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# taz.de -- Austauschschüler in den USA getötet: Vier Schüsse ohne Vorwarnung
> Ein Hausbesitzer hat in Montana einen Austauschschüler aus Deutschland
> erschossen. Die Behörden ermitteln wegen vorsätzlicher Tötung.
Bild: Die Waffenlobby setzte die Castle-Doktrin in Montana durch.
MISSOULA taz | Gerade war Missoula noch die Stadt, in der man seine Haustür
nicht abschließen musste. Gewaltverbrechen waren so selten wie in Bullerbü.
Seit drei Tagen scheint es nun aber, als lauere hinter jedem Garagentor der
Tod.
Die tödlichen Schüsse eines Hausbesitzers auf einen Austauschschüler aus
Hamburg haben das Selbstverständnis der auf Offenheit bedachten Bevölkerung
in dem Uni-Städtchen in den Rocky Mountains erschüttert. „Das war ganz
sicher nicht die Norm, das war ein schrecklicher Unfall“, sagt Jay Bostrom,
der Spanischlehrer und Fussballtrainer des 17-jährigen Diren D.
Das Prinzip der bewaffneten Vorwärtsverteidigung passt zum Klischee des
Wilden Westens. Es ist jedoch, wie der Fall Trayvon Martin in Florida
zeigte, keineswegs auf ihn beschränkt. Mehr als die Hälfte der
US-Bundesstaaten haben Paragrafen, die den Selbstschutzbegriff weit
auslegen. Gewaltanwendung wird so legitimiert.
In Montana wurden die Bürger bis 2009 dazu angehalten, bei Einbrüchen erst
einmal um Hilfe zu schreien, das Weite zu suchen oder die Polizei rufen.
Doch dann setzte die Waffenlobby eine Gesetzesänderung durch, laut der
Eigentümer nun einen Eindringling gleich totschießen dürfen, sofern sie
„vernünftigerweise“ annehmen können, dass der ihnen an den Kragen will.
## Staatsanwälte gewinnen gern
Die Neufassung der Castle-Doktrin („mein Haus ist meine Burg“) wurde gegen
den erklärten Willen der Staatsanwaltschaften des Bundesstaates
durchgesetzt. Denn die Ankläger müssen nun in jedem Einzelfall nachweisen,
dass ein Schütze, der auf Selbstverteidigung plädiert, keinen plausiblen
Grund hatte, sich bedroht zu fühlen. Staatsanwälte gewinnen gern, weshalb
sie häufig in Castle-Fällen auf die Anklageerhebung verzichten – wie 2012,
als ein Garagenbesitzer in Kalispell, nördlich von Missoula, den Ehemann
seiner mutmaßlichen Geliebten erschoss.
Bei den Ermittlungen zum Tod des Hamburgers Diren D. meinen die
Staatsanwälte aber bessere Karten in der Hand zu haben. Denn die Schüsse
auf den 17-Jährigen hatten eine Vorgeschichte, die an der
Selbstverteidigungsthese zweifeln lässt.
Markus K. ist Feuerwehrmann im staatlichen Forstdienst und damit in Montana
erst einmal ein Held. Laut seinem Anwalt hatten er und seine
Lebensgefährtin innerhalb der vergangenen drei Wochen zweimal Einbrecher im
Haus. Daraufhin hätten sie Bewegungsmelder installiert und ein Babyfon zum
Überwachungsgerät umfunktioniert.
Janelle P. präparierte eine Handtasche und legte sie in die Garage. Das Tor
ließ sie offen. Das Paar setzte sich vor den Fernseher. Der Köder war
bereit. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft hatte Markus K. bereits
Mitte vergangener Woche bei einem Friseurbesuch erklärt, er liege seit
Tagen mit der Flinte auf der Lauer, um eins der „verfickten Kids“ zu
erwischen.
## Mental auf Rache eingestellt
Es sei dem 29-Jährigen nicht darum gegangen, seine Familie oder sein
Eigentum zu schützen, sagte der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Andrew
Paul. „Mental war er auf Rache eingestellt.“ Als der Alarm anschlug, macht
Janelle P. mit ihrem Smartphone ein paar Screenshots von dem Menschenwesen,
das in ihrer Garage herumtapste.
Markus K. nahm sein Gewehr und feuerte, offenbar ohne Vorwarnung, vier
Schüsse in die dunkle Garage ab. Einer traf Diren D. tödlich am Kopf. Warum
der Junge in die Garage ging, war am Montag noch Gegenstand von
Ermittlungen. Die Polizei vernahm einen Freund, der mutmaßlich in der Nacht
zum Sonntag mit ihm unterwegs war. „Laut seinem Freund war er auf der Suche
nach etwas zu trinken“, sagte Paul. „Und dann sah er die offene Garage, und
seine Gastfamilie hatte immer Gatorade in der Garage.“
Als Janelle P. versuchte, dem tödlich getroffenen Jungen erste Hilfe zu
leisten, erkannte sie ihn nach Angaben des Verteidigers nicht. Dabei wohnte
Diren D. bei einer Gastfamilie im selben Viertel – einer Neubausiedlung mit
großzügigen Grundstücken, gepflegten Holzhäusern und geräumigen Garagen. Am
Ende der Straße beginnen die Berge.
Ziemlich das Gegenteil von St. Pauli, wo Diren herkam. Die Big Sky High
School ist die Schule für Jugendliche aus dem Umland von Missoula. Sie ist
auf Landwirtschaft, Sport und kreatives Schreiben spezialisiert. Diren war
beliebt, hartnäckig auf dem Fußballfeld, und erzählte häufig von der
Türkei. „Er war kein typischer Austauschschüler“, sagt Bostrom, sein
Mentor. „Aber er war einer der interessantesten, einnehmendsten jungen
Austauschschüler, die ich je unterrichtet habe.“
Wann immer Missoula ein Unglück ereilt, spielt sich die öffentliche Debatte
in den elektronischen Kommentarspalten des [1][Missoulian] und des
Lokalfernsehens ab. Am ersten Tag dominierten dort rabiate Stimmen, die den
Schützen beglückwünschten. Am Montag hörte sich das schon anders an. Viele
Leserbriefschreiber leisteten Abbitte, nach dem Motto, wir sind nicht alle
so! Eine Abgeordnete, die Missoula im Landesparlament vertritt, brachte
einen Gesetzesentwurf zur Rücknahme der Castle-Doktrin ein.
Bostrum rang damit, den nun verbliebenen zwei Austauschschülern (eine
Berlinerin, ein Ecuadorianer) die Waffenkultur der USA zu erklären, oder
die Castle-Doktrin. Man dürfe sich nicht abschrecken lassen von einer
extremen Minderheit, sagt der Lehrer, der als progressiv bekannt ist. „Ich
fände es furchtbar, wenn wir unsere Welt schrumpfen ließen und aufhörten,
außerordentliche Leben zu führen und aus unseren Türen zu treten, nur weil
Tragödien wie diese möglich sind.“
29 Apr 2014
## LINKS
[1] http://missoulian.com/news/local/student-shot-in-grant-creek-garage-remembe…
## AUTOREN
Henriette Löwisch
## TAGS
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USA
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