| # taz.de -- Zwei Bücher zu Islam und Integration: Werdet vernünftig | |
| > Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour bieten in ihren Büchern gute | |
| > Argumente gegen religiöse und völkisch-nationalistische Extremisten. | |
| Bild: Die wahren Grenzen verlaufen zwischen Oben und Unten | |
| Die Vernünftigen sind noch nicht ausgestorben, jedenfalls unter den | |
| Pass-Deutschen. So würden Rechte die beiden Autoren etikettieren: den | |
| „Deutsch-Israeli“ Ahmad Mansour – mit arabischem Herkunftshintergrund, | |
| fundamentalistischer Vergangenheit und therapeutischer Ausbildung – und den | |
| im Münsterland geborenen „Deutsch-Syrer“ Aladin El-Mafaalani, der in Bochum | |
| Soziologie studiert hat, Lehrer wurde und seit Kurzem in einem | |
| NRW-Ministerium Integrationspolitik macht. Vernünftig ist in Sachen | |
| Migration das Paradox, warum gelungene Integration zu mehr Konflikten | |
| führt, das der Soziologe vorführt, und radikal die Position in der Mitte, | |
| die der Psychologe „gegen falsche Toleranz und Panikmache“ bezieht. Weil | |
| beide ohne Jargon und streckenweise unterhaltsam schreiben, verdienen sie | |
| viele Leser in einem nervös gewordenen Land, das seine erfolgreiche | |
| Einwanderungsgeschichte vergessen zu haben scheint und einer | |
| rechtsradikalen Minderheit die Meinungsführerschaft zu diesem Thema | |
| übertragen hat. | |
| Beide Autoren berichten aus persönlichen Erfahrungen. „Natürlich gibt es | |
| immer wieder Menschen“, schreibt Mansour, „die mir zweifellos das Gefühl | |
| geben wollen, ich würde nicht dazugehören. Ich bin inzwischen zum Glück | |
| stark genug, ihnen klarzumachen, dass sie ein Problem haben, nicht ich.“ | |
| Dieses Selbstbewusstsein, das sie zu gefragten Talkshowgästen, | |
| Interviewpartnern und Podiumsrednern macht, ist geradezu ein Ausweis | |
| gelungener Integration, die eben nicht allen Alteingessenen gefällt. | |
| Weil dabei unvermeidliche Probleme und vermeidbare Fehler aus falscher | |
| Rücksicht auf verletzte Gefühle und aus Angst vor dem Beifall von der | |
| falschen Seite nicht klar benannt wurden, sprechen Mansour und El-Mafaalani | |
| „Klartext“. Sie interessieren weniger akademische Debatten, bei denen sie | |
| problemlos mithalten könnten, als praktikable, nachhaltige Lösungen, wo der | |
| Pseudowissenschaftler Sarrazin elende Vorurteile aufwärmt und der | |
| „postmigrantische“ Diskurs oft um den heißen Brei redet. | |
| Dass Einwanderung anstrengend für alle Seiten ist, war die Botschaft, als | |
| wir um 1990 von „Multikulti“ sprachen. Ab 1989 wurde das erste Amt für | |
| multikulturelle Angelegenheit von Daniel Cohn-Bendit in der Stadt Frankfurt | |
| am Main geleitet. Doch wie heißt es so schön: we never promise you a | |
| rosegarden. (Die Schnulzen unter diesem Titel sangen andere.) | |
| ## „Rassismus kann sich verstärken, weil Integration gelingt“ | |
| El-Mafaalani greift nun ebenfalls auf die von Georg Simmel vor hundert | |
| Jahren begründete Konfliktsoziologie zurück. Er demonstriert an vielen | |
| Beispielen, dass es keine Leitkultur, nur eine Streitkultur gibt. Mansour | |
| berichtet eindrucksvoll von Erfahrungen an sozialen Brennpunkten, in | |
| Moscheen und Gefängnissen. Wer eine Assimilation ohne Konflikte erwartet | |
| hat, versteht Gesellschaft nicht; ihre friedliche Austragung ist der | |
| einzige Wege zur Integration. Das war „Soziologie als Aufklärung“ in den | |
| 1960er Jahren, als Deutschland weltoffener wurde, und heute wieder, wo um | |
| einen starren Identitätsbegriff reaktionäre Gesellschaftsmodelle gestrickt | |
| werden. | |
| El-Mafaalani vermag seine preisgekrönten Forschungen in satte Paradoxien zu | |
| kleiden: „Wenn wir scheitern, dann an unseren Erfolgen“, sagt er. Oder: | |
| „Rassismus kann sich verstärken, weil Integration gelingt“; „Konflikte a… | |
| Begleiter des Zusammenwachsens“; „Diskriminierung wird ein Problem, weil es | |
