# taz.de -- Zum Jubiläum der Universität Hamburg: Die Kraft der Mitbestimmung | |
> Die Uni Hamburg ist 100 Jahre alt. Seit 50 Jahren wird sie von allen | |
> Gruppen der Hochschule geführt: ein Erfolgsmodell. Ein Gastbeitrag. | |
Bild: Durften noch nicht mitzubestimmen: Student*innen in einem Hörsaal der Un… | |
HAMBURG taz | Die Universität und die Stadt Hamburg feiern die Gründung der | |
Universität vor 100 Jahren. Denkwürdig ist allerdings auch, dass die | |
Bürgerschaft vor 50 Jahren ein neues Universitätsgesetz beschloss, das den | |
Übergang von der traditionellen Ordinarienuniversität zur reformierten | |
Gruppenuniversität einleitete. | |
In der Ordinarienuniversität lag die Selbstverwaltung allein in den Händen | |
der als Fachvertreter berufenen Professoren. Das Universitätsgesetz von | |
1969 sah dagegen eine Vertretung aller Universitätsmitglieder in den | |
Selbstverwaltungsgremien vor. Das Rektorat sah dies als Anlass, das 50. | |
Jubiläum nicht zu feiern, weil es die deutsche Universitätstradition und | |
die Wissenschaftsfreiheit gefährdet sah. | |
Nach dem totalitären Zugriff des nationalsozialistischen Zentralstaates auf | |
die Universitäten und dem Zusammenbruch des NS-Regimes knüpften die | |
Universitäten beim Wiederaufbau in den Ländern an die deutsche | |
Universitätstradition an. Die in der Weimarer Zeit geltenden Satzungen | |
wurden wieder angewandt. Die Länder verzichteten nach den | |
nationalsozialistischen Staatseingriffen auf staatliche Regulierungen. Ihre | |
Behörden übernahmen zwar Verwaltungsaufgaben für die Universitäten, alle | |
akademischen Fragen wurden aber der Selbstverwaltung überlassen. | |
Doch mit dem schnellen Wachstum in der Nachkriegszeit, der steigenden Zahl | |
der Studierenden, der unkoordinierten Ausbreitung von | |
Zulassungsbeschränkungen und der wachsenden Bedeutung von Forschung und | |
wissenschaftlicher Ausbildung für die Gesellschaft forderten zahlreiche | |
Gutachten, aber auch Empfehlungen des Wissenschaftsrates und der | |
Westdeutschen Rektorenkonferenz strukturelle Änderungen. | |
Hessen und Hamburg, später auch andere Länder, beschlossen darum, das | |
Hochschulrecht gesetzlich neu zu regeln. Im Vordergrund der Reform standen | |
eine Stärkung der Hochschulleitung durch längere Amtszeiten, eine | |
Angleichung der Rechtsstellung des zunehmend differenzierten und stark | |
gewachsenen Lehrkörpers, eine staatliche Kontrolle von | |
Zulassungsbeschränkungen, die Gliederung der Universitäten und die | |
Verbindung von akademischer Selbstverwaltung und staatlicher | |
Hochschulverwaltung. Diese Forderungen waren in den 1960er-Jahren im | |
Grundsatz unstrittig. | |
Als die studentischen Unruhen Ende der 1960er-Jahre die im Wiederaufbau | |
entwickelten Strukturen und Machtverhältnisse in Frage stellten, kam die | |
Forderung hinzu, die Studierenden an der Selbstverwaltung zu beteiligen. | |
Vor allem die Ablösung jährlich wechselnder Rektoren durch eine Leitung mit | |
längerer Amtszeit erforderte eine breitere Legitimation und begründete die | |
Erwartung körperschaftlicher Mitbestimmung aller Universitätsmitglieder. | |
Die Lehrenden, die Studierenden, die wissenschaftlich Mitarbeitenden und | |
die sonstigen Bediensteten sollten durch gewählte Vertreter in den | |
Selbstverwaltungsgremien mitwirken. Das Prinzip war weniger strittig, | |
heftig gerungen wurde jedoch um das Zahlenverhältnis der Gruppen in den | |
Gremien. Die Positionen reichten von der Drittelparität oder Viertelparität | |
