearbeitungszeiten“ zu rechnen. Und: „Es wird gebeten, von telefonischen | |
| und schriftlichen Nachfragen zum Bearbeitungsstand abzusehen.“ | |
| Sprich: Seit Wochen passiert nichts mehr. Der Hebebühnen-Vermieter weiß | |
| nicht, wann er gebraucht wird, die Solarfirma weiß nicht, wann sie den | |
| Auftrag ausführen kann, und der Eigentümer mit dem grünen Gewissen weiß | |
| nicht, wann die Sonne für ihn arbeitet. Stillstand. | |
| ## Bloß nicht nachfragen | |
| Die Geschichte ist wahr, aber wir behandeln sie mit Diskretion. „Nicht, | |
| dass uns die Behörde noch mehr Steine in den Weg legt“, sagt der | |
| Geschäftsführer der Solarfirma. Er ist genervt von der Verzögerung eines so | |
| alltäglichen Vorgangs: „Normalerweise gucken die drauf, stempeln ab und | |
| fertig. Da dauert es ja länger, so ein Schreiben aufzusetzen.“ | |
| Nachfrage bei Joachim Wenz, Leiter des Ordnungsamts | |
| Friedrichshain-Kreuzberg: Warum dauert das so lange, und warum darf man | |
| nicht mal nachfragen? „Natürlich dürfen Sie nachfragen“, sagt Wenz, „ab… | |
| das hält die Sachbearbeiterin ja nur auf.“ Schneller werde dadurch nichts. | |
| Der Singular in „die Sachbearbeiterin“ ist korrekt – in dem | |
| 275.000-Einwohner-Bezirk kümmert sich zurzeit eine einzige Person um solche | |
| Anträge. Die zweite Kollegin ist in Elternzeit, und jemanden anzulernen | |
| dauert laut Wenz drei Monate. „Das Arbeitsgebiet ist hoch spezialisiert, | |
| man muss ja die entsprechende Software bedienen können.“ Immerhin bekomme | |
| man bald einen Azubi, der unterstützend tätig sein könne. | |
| Und wie lange braucht jetzt die Genehmigung? „Kommt drauf an“, sagt Wenz, | |
| „es waren schon mal acht Wochen, derzeit sind es vielleicht sechs.“ Im | |
| Sommer würden aber viele Arbeiten im Straßenraum durchgeführt, da könne | |
| sich die Wartezeit noch mal ausdehnen. Immerhin verspricht der | |
| Ordnungsamtsleiter Folgendes: Wenn der Termin, um den es in einem Antrag | |
| geht, bei dessen Prüfung schon verstrichen ist, werde man den Antragsteller | |
| kontaktieren und einen neuen Terminvorschlag erbitten. Und den genehmige | |
| man „unverzüglich“. | |
| Wenz weiß, dass der Arbeitsstau in seiner Behörde für alle Beteiligten eine | |
| Zumutung ist. Im Prinzip brauche die Straßenverkehrsbehörde unbedingt eine | |
| dritte Stelle, sagt er. Aber woher nehmen? | |
| In ganz Berlin geht die Verwaltung auf dem Zahnfleisch, quälende | |
| Wartezeiten gibt es überall, und sie betreffen längst nicht nur | |
| wirtschaftliche Aktivitäten. Wer private Dinge auf dem Bürgeramt oder bei | |
| der Ausländerbehörde regeln muss, kann ein Lied davon singen. | |
| Schuld daran ist die Sparpolitik des aktuellen Senats und seiner Vorgänger. | |
| Auf rechnerisch 100.000 Vollzeitstellen soll die Berliner Verwaltung | |
| eingedampft werden, 20.000 davon auf Bezirksebene – dieses Ziel ist fast | |
| erreicht, nachdem Berlins öffentlicher Dienst im Jahr 2000 noch rund | |
| 150.000 Beschäftigte zählte. Es geht um Lehrer und Polizisten, | |
| Staatsanwälte und Feuerwehrleute, aber eben auch um Tausende Beschäftigte | |
| in den Senats- und Bezirksverwaltungen sowie deren nachgeordneten Ämtern. | |
| Die Demografie kommt der Politik zur Hilfe: Rein altersbedingt scheiden | |
| derzeit jedes Jahr so viele Mitarbeiter aus wie nie zuvor. Laut | |
| Finanzverwaltung sind bestimmte Berufsgruppen besonders betroffen: Zum | |
| Beispiel werden zwischen 2014 und 2024 von den zurzeit in der Verwaltung | |
| beschäftigten Ingenieuren über 2.000 in Rente gehen: 65 Prozent. Damit der | |
| aktuelle Personalstand gehalten werden kann, müssten jährlich circa 5.000 | |
| Einstellungen vorgenommen werden – zu diesem Ergebnis kommt die | |
| Linksfraktion in einem Strategiepapier. | |
| ## Keine seriöse Planung | |
| Für Fraktionschef Udo Wolf ist das Problem aber nicht ein rein | |
| mengenmäßiges: Er kritisiert, dass vor allem Qualifikationen verloren | |
| gehen: „Es findet keine adäquate Personalentwicklung statt“, so Wolf. Der | |
| Senat stelle noch nicht einmal die richtigen Fragen, nämlich welche | |
| Spezialisten die wachsende Stadt besonders brauche. „Es gibt keine seriöse | |
| Planung, was in welchen Bereichen perspektivisch benötigt wird.“ Der Senat | |
| habe sich zwar dazu bekannt, verstärkt in Infrastruktur zu investieren, | |
| „aber wir haben etwa zu wenig Fachleute, um rechtskonforme Ausschreibungen | |
| zu machen“. | |
| In den vergangenen Jahren sei viel zu wenig ausgebildet worden, so Wolf, | |
| dabei habe man sich die Entwicklung ausrechnen können. Dass Finanzsenator | |
| Matthias Kollatz-Ahnen den Bezirken im März 300 neue Stellen versprochen | |
| habe, sei „weniger als der Tropfen auf den heißen Stein“. Die Linksfraktion | |
| fordert deshalb unter anderem einen Staatssekretärsposten für | |
| Personalfragen an der Schnittstelle von Finanz- und Innenverwaltung, mehr | |
| Qualifizierung, mehr Quereinsteiger und eine Werbekampagne, um neue | |
| Mitarbeiter zu gewinnen. | |
| Der Kreuzberger Eigentümer fragt sich derweil, was passieren würde, wenn | |
| man den Gehweg vorm Haus vorschriftsgemäß, aber ohne Genehmigung absperren | |
| würde. Vielleicht gar nichts? Aber er ist ja kein Outlaw, und die Firmen | |
| würden das ohnehin nicht tun. Er muss also geduldig abwarten. Als ob das | |
| jemals eine Berliner Tugend gewesen wäre. | |
| 12 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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