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# taz.de -- Fußball, Propaganda und Revolution: Pässe in die Tiefe der Weltpo…
> Mit „Machtspieler“ ist Ronny Blaschke ein großer Wurf gelungen. Sein Buch
> zeigt, wie wichtig Fußball ist – in jeder politischen Konstellation.
Bild: Macht der Straße, Macht der Tribüne: Fans in Kairo, Februar 2020
Um zu würdigen, welche große und wertvolle Arbeit sich der Sportjournalist
Ronny Blaschke mit seinem neuen Buch über „Fußball in Propaganda, Krieg und
Revolution“, so der Untertitel von „Machtspieler“, gemacht hat, darf man
vielleicht etwas leicht Leseunfreundliches machen, nämlich auflisten,
welche Länder und Regionen Blaschke bereist, betrachtet, analysiert hat:
Serbien und Kroatien, Russland, die Ukraine, Spanien, die Türkei, Israel
und die palästinensischen Gebiete, Ägypten, Syrien, Iran, Katar, Vereinigte
Arabische Emirate und Saudi-Arabien, die Volksrepublik China, Ruanda und
Argentinien.
Das wirkt nicht nur so, das ist ein riesiges Bearbeitungsfeld. Fast so groß
wie die Teilnehmerliste an einer der jüngeren Fußball-WMs. Blaschke zeigt
auf, wie und wo und durch wen der Fußball in diesen Ländern hochpolitisiert
ist. Er hat mit Ultras gesprochen, mit Sportlern und Ex-Sportlern, mit
Funktionären und verantwortlichen Politikern, mit Wissenschaftlern und
Journalisten (Disclaimer: auch mit mir).
Wer die gründlich recherchierten Berichte, die sich, so der von Blaschke
eingehaltene Anspruch, jedem Anflug von anekdotenreicher Reisereportage
entziehen, gründlich liest, lernt, dass der Fußball entgegen seiner
medialen Präsentation immer ein historisch entstandenes gesellschaftliches
und politisches Phänomen ist. Immer und überall.
## Ultras im arabischen Frühling
Die Rolle [1][ägyptischer Fußballfans] beim arabischen Frühling und Sturz
des Mubarak-Regimes schildert er kenntnisreich. Auf dem Tahrirplatz in
Kairo, dem Zentrum der Revolte, waren Ultras verfeindeter Vereine
unterwegs.
Bei seiner Ukraine-Recherche zeichnet Blaschke nach, wie Ultras von Dynamo
Kiew sich 2014 den Maidan-Protesten anschlossen. Teils warfen sie
Molotowcocktails oder Pflastersteine, teils beschützten oder versorgten sie
Verletzte. Man erfährt, dass es von etwa 10.000 Dynamo-Ultras nur 1.000
waren, die sich auf dem Maidan einmischten. Mal gelten sie als
proeuropäisch, mal als rechtsextrem, mal als patriotisch.
Kenntnisreich referiert Blaschke die vielfältigen antisemitisch motivierten
Attacken gegen israelische Sportler – sie reichen von
[2][Ausschlussforderungen] bis hin zum Mord, wie in München 1972. Zugleich
schildert er die Probleme, die palästinensische Fußballer haben, wenn sie
ihren Spielbetrieb aufrechterhalten wollen.
Auch seine anderen Länderstudien sind material- und lehrreich. Ein roter
Faden, um eine leicht kritische Bemerkung anzudeuten, ist jedoch oft nicht
zu erkennen. Man könnte auch ein Sprichwort variieren, dass nach Beschauen
der vielen Bäume letztlich nur die Erkenntnis eines heterogenen Mischwaldes
bleibt.
Der Fußball als politisches und gesellschaftliches Phänomen bleibt
eigentümlich neutral: Mal gilt er Blaschke als „Vergrößerungsglas“, mal …
„Spiegelbild“, und fast immer erscheint er ihm als Medium, dem sich mal
diese und mal jene Gruppe instrumentalisierend nähert. Dass das
gesellschaftliche System Fußball selbst ein politischer Faktor sein könnte,
dieser Spur wird selten nachgegangen. Eine tiefere analytische Einbettung
wäre – gerade zur Einordnung des sensationellen empirischen Materials –
hilfreich gewesen.
Aber „Machtspieler“ ist immer noch ein großer, nein, ein sehr großer Wurf.
Weitere Arbeiten zum politischen Gehalt des Fußballs sollten sich auf Ronny
Blaschkes „Machtspieler“ stützen.
5 Apr 2020
## LINKS
[1] /Ausschreitungen-in-aegyptischem-Stadion/!5101593
[2] /Kolumne-Ueber-Ball-und-die-Welt/!5408583
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Ägypten
Kroatien
Fußball
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WM-Qualifikation
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