bis zu der von der Westdeutschen Rektorenkonferenz entwickelten | |
„Qualitativen Repräsentation“, die den Hochschullehrern eine klare Mehrheit | |
garantieren wollte. | |
Das von der Bürgerschaft am 25. April 1969 beschlossene Universitätsgesetz | |
löste diese Forderung so ein, dass es im Senat sieben Professoren und vier | |
Dozenten vorsah, denen vier wissenschaftliche Assistenten und vier | |
Studenten gegenüberstanden. Zwei von Personalräten gewählte Mitarbeiter | |
waren nur mit beratender Stimme vertreten. Stimmrecht hatten auch der | |
Präsident und ein Professor als Vizepräsident. Sie wurden vom Konzil | |
gewählt, dem 39 Professoren, 20 Dozenten, 20 wissenschaftliche Assistenten, | |
38 Studenten und zwei Vorsitzende des Asta angehörten. | |
Auch zehn von Personalräten gewählte sonstige Mitarbeiter waren im Konzil | |
wegen seiner nicht wissenschaftsbezogenen Kompetenzen stimmberechtigt. Das | |
Gesetz sah die Leitung der Universität durch einen Präsidenten mit einer | |
Amtszeit von sechs bis neun Jahren vor, eine von ihm geleitete | |
Einheitsverwaltung sowie die Gliederung in Fachbereiche. | |
Die Vertretung der Mitglieder der Universität in den | |
Selbstverwaltungsgremien wurde später auch in allen anderen Bundesländern | |
eingeführt. Eine Grundgesetzänderung gab dem Bund das Recht, durch ein | |
Rahmengesetz Grundsätze des Hochschulrechts zu regeln. Erbitterte | |
Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der Gruppenvertretung entschied | |
schließlich ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973, das | |
die Mitbestimmung aller Gruppen in den Gremien als mit der Garantie der | |
Wissenschaftsfreiheit vereinbar ansah, für wissenschaftsbezogene | |
Entscheidungen aber eine Mehrheit der Professoren forderte. Diese | |
Grundsätze wurden durch ein Hochschulrahmengesetz konkretisiert, dem der | |
Bundesrat 1976 nach einem langen Vermittlungsverfahren zustimmte. | |
In Verbindung mit dem Erfordernis einer Hochschullehrermehrheit war die | |
Gruppenuniversität nun das gemeinsame Merkmal einer reformierten | |
Hochschulstruktur. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1977 die im | |
Hamburgischen Universitätsgesetz von 1969 gebildete Gruppe der Dozenten als | |
nicht hinreichend homogen angesehen und damit nur teilweise der Gesamtheit | |
der Hochschullehrer zugerechnet hatte, garantierte auch das Hamburgische | |
Hochschulgesetz vom 22. April 1978 eine Professorenmehrheit. | |
## Sinnvolles Prinzip | |
Als nach einer Föderalismusreform die Rahmenkompetenz des Bundes | |
abgeschafft wurde, blieb in allen Ländern das Prinzip der | |
Gruppenrepräsentation unangetastet. Auch heute noch sind alle staatlichen | |
Hochschulen in Deutschland Gruppenuniversitäten. | |
Blickt man auf die Entwicklung in den folgenden 50 Jahren, erweist sich | |
dieses Prinzip durchaus als sinnvoll. Trotz aller Kassandrarufe, die | |
Mitbestimmung mache die Selbstverwaltung entscheidungsunfähig und | |
schwerfällig, sei ineffizient und wissenschaftsfeindlich, haben die | |
Hochschulen in Hamburg das Gegenteil bewiesen. In kaum einem anderen Land | |
weisen die von den Gremien gewählten Leitungen vergleichbar lange | |
Amtszeiten auf. | |
Der einzige Fall eines erzwungenen Rücktritts nach nur dreijähriger | |
Amtszeit ist auf ein Wahlverfahren zurückzuführen, in dem der | |
Wissenschaftssenator im evidenten Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung | |
einen Personalberater eingeschaltet und in Kollaboration mit einem | |
