# taz.de -- Steuerreform der Großen Koalition: 17 Euro mehr. Im Jahr, natürli… | |
> Der Wegfall der kalten Progression bringt Niedrigverdienern nichts. Doch | |
> für den Staat produziert die Mini-Steuerreform immense Kosten. | |
Bild: Goldmünzen? Eher nicht. Bei der Abschaffung der kalten Progression geht'… | |
BERLIN taz | Die CSU reagierte begeistert auf die Ankündigung des | |
Finanzministers, die kalte Progression abzuschaffen. Dies könne nur der | |
„Anfang eines steuerpolitischen Frühlings sein“, jubelte etwa | |
Generalsekretär Andreas Scheuer. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt | |
assistierte: „Das ist vernünftig und gerecht.“ | |
Ein steuerpolitischer Frühling? Bei so viel Lob lohnt es sich, genauer | |
hinzuschauen, was Schäuble vorhat. Was stimmt ist, dass sich die Koalition | |
bei einem finanzpolitischen Dauerbrenner verständigt hat, der die Parteien | |
seit einer gefühlten Ewigkeit beschäftigt. | |
Die so genannte kalte Progression ist ein kleines Ärgernis. Die Steuersätze | |
werden in Deutschland nicht an die Inflation angepasst. Das wird zum | |
Problem, wenn die Lohnerhöhung eines Angestellten nur die Inflation | |
ausgleicht. Der Angestellte rutscht dann in einen höheren Steuertarif, | |
obwohl er real nicht mehr verdient. | |
CDU, CSU und SPD waren sich seit Langem einig, diesen ungeliebten Effekt | |
abzuschaffen. Nur wie und wann, das war unklar. Ende vergangener Woche ging | |
es dann plötzlich ganz schnell: Als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) | |
das grandiose Ergebnis der Steuerschätzung bekannt gab, erklärte er | |
nebenbei: „Ich schlage vor, dass wir das Problem der kalten Progression | |
jetzt lösen.“ | |
## Kosten: 1,5 Milliarden Euro | |
Beifall aus der Union war ihm gewiss, siehe oben. Auch der Bund der | |
Steuerzahler applaudierte. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, der | |
Aufschwung müsse bei den Arbeitnehmern ankommen. | |
Ab Januar 2016 soll der Steuertarif laut Schäuble angepasst werden, und | |
zwar in Höhe der kumulierten Inflation der Jahre 2014 und 2015 – sie lag | |
bei 1,5 Prozent. Der Bundestag soll dann regelmäßig aufs Neue entscheiden, | |
ob er diese Anspassung fortsetzt. Diese Reform kostet den Staat sehr viel | |
Geld. Ihm entgehen Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro im Jahr. | |
Zum Vergleich: Die Bundesregierung hat im Haushalt 2015 gerade mal 372 | |
Millionen Euro für Klimaschutz eingeplant. Mit der Summe, die die | |
Abschaffung der kalten Progression kostet, ließe sich also das | |
klimaschutzpolitische Engagement Deutschlands vervierfachen. | |
Aber was kommt denn nun beim normalen Arbeitnehmer an? Wärmt die | |
Frühlingssonne der CSU wirklich? Und wenn ja, wen besonders? Der Bund der | |
Steuerzahler hat ausgerechnet, wie sich die milliardenschwere Steuerreform | |
im Portmonee bemerkbar macht. | |
## Gutverdiener profitieren | |
Ein Niedrigverdiener mit einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro brutto spart | |
sage und schreibe 17 Euro. Im Jahr, natürlich. Ein Angestellter mit 40.000 | |
Euro brutto spart 58 Euro. Und Gutverdiener, die 60.000 Euro brutto und | |
mehr haben, sparen jährlich 100 Euro. | |
Festhalten lässt sich also: Die Reform ist sehr teuer für den Staat, ein | |
Prinzip, das grundsätzlich für alle Steuersenkungen gilt. Wenn der Staat | |
Millionen Steuerzahlern jeweils eine kleine Summe erlässt, summiert sich | |
das zu hohen Kosten. | |
Gutverdiener profitieren von Steuersenkungen immer am stärksten, weil sie | |
alle Anpassungen der Tarifkurve mitnehmen. Bei Niedrigverdienern bleibt | |
wenig hängen. Und, nicht zuletzt, der Gewinn für den Einzelnen ist bei | |
dieser Reform minimal. 17 Euro mehr, das spüren selbst Niedrigverdiener | |
nicht. Und freut sich ein gut verdienender Facharzt wirklich über 100 Euro | |
im Jahr? | |
Der Widerspruch zwischen dem überschwänglichen Lob und der Realität ist dem | |
Finanzminister durchaus bewusst. Schließlich liegt die Inflation im Moment | |
so niedrig, dass die kalte Progression kaum ins Gewicht fällt. Aber | |
Schäuble findet, es gehe um das Prinzip. | |
## Eine böse Frage | |
Die Grünen-Steuerexpertin Lisa Paus fragte das Finanzministerium im Februar | |
nach einem wahrscheinlichen Szenario. Wie wirkt sich die kalte Progression | |
2015 und 2016 aus, wenn die Inflation bei einem Prozent liegt und die | |
Regierung den Grundfreibetrag wie geplant anhebt? | |
Antwort: Dann verbleibe in beiden Jahren keine kalte Progression. Kurz | |
gesagt: Finanzminister Schäuble löst ein Problem, das laut | |
Finanzministerium gar nicht existiert. Und die ganze Koalition applaudiert. | |
13 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Wolfgang Schäuble | |
Finanzen | |
Steuerreform | |
Steuerpolitik | |
Kalte Progression | |
Steuern | |
Baden-Württemberg | |
Steuerreform | |
CDU-Parteitag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wissenschaftler zu Steuerschätzung: Deutschland geht es gut | |
Am Mittwoch wird die neue Steuerschätzung bekanntgegeben. Wissenschaftler | |
haben schon einmal gerechnet – und kommen auf ein sattes Plus. | |
Länderfinanzausgleich in Deutschland: Sanfte Landung für den Soli | |
Ministerpräsident Kretschmann will den ewigen Streit mit einem Kompromiss | |
beilegen. Der Vorschlag ist auch eine Attacke auf CSU-Chef Seehofer. | |
Reform der Erbschaftsteuer: Kuriose Allianz für reiche Erben | |
Finanzminister Schäuble will die Erbschaftsteuer verschärfen. Der Grüne | |
Ministerpräsident Kretschmann sperrt sich dagegen. | |
Die Steuern und die CDU: Einkommen steigt, Kaufkraft sinkt | |
Der Parteispitze ist ein ausgeglichener Haushalt wichtiger als Ärger um | |
ungerechte Steuer-Folgen. Worum geht es beim Zoff um die „kalte | |
Progression“? | |
Verteilungsforscher zu Gerechtigkeit: "Steuer auf Yachten und Schmuck" | |
Union und FDP verschärfen die soziale Spaltung, sagen die | |
Verteilungsforscher Joachim Frick und Markus Grabka vom Deutschen Institut | |
für Wirtschaftsforschung. Deshalb fordern sie die Luxussteuer. |