| # taz.de -- Verteilungsforscher zu Gerechtigkeit: "Steuer auf Yachten und Schmu… | |
| > Union und FDP verschärfen die soziale Spaltung, sagen die | |
| > Verteilungsforscher Joachim Frick und Markus Grabka vom Deutschen | |
| > Institut für Wirtschaftsforschung. Deshalb fordern sie die Luxussteuer. | |
| Bild: "Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapitalerträgen sind in den ver… | |
| taz: Viele Bürger halten die Zustände in Deutschland für unsozial. Umfragen | |
| belegen immer wieder ein Gefühl zunehmender Ungerechtigkeit. Die neue | |
| Bundesregierung aus Union und FDP verspricht nun in ihrem Koalitionsvertrag | |
| ausdrücklich mehr "Zusammenhalt". Erfüllen Union und FDP bisher diese | |
| Hoffnung? | |
| Markus Grabka: Nein, die Regierung hält ihr Versprechen nicht ein. Die | |
| beschlossene Steuerreform führt dazu, dass sich die Einkommen der armen und | |
| wohlhabenden Schichten weiter auseinanderentwickeln. | |
| Aber wieso? Höheres Kindergeld und mehr Kinderfreibetrag bedeuten doch, | |
| dass auch Menschen mit geringen Einkommen mehr Geld in der Tasche haben? | |
| Grabka: Nicht unbedingt. Bei Hartz-IV-Empfängern kommt die Erhöhung des | |
| Kindergeldes ja oft gar nicht an, weil es mit dem Arbeitslosengeld II | |
| verrechnet wird. Die Wohlhabenden und Reichen dagegen profitieren eindeutig | |
| vom höheren Freibetrag - und zwar stärker als die Bezieher mittlerer | |
| Einkommen. Die Schere geht klar auseinander. | |
| Sie beschreiben die Extreme bei Arm und Reich. Die Mehrheit, 70 Prozent der | |
| Bevölkerung, lebt aber dazwischen. Dort erreichen Kindergeld und Freibetrag | |
| die von der Regierung beabsichtigte Wirkung. | |
| Joachim Frick: Es ist richtig, dass die Mehrheit der Mitte besser gestellt | |
| wird. Aber trotzdem erhalten Millionärskinder mehr als | |
| Mittelschichtskinder, und wirklich bedürftige Kinder werden kaum erreicht. | |
| Wer den sozialen Zusammenhalt stärken will, darf so etwas nicht tun. | |
| Die Regierung will zusätzliche Krankenkassenbeiträge von den Versicherten | |
| erheben und eine neue private Vorsorge für die Pflege im Alter einführen. | |
| Wie wirkt das im Hinblick auf die Einkommen? | |
| Frick: Auch damit wird die Verteilung ungleicher. Bezieher hoher Einkommen | |
| hätten Vorteile, weil sie jenseits der Beitragsbemessungsgrenze nicht mehr | |
| zusätzlich zahlen. Im Verhältnis zu ihren Einkommen fällt auch die neue | |
| private Vorsorge kaum ins Gewicht. Die kleinen Leute würden demgegenüber | |
| relativ betrachtet einen höheren Anteil ihres Einkommens in die | |
| Sozialversicherung einzahlen. | |
| Von den Initiativen der neuen Regierung einmal abgesehen: Sind die | |
| verbreiteten Klagen über die zunehmende Ungerechtigkeit berechtigt? | |
| Frick: Früher waren die sozialen Verhältnisse in Deutschland ähnlich | |
| ausgeglichen wie etwa in den Niederlanden und Frankreich. Seit 10 bis 15 | |
| Jahren nähern wir uns aber eher dem Zustand von liberalen Wohlfahrtsstaaten | |
| wie Großbritannien. Wohlgemerkt: Das liegt nicht nur an der Politik, | |
| sondern auch an gesellschaftlichen Veränderungen. Beispielsweise leben mehr | |
| Menschen alleine ohne Familie. Werden sie arbeitslos, fängt sie niemand | |
