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# taz.de -- Journalist über Ultras im Nahen Osten: „Durch Straßenkämpfe ge…
> Fußball ist eine Arena, in der um politische Kontrolle gekämpft wird,
> sagt James M. Dorsey. Dort werden gesellschaftliche Tabus zuerst
> gebrochen.
Bild: Ob Straße oder Stadion – die Ultras des ägyptischen Clubs al-Ahly wis…
taz: Herr Dorsey, eigentlich mögen Sie Fußball gar nicht besonders. Warum
beschäftigen Sie sich so intensiv mit dem Sport?
James M. Dorsey: Vor fast 30 Jahren musste ich als Korrespondent die
mexikanische Fußball-Nationalmannschaft auf ihrer ersten Reise in den Nahen
Osten begleiten. Ich habe mich damals dagegen gesträubt, ich war kein
Fußballfan und bin auch heute keiner. Rückblickend aber war alles, was
heute in der Region passiert, in dieser Reise schon enthalten. Das habe ich
erst später realisiert.
Wie meinen Sie das?
Nirgendwo auf der Welt hat Fußball eine so große Rolle gespielt wie in
Nordafrika und dem Nahen Osten. Fußball war hier immer ein entscheidender
Faktor, für den Aufbau von Nationen und Regimes und für ihr Überleben. Aber
eben auch als eine Arena, in der um persönliche Rechte und politische
Kontrolle gekämpft wurde. Gesellschaftliche Tabus, wie die Kritik an der
Regierung, werden zuerst hier gebrochen. Es gibt zwei Orte, die die
Regierung nicht vollständig kontrollieren kann: die Moschee und das
Stadion. In der Moschee können die Herrscher immerhin bestimmen, wer auf
die Kanzel steigt und predigt. In den Stadien ist das nicht so einfach.
Hat der Fußball auch während der arabischen Aufstände, die Anfang 2011
losgingen, eine Rolle gespielt?
Ohne die Ultras, die organisierten, hochpolitischen Fußballfans, wären die
Aufstände anders verlaufen. In Ägypten zum Beispiel sind die Fans nach der
religiösen Muslimbruderschaft eine der größten sozialen Bewegungen. Die
Ultras hatten sich schon in den Jahren vor der Revolution
Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Als 2011 die Revolte
ausbrach, waren sie die Einzigen, die wussten, wie man den Widerstand gegen
die Staatsgewalt organisiert. Sie hatten Erfahrung im Umgang mit Tränengas,
waren durch die Straßenkämpfe gestählt und diszipliniert. Mindestens
genauso wichtig wie ihr Auftreten als militante Truppe war aber, dass sie
die Mauer der Angst vor dem Sicherheitsapparat gebrochen haben.
Monate später, im Februar 2012, starben 74 Fans des Kairoer Clubs al-Ahly
in einem Stadion in Port Said. Polizei und Sicherheitskräfte schauten
damals nur zu.
Die Attacke auf die Ahly-Fans ging von [1][Unterstützern des Al-Masry-Clubs
aus], der in Port Said spielt. Es waren aber auch angeblich unbekannte
Bewaffnete dabei. Die meisten Beobachter sehen den Vorfall als eine Art
entgleisten Racheakt seitens des Militärs und des Sicherheitsapparats. Den
Ultras sollte eine Lektion erteilt werden, sie sollten ihre heftige Kritik
an der Regierung zurückfahren. Seit Port Said sind außer zu internationalen
Spielen keine Zuschauer in den Stadien zugelassen.
Wie geht der jetzige Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit den Fußballfans um?
Im Februar sind 22 Mitglieder der Ultras White Knights, der Fans des
größten Ahly-Rivalen Zamalek SC, während einer [2][Massenpanik vor einem
Kairoer Stadion gestorben]. Der Profifußball in Ägypten wurde daraufhin zum
wiederholten Maße ausgesetzt. Gerade wird zwar über eine Wiederaufnahme
diskutiert, aber die Fans sollen weiterhin außen vor bleiben.
Häufig nutzen autoritäre Machthaber sportliche Großereignisse als Ventil,
mit dem man kurzzeitig Druck aus dem Kessel nehmen kann. Warum tut Ägyptens
Präsident al-Sisi das Gegenteil?
