# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Brot und Spiele oder Protest? | |
> Ägyptens Präsident al-Sisi instrumentalisiert den Fußball politisch und | |
> geriert sich als Fan. Doch der Aufstieg des Sports bietet auch eine | |
> Chance. | |
Bild: Im Februar 2012 kommt es in Port Said zu einem Massaker: mindestens 72 Me… | |
Das kann man auch zynisch verstehen. „Halten Sie Ihre Köpfe stets oben“, | |
sagte Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi zu den ägyptischen | |
Nationalspielern, als er sie am Flughafen begrüßte. Kurze Zeit später | |
bestätigte das höchste ägyptische Gericht das Todesurteil gegen elf | |
Fußballfans wegen des Stadionmassakers von Port Said im Jahr 2012. | |
Aber al-Sisi sprach ja nicht zu den elf Todeskandidaten, sondern zur Elf. | |
Das Nationalteam hatte nämlich beim Afrika-Cup in Gabun überraschend den | |
zweiten Platz hinter Kamerun erreicht. Überraschend, weil gerade nach dem | |
Port-Said-Massaker, als bei einem Ligaspiel zwischen dem Verein al-Masry | |
und dem Kairoer Klub al-Ahly mindestens 72 Menschen getötet wurden, der | |
Fußball in Ägypten jahrelang stillstand. Die Toten waren allesamt | |
Kairo-Fans, die im Stadion angegriffen wurden – unter den wohlwollenden | |
Blicken von Polizei und Security. Auch ein Al-Masry-Funktionär und zwei | |
hohe Polizeioffiziere wurden zu Freiheitsstrafen von je fünf Jahren | |
verurteilt. | |
Al-Sisi hofft nun, dass der Fußball ihm politisch hilft. Für die | |
vorhergegangenen drei Afrika-Cups (2012, 2013 und 2015) hatte sich Ägypten | |
nicht qualifizieren können. Bei den drei zuvor ausgetragenen Turnieren | |
jedoch (2006, 2008 und 2010) hatte das Land drei Mal hintereinander | |
gewonnen. Der erste Sieg – im gleichen Jahr wie das deutsche | |
„Sommermärchen“ – gilt als gesellschaftlicher Durchbruch des Fußballs. … | |
Erfolge des Nationalteams und die Popularisierung des Sports, sagt der | |
ägyptische Soziologe Ziad Akel, „haben den Massen den Weg geöffnet, den | |
öffentlichen Raum zu nutzen“. | |
Hinzu kam, dass auch Gruppen, die dem Fußball fernstanden, plötzlich ins | |
Stadion gingen: weibliche Fans, Männer aus der Mittelschicht. Und viele | |
Ultragruppen entstanden neu. Bei den Kämpfen des Arabischen Frühlings | |
waren, gerade auf dem Tahrirplatz in Kairo, Ultras in vorderster Front. So | |
war das Massaker von Port Said auch fußballerischer Ausdruck des Scheiterns | |
der Demokratiebewegung. | |
Nun also gibt es eine erfolgreiche Nationalelf, einen grinsenden | |
Staatspräsidenten und elf zum Tode verurteilte Fans, die (vermutlich | |
tatsächlich) Schuld am Tod von über 70 anderen Fans tragen. Ziad Akel sagt, | |
dass der Erfolg beim Afrika-Cup für Ägypten Ähnliches bewirken kann wie der | |
Turniersieg 2006. | |
## Ägyptischer Nationalismus | |
Zum Ersten weil wieder so etwas wie ein ägyptischer Nationalismus entsteht, | |
die Staatsflagge ist allgegenwärtig; zum Zweiten weil die Fans zum Feiern | |
der Nationalelf-Erfolge die öffentlichen Räume wiedererobert haben, auch | |
den Tahrirplatz; und zum Dritten notiert er, dass die Nationalelf als | |
quasistaatliches Symbol für ein neues Verhältnis von Staat und | |
Gesellschaft sorgt. Der Staat unterstützte das bewusst, indem er | |
Großleinwände aufstellte. | |
Al-Sisi ist nicht der erste ägyptische Präsident, der sich publikumswirksam | |
für den Fußball begeistert, wie der Onlinedienst al-Monitor hervorhebt: | |
„Der ehemalige Präsident Hosni Mubarak war auch ein treuer Fan des Fußballs | |
und der Spieler.“ Dieser Mubarak, 2012 wegen der Verantwortung für den Tod | |
Hunderter Demonstranten während des Arabischen Frühlings zu lebenslanger | |
Haft verurteilt, wurde übrigens dieser Tage freigesprochen. | |
Wer will, kann al-Sisis Unterstützung des – plötzlich sogar erfolgreichen �… | |
ägyptischen Fußballs unter dem Label „Brot und Spiele“ interpretieren: | |
Verdummung und Befriedung des Volkes zum Zwecke der Restaurierung der alten | |
Verhältnisse. Doch auch eine andere Interpretation ist möglich: dass | |
nämlich der erneute Aufstieg dieses Volkssports auch eine Chance bedeutet. | |
Guter Fußball kann nämlich nicht ohne eroberte öffentliche Plätze | |
funktionieren, ohne gesellschaftliche Freiräume, ohne Demokratie. Und darum | |
wird wieder gekämpft. | |
8 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
Fußball | |
Ägypten | |
Abdel Fattah al-Sisi | |
Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
Ägypten | |
Kamerun | |
Ägypten | |
Zehn Jahre Arabischer Frühling | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fußball, Propaganda und Revolution: Pässe in die Tiefe der Weltpolitik | |
Mit „Machtspieler“ ist Ronny Blaschke ein großer Wurf gelungen. Sein Buch | |
zeigt, wie wichtig Fußball ist – in jeder politischen Konstellation. | |
Ägyptens Präsident in Washington: Zwei Pharaonen im Weißen Haus | |
Donald Trump hat aus seiner Bewunderung für autoritäre Herrscher nie einen | |
Hehl gemacht. Am Montag traf er Abdel Fattah al-Sisi. | |
Kamerun ist Afrika-Meister: Die Löwen sind unbezähmbar | |
Die großen Favoriten sind ausgeschieden. Und im Finale des Afrika-Cups | |
schlägt Kamerun mit einer Mannschaft von Nobodys Rekordmeister Ägypten. | |
Ägyptische Justiz: Todesstrafe gegen Fußballfans bleibt | |
Ein Gericht in Kairo verurteilt elf Fußball-Fans abermals zum Tode. Sie | |
waren 2012 an den blutigen Krawallen in Port Said beteiligt. | |
Journalist über Ultras im Nahen Osten: „Durch Straßenkämpfe gestählt“ | |
Fußball ist eine Arena, in der um politische Kontrolle gekämpft wird, sagt | |
James M. Dorsey. Dort werden gesellschaftliche Tabus zuerst gebrochen. |