# taz.de -- Nach Protesten in der Türkei: Jetzt kommen die Durchsuchungen | |
> Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat 90 Mitglieder der Sozialistischen | |
> Partei der Unterdrückten festnehmen lassen. Innenminister Güler spricht | |
> von „Terroristen“. | |
Bild: Polizisten bewachen den Gezi-Park in Istanbul | |
ISTANBUL afp/dpa | Nach der gewaltsamen Auflösung der regierungskritischen | |
Proteste in Istanbul ist die türkische Polizei am Dienstag gegen | |
Linksextreme vorgegangen. Etwa 90 Mitglieder der an den Protesten | |
beteiligten Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) seien in ihren | |
Wohnungen festgenommen worden, teilte die Istanbuler Staatsanwaltschaft | |
mit. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, es sei eine | |
„Verschwörung“ gegen seine Regierung vereitelt worden. | |
Neben der ESP, die bei den wochenlangen Protesten gegen die | |
islamisch-konservative Regierung Erdogans aktiv war, wurden laut Berichten | |
der Fernsehsender NTV und CNN-Türk auch die Büros der Zeitung Atilim und | |
der Nachrichtenagentur Etkin durchsucht. Beide stehen der Partei nahe. Laut | |
NTV gab es auch in der Hauptstadt Ankara 30 Festnahmen, im nordwestlichen | |
Eskisehir seien 13 Menschen festgenommen worden. Einsätze gab es demnach in | |
18 weiteren Provinzen. | |
Innenminister Muammer Güler sprach von 62 Festnahmen in Istanbul und 23 in | |
Ankara. Demnach richtete sich der „seit einem Jahr vorbereitete“ Einsatz | |
gegen die „terroristische Organisation“ Marxistisch-Lenistische | |
Kommunistische Partei, die an den Protesten im Gezi-Park beteiligt war. Die | |
Polizei hatte am Samstag unter massivem Gewalteinsatz den seit Wochen von | |
Demonstranten besetzten [1][Istanbuler Park geräumt]. Angesichts | |
anhaltender Proteste drohte Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc am Montag | |
mit dem [2][Einsatz des Militärs]. | |
Erdogan sprach am Dienstag von einer „Verschwörung“ gegen seine Regierung. | |
„Das Volk hat diese Verschwörung vereitelt, indem es sich zu | |
hunderttausenden versammelt hat“, sagte Erdogan vor den Abgeordneten seiner | |
Regierungspartei AKP. Die Kundgebungen seiner Anhänger am Wochenende habe | |
das „wahre Gesicht“ der Türkei gezeigt und nicht die Demonstrationen, die | |
von „Verrätern und ihren Komplizen im Ausland“ organisiert worden seien. | |
Erdogan verteidigte auch die Polizei, die den „Demokratie-Test“ bestanden | |
habe. | |
## Kritik von allen Seiten | |
Die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte eine Aussetzung der | |
EU-Beitrittsverhandlungen. Ihr Vorsitzender Kenan Kolat sagte im | |
Deutschlandfunk, solange die Regierung sich nicht mit den Protesten | |
auseinandersetze „und diese Form der Gewalt weiterführt“, sollte die EU | |
„abwarten mit der Eröffnung von weiteren Kapiteln“. Es sei „wichtig, dass | |
die Regierung hier noch mal ein Zeichen bekommt“. Die Türkei führt seit | |
Oktober 2005 Beitrittsgespräche, doch kommen die Verhandlungen kaum voran. | |
Die Linke unterstützte Kolats Forderung. „Angesichts der brutalen Gewalt | |
und der massiven Drohungen des AKP-Regimes, jetzt sogar die Armee gegen die | |
Demonstrierenden einzusetzen, ist es dringend geboten, ein Stopp-Zeichen zu | |
setzen“, sagte die außenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Sevim | |
Dagdelen. Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs sagte dagegen der Rheinischen | |
Zeitung, die Beitrittsoption sei eine wichtige Möglichkeit, Druck auf die | |