| weniger Diskriminierung gibt“. Und: „Es wird – weltweit – alles besser,… | |
| deshalb nimmt die Migration zu.“ | |
| Er prägt Merksätze: „Frauen mit Kopftuch streben nach Bildung und | |
| Berufstätigkeit, und wir verbieten es ihnen mit dem Hinweis auf | |
| Unterdrückung. Wer findet den Fehler?“ Gern benutzt er die Metapher des | |
| Tisches. „Immer mehr und immer unterschiedlichere Menschen sitzen mit am | |
| Tisch und wollen ein Stück vom Kuchen. Wie kommt man eigentlich auf die | |
| Idee, dass es ausgerechnet jetzt harmonisch werden soll? Diese Vorstellung | |
| ist entweder naiv oder hegemonial. Das wäre Multikulti-Romantik oder | |
| Monokulti-Nostalgie. Die Realität ist ganz offensichtlich eine andere.“ Und | |
| doch muss man sich immer wieder an einem Tisch versammeln. | |
| Soziale Unterschiede sind El-Mafaalani wichtiger als kulturelle oder gar | |
| religiöse; die Patentformel „Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland“ lö… | |
| er zu der offenen Frage auf: Welcher Islam? Eine säkulare Ordnung setzt | |
| eine enorme Selbstaufklärungen der Muslime voraus, würde sie aber aus der | |
| fatalen Vormundschaft ihrer politisch-religiösen Führer befreien. | |
| ## Die islamophobe Gegenseite gleicht den Islamisten in vielem | |
| Noch kritischer geht der „religiös musikalische“ Mansour [1][mit | |
| starrsinnigen Glaubensbrüdern ins Gericht]. Er hat selber die | |
| Überpolitisierung des Religiösen erst mitgemacht und dann ihre fatalen | |
| Folgen erlitten. Niemand soll behaupten, deren Radikalität habe mit dem | |
| Islam „nichts zu tun“, aber niemand sollte ausgerechnet den Islamisten das | |
| Auslegungsmonopol zubilligen. | |
| „Die Politik darf es sich nicht weiter einfach machen und nur mit den | |
| islamischen Verbänden oder konservativen Muslimen zusammenarbeiten, denn | |
| der Islam ist vielfältig. Zudem sind viele konservative Organisationen vom | |
| Ausland gesteuert und stehen unserer Demokratie ambivalent gegenüber. Staat | |
| und Politik sollten deshalb produktive, konstruktive Ansätze dieser | |
| Debatten unterstützen und fördern. Es geht darum, so schnell wie möglich in | |
| Deutschland und Europa ein Islamverständnis anzubieten, das ohne Wenn und | |
| Aber hinter Demokratie, Gleichberechtigung und Menschenrechten steht. Das | |
| ist möglich. Viele gut integrierte Muslime beweisen es Tag für Tag. Doch es | |
| müssen noch mehr werden – am besten alle.“ | |
| Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Mit am Tisch sitzen, um das Bild | |
| aufzugreifen, Vetospieler und Spielverderber beider Seiten, die ein | |
| rassistisch und/oder religiös fundierter Autoritarismus eint wie | |
| verfeindete Zwillinge. Denn die islamophobe Gegenseite gleicht den | |
| Islamisten in vielem aufs Haar. Ein prominenter Leidtragender wie Rapper | |
| Samy Deluxe bekannte gerade stellvertretend für viele: „Wenn man optisch | |
| nicht eindeutig als Weißer zu identifizieren ist, erlebt man in Deutschland | |
| keinen Tag ohne Rassismus.“ Und unter Minderheiten und ihren wohlmeinenden | |
| Stellvertretern gibt es den nicht minder tumben, mit keiner | |
| Diskriminierungserfahrung zu beschönigenden Gegenrassismus. | |
| Beide Autoren kommen (Simmel!) zum Schluss, dass die Fronten nicht zwischen | |
| Islam und Abendland, Bio- und Passdeutschen, Alteingesessenen oder | |
| Flüchtlingen verlaufen, sondern zwischen „oben“ und „unten“ in einer | |
| farbiger gewordenen Klassengesellschaft. Zwischen Klerikern und Gläubigen | |
| oder hierarchisch-autoritären und demokratisch-egalitären Vorstellungen von | |
| Lebenswelten. Hier gibt es eklatante Überschneidungen von Islamisten wie | |
| Islamophoben. Gegen beide sollten sich Bio- wie Passdeutsche richten – und | |
| auf soziale Differenzierung setzen. | |
| 11 Sep 2018 | |
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