| auf. Auch das verschärft die Spaltung. | |
| Können Sie die größeren Gegensätze mit Zahlen belegen? | |
| Grabka: Unsere Daten zeigen: 2002 besaßen die reichsten zehn Prozent der | |
| Bevölkerung 57 Prozent des gesamten Geld- und Sachvermögens im Lande. 2007 | |
| gehörten ihnen bereits mehr als 60 Prozent. Dabei bauten zudem nur die | |
| reichsten zehn Prozent ihren Anteil aus. Alle anderen Bevölkerungsgruppen | |
| verzeichneten keinen Zugewinn oder verloren sogar Vermögen. | |
| Frick: Außerdem beobachten wir ein stärkeres Verharren in den extremen | |
| Einkommenspositionen: Wer reich ist, bleibt reich, und wer arm ist, bleibt | |
| arm. Die soziale Mobilität nimmt ab. | |
| Das heißt, man hat weniger Chancen als etwa in den 1980er-Jahren, seine | |
| Lebenslage aus eigener Kraft zu verbessern? | |
| Grabka: Ja, besonders wenn man arm ist. Das ist eine entscheidende | |
| Gerechtigkeitsfrage. Die Chancengleichheit lässt nach, die Möglichkeit des | |
| sozialen Aufstiegs schwindet. | |
| Und woran liegt das? | |
| Grabka: Unter anderem an der Entwicklung der Löhne. Die untersten zehn | |
| Prozent, also die Menschen mit den niedrigsten Verdiensten, haben zwischen | |
| 2000 und 2007 10 Prozent ihres Realeinkommens verloren. Hier bildet sich | |
| ab, dass der Niedriglohnsektor gewachsen ist. Die Einkommen der | |
| Mittelschicht stagnierten. Die obersten zehn Prozent dagegen legten um 15 | |
| Prozent zu. | |
| Durch die Finanzkrise haben Millionäre und Milliardäre teilweise massive | |
| Verluste eingefahren. Quelle-Erbin Marlene Schickedanz oder die Familie | |
| Schaeffler sind keine Ausnahmen. Trägt die Krise dazu bei, die Ungleichheit | |
| zu verringern? | |
| Grabka: Nein, diesen Eindruck teilen wir nicht. Zwischen Ende 2007 und Ende | |
| 2008 sind die Geldvermögen in Deutschland nach Aussagen der Bundesbank nur | |
| um 2,4 Prozent gesunken. Im Vergleich zur gesamten Summe der | |
| Brutto-Geldvermögen von 4,4 Billionen Euro ist das vernachlässigbar. | |
| Außerdem muss man wissen, dass die Vermögen zwischen 2002 und 2007 | |
| besonders stark gestiegen sind. Wir erleben jetzt ein leichtes Abbröckeln | |
| auf sehr hohem Niveau. | |
| Frick: Anders bei der Mittelschicht. Wenn wegen der Wirtschaftskrise | |
| demnächst mehr Beschäftigte arbeitslos werden, sind diese gezwungen, zur | |
| Sicherung des Lebensstandards ihre Vermögen aufzuzehren. Nicht die Reichen, | |
| die auf die Erholung der Aktienkurse warten können, sondern die | |
| Normalbürger werden im Falle von Arbeitslosigkeit die eigentlichen | |
| Verlierer der Krise. | |
| Ihrer Analyse zufolge steht nicht zuletzt die Mittelschicht unter Druck. | |
| Darauf reagieren Union und FDP, indem sie den sogenannten | |
| Mittelstandsbauch, die hohe Steuerprogression bei mittleren Einkommen, | |
| abflachen wollen. Findet das Ihren Beifall? | |
| Frick: Es ist grundsätzlich richtig, die Mittelschicht zu entlasten. Aber | |
| man sollte nicht zu sehr auf die direkten Steuern schauen. Viel wichtiger | |
| wäre es, die Sozialabgaben zu senken, die die Arbeitskosten um 40 Prozent | |
| verteuern. Das wäre auch eine Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit. | |
| Es kann für den Staat teuer werden, mehr sozialen Zusammenhalt zu stiften. | |
| Wenn man eine Gruppe entlasten will, muss man eine andere belasten. Woher | |
| soll das Geld kommen? | |
| Frick: Wenn ich mir die Löcher in den öffentlichen Haushalten anschaue, so | |
| ist es unumgehbar, neben den Ausgaben auch die Möglichkeit von | |
| Steuererhöhungen zu prüfen, inklusive der Mehrwertsteuer. | |
| Klaus Zimmermann, der Präsident des Deutschen Instituts für | |
| Wirtschaftsforschung, hält eine Mehrwertsteuer-Belastung mit 25 Prozent für | |
| erträglich, obwohl gerade die Bezieher niedriger Einkommen, die sämtliches | |
| verfügbare Geld sofort ausgeben, besonders davon betroffen wären. | |
| Frick: Diese Forderung hat sicherlich geholfen, die notwendige Diskussion | |
| anzuregen. Wichtig ist aber auch ein zweiter Punkt: Es wäre redlich und | |
| nachvollziehbar, diejenigen jetzt zusätzlich zu belasten, die vor der | |
| Finanzkrise jahrelang von steigenden Einkommen und Vermögen profitierten. | |
| Grabka: Damit sind wir bei den Steuern auf Vermögen und Gewinne. Die | |
| Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapitalerträgen sind in den | |
| vergangenen Jahren überproportional gestiegen. Deshalb ist es für mich | |
| schwer nachvollziehbar, warum Kapitalgewinne gegenwärtig niedriger | |
| besteuert werden als Arbeitseinkommen. | |
| Der Grund liegt in der Steuerflucht. | |
| Frick: Nein, hier haben wir es schlicht mit erfolgreicher Lobbyarbeit und | |
| Klientelpolitik zu tun. Es ist absurd zu sagen: Wir haben Angst, dass das | |
| Kapital auswandert, deswegen besteuern wir es so gering. Andererseits | |
| brummen wir denen höhere Steuern auf, die nicht wegziehen können. Das ist | |
| kein sozialpolitisch tragfähiger Ansatz. | |
| Grabka: Die Erbschaftsteuer liegt in Deutschland im internationalen | |
| Vergleich sehr niedrig. Ähnlich sieht es bei der Grundsteuer auf Immobilien | |
| aus. Problemlos könnte man auch eine Luxussteuer auf teure Häuser, Autos, | |
| Yachten, Antiquitäten und Schmuck erheben. | |
| Die Erträge aus solchen Nischensteuern dürften sich in Grenzen halten. | |
| Reicht das, um die soziale Spaltung zu verringern? | |
| Grabka: Das würde ich nicht unterschätzen. Ein Stück Umverteilung ist | |
| notwendig. Es geht nicht darum, das Leistungsprinzip auszuhebeln. Aber | |
| Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen und die Abwesenheit von Vermögen | |
| können dazu führen, dass die Betroffenen über Generationen nicht aus der | |
| Armut herauskommen. Wir fordern ja nicht Umverteilung um ihrer selbst | |
| willen: Der Staat muss aber mehr Geld einsetzen, um soziale Mobilität, | |
| Chancengleichheit und Bildung zu fördern. | |
| Frick: Ein dauerhaftes Abkoppeln der unteren Einkommensschichten kommt die | |
| Gesellschaft letztlich noch teurer zu stehen. Ein Schritt zu besserer | |
| Chancengerechtigkeit könnte sein, die geplante Erhöhung des Kindergeldes in | |
| Höhe von 20 Euro in echte Bildungsinvestitionen umzuleiten, zum Beispiel in | |
| den Ausbau der Ganztagsbetreuung oder in ein anständiges Mittagessen in der | |
| Schule für alle Kinder. | |
| 1 Jan 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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