Türkei auszuüben. | |
Der türkischstämmige Reiseunternehmer Vural Öger warf Erdogan | |
Realitätsverlust vor. „Erdogan befindet sich in einer Art Machteuphorie“, | |
sagte Öger der Hamburger Morgenpost. Er sei in den letzten zwei Jahren | |
immer autoritärer geworden und verstehe nicht, was die jungen Leute bewege. | |
Es gehe längst nicht mehr um den Gezi-Park, sondern „gegen seinen | |
autoritären und paternalistischen Führungsstil“. Erdogan sei dabei, mit | |
Europa zu brechen, womit er auch den wirtschaftlichen Erfolg des Landes | |
aufs Spiel setze, warnte Öger. | |
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat erneut das gewaltsame | |
Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten kritisiert. | |
Demonstrationen seien ein Zeichen der Reife von Zivilgesellschaften, sagte | |
er am Dienstag beim „Global Media Forum“ der Deutschen Welle in Bonn. Wenn | |
die Zivilgesellschaft Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit für sich in | |
Anspruch nehme, sollte sich jeder Demokrat darüber freuen und sich nicht | |
davor fürchten. Nur freie Gesellschaften brächten die nötige Kreativität | |
hervor, um in Zeiten der Globalisierung kulturell, intellektuell, | |
gesellschaftlich und auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. | |
18 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Istanbul/!118199/ | |
[2] /Erdogan-droht-den-Protestlern/!118284/ | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Istanbul | |
Schwerpunkt Protest in der Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Stadtplanung | |
Schwerpunkt AKP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zukunft der türkischen Proteste: „Jeder Park ist Gezi“ | |
Sie lehnt eine konservative Gesellschaft ab. Sie will Presse- und | |
Meinungsfreiheit. In Istanbul diskutiert die Protestbewegung in Parks über | |
die Zukunft. | |
Auf der anderen Seite des Bosporus: Die schweigende Mehrheit der Türkei | |
In den islamisch geprägten Istanbuler Vororten stehen viele zu Erdogan. | |
Doch die Begeisterung bröckelt. Ein Besuch im asiatischen Teil der Stadt. | |
Stiller Protest in türkischen Städten: Bis hierher und nicht weiter | |
Die Regierung bezeichnet sie als „Terroristen“. Die reagieren mit | |
schweigendem Protest: Sie bleiben einfach stehen – stumm, reglos, | |
stundenlang. | |
Kommentar Türkei: Erdogans Türkei | |
Erdogan genießt noch großen Rückhalt. Doch mit seinem starrsinnigen | |
Verhalten riskiert er, sich um die Basis seines Erfolges zu bringen. Einen | |
Buhmann hat er schon. | |
Protest in Istanbul: One man standing | |
Ein Mann steht still auf dem Taksim-Platz in Istanbul und starrt auf ein | |
Atatürk-Porträt. Die türkische Polizei greift ein. Ansonsten bleibt es | |
ruhig, erstmals seit Tagen. | |
Erdogan droht den Protestlern: Wenn nötig, kommt die Armee | |
Mit massivem Polizeiaufgebot blockiert die Regierung am Montag | |
Protestmärsche von Gewerkschaftern. Erdogan plant jetzt, das Militär zur | |
Aufstandsbekämpfung einzusetzen. | |
Erdogans Stadtpläne: Neo-osmanische Kitschträume | |
Die Ästhetik des Despoten: Warum Türkeis Premier Recep Tayyip Erdogan | |
anstelle des Gezi-Parks eine alte Kaserne wiedererrichten möchte. Und dafür | |
zu allem bereit ist. | |
Kommentar Proteste in der Türkei: Erdogans gefährliches Pflaster | |
Mitten in den Unruhen schafft es die AKP eine perfekte Jubelorgie für | |
Erdogan zu veranstalten. Der Premier wettert gegen ausländische Medien. An | |
Deeskalation hat er kein Interesse. |