überwiegend extern besetzten Hochschulrat der Universität eine Leitung | |
vermittelt hat, die sich als so kooperations- und kommunikationsunfähig | |
erwies, dass nahezu alle Professoren und Dekane nach kurzer Amtszeit die | |
Zusammenarbeit verweigerten. | |
## Ruhig auch in unruhigen Zeiten | |
In allen anderen Fällen führte die breite Legitimation der Hochschulleitung | |
dazu, dass diese die volle Amtszeit wahrnahmen und auch schwierige | |
Entscheidungen treffen und umsetzen konnte. Sogar in der Zeit heftigster | |
Studentenunruhen galt die Universität Hamburg als eine eher ruhige und | |
arbeitsame Universität, die international große Anerkennung genoss, der | |
Studienreform innovative Impulse gab und in der Forschung neue Wege ging. | |
Als die Universität zwischen 1995 und 2006 insgesamt ein Viertel ihrer | |
Stellen und Mittel einsparen und damit zehn Jahre lang jede zweite frei | |
werdende Stelle streichen musste, waren ihre Kollegialgremien in der Lage, | |
die erforderlichen Prioritätsentscheidungen autonom zu treffen und | |
umzusetzen. In diesem Zeitraum gehörte die Universität Hamburg zu den | |
erfolgreichsten Hochschulen bei der Einwerbung neuer | |
Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen, Graduiertenkollegs und | |
International Max Planck Research Schools. | |
Im Verbund Norddeutscher Universitäten entwickelte sie ein wegweisendes | |
Verfahren vergleichender Evaluation von Studiengängen und mit Unterstützung | |
der Volkswagen-Stiftung führte sie das größte Projekt systemischer | |
Universitätsentwicklung in Deutschland durch. | |
## Hilfreiche Mitbestimmung | |
Zahlreiche Beispiele aus allen Hamburger Hochschulen zeigen, dass | |
Mitbestimmung notwendige Entscheidungen nicht blockiert, sondern ihre oft | |
schwierige Umsetzung häufig erst möglich macht. Das gute Funktionieren | |
einer Gruppenuniversität ist keine Hamburger Besonderheit. Ein Vergleich | |
aller deutschen Universitäten in der Zeit der Ordinarienuniversität bis | |
Ende der 1960er-Jahre bis heute zeigt eine beeindruckende Effizienz- und | |
Leistungssteigerung. Die Ausstattung der Hochschulen mit Geld, Gebäuden, | |
Geräten und Personal wurde nur in den 1970er-Jahren in etwa parallel zum | |
Wachstum der Studierendenzahl erhöht. Seit den 1980er-Jahren | |
verschlechterte sie sich stetig im Widerspruch zu wachsenden Anforderungen. | |
Bildeten die Hochschulen zu Beginn der 1970er-Jahre etwa zehn Prozent eines | |
Jahrgangs wissenschaftlich aus, erwirbt heute mehr als die Hälfte aller | |
jungen Menschen ihre berufliche Qualifikation nicht mehr in der | |
betrieblichen oder dualen Ausbildung, sondern an den Hochschulen. Den | |
Fachkräftebedarf decken weiter zunehmend die Hochschulen, ohne dass sie | |
entsprechend ausgestattet werden. | |
## Universitätsgeschichte gestaltet | |
Studierten an den Ordinarienuniversitäten bis 1970 maximal 400.000 | |
Studierende, sind es an den Gruppenuniversitäten fast heute zwei Millionen. | |
Die Zahl der ersten Studienabschlüsse pro Jahr ist in dieser Zeit von | |
maximal 50.000 auf fast 300.000 gestiegen, die der Promotionen von etwa | |
10.000 auf knapp 30.000, während die Zahl der Professuren nur von 20.000 | |
auf 25.000 stieg, die des sonstigen wissenschaftlichen Personals nur von | |
etwa 70.000 auf 100.000. | |
Viele weitere Indikatoren belegen diese Entwicklung. Warb die | |
Ordinarienuniversität etwa zehn Prozent ihrer Forschungsmittel als | |
Drittmittel ein, sind es heute an den Gruppenuniversitäten