Darauf habe ich wirklich keine Antwort. Vielleicht ist die Regierung
einfach nicht so clever. Die aktuelle Strategie ist ja, alles und jeden zu
unterdrücken. Und wenn das dein genereller Ansatz ist, bleibt wohl kein
Raum für eine intelligentere Politik.
Wo stehen Clubs und Fans politisch?
Die meisten Clubs in der Region fühlten sich bestimmten politischen
Richtungen zugehörig. Al-Ahly stand seit der Gründung im Jahr 1907 gegen
die Kolonisierung Ägyptens. Zamalek hingegen wurde von einem Belgier
gegründet. Die Nähe zu politischen Haltungen setzte sich bis in die
Gegenwart fort und übertrug sich auch auf die Spieler. Ibrahim Hassan zum
Beispiel, ein in Ägypten sehr bekannter Fußballer, hatte bis in die Tage
der Revolution hinein das Mubarak-Regime unterstützt. Anders die
Ultra-Gruppierungen. Die entstanden etwa ab 2007 aus der Opposition gegen
das Regime und setzen sich aus allen möglichen Schichten zusammen. Ein
politisches Programm haben sie aber nicht. Eine Ausnahme sind die Ultras
Nahdawy. Das sind Fans aus beiden Lagern, die eint, dass sie auf Seiten der
Muslimbruderschaft und des abgesetzten Präsidenten Mursi stehen.
Gibt es auch Frauen unter den Ultras?
Es gibt natürlich weibliche Fußballfans. In der ganzen Region gibt es nur
zwei Länder, in denen Frauen nicht in die Stadien gelassen werden,
Saudi-Arabien und Iran. Trotzdem ist Fußball dort im Großen und Ganzen ein
männlicher Sport. Auch die Ultra-Bewegung ist ein Männerding, was
letztendlich nur die Gesellschaft reflektiert. Größere rein weibliche oder
gemischte Gruppen sieht man in arabischen Ländern äußerst selten.
Angeblich schaut sich auch der US-Auslandsgeheimdienst CIA Fußballspiele
an, um zu erfahren, wie die Gesellschaften im Nahen Osten ticken.
Dafür gibt es jedenfalls eine Menge an Hinweisen. Bei Wikileaks etwa finden
sich viele Geheimdokumente dazu. Fußball wurde in Depeschen mindestens zu
Algerien, Iran und Jordanien regelmäßig erwähnt.
Wenn Fußball der Gradmesser wäre: In welchem Land brodelt es gerade am
meisten?
In jedem Falle Ägypten, aber ich würde auch nach Jordanien und Algerien
schauen. In Algerien gibt es eine stille Übereinkunft zwischen Fans und
Sicherheitskräften: Im Stadion könnt ihr machen, was ihr wollt – nur nicht
draußen. Die Gewalt in den Stadien steigt allerdings mehr und mehr an.
Auch in Deutschland gibt es politisierte, gewaltbereite Fußballfans, wie
zum Beispiel die Hooligans gegen Salafisten. Wie ordnen Sie das ein?
Es gibt ja Menschen, die behaupten, dass Fußball die Leute vereinigen und
Liebe und Frieden schaffen könnte. Aber so funktioniert es nicht. Fußball
ist ein Spiegel der Gesellschaft. Dinge, die im Fußball passieren,
geschehen nicht isoliert. In Europa kann man derzeit beobachten, wie in
Zeiten gesellschaftlicher Dynamik die politische Rechte stärker wird. Das
spiegelt sich im Fußball. Diese Bewegungen richten sich aber nicht
ausschließlich gegen Muslime, sondern gegen das, was sie als anders
wahrnehmen. Es kam ja auch zu antisemitischen Vorfällen. Zum Glück gibt es
Gegenbeispiele wie die Fans von [3][Newcastle United, die sich explizit
gegen den britischen Pegida-Ableger] stellen.
14 May 2015
## LINKS
[1] /!86942/
[2] /!154344/
[3] http://www.zeit.de/sport/2015-02/pegida-england-fussball-fans
## AUTOREN
Christopher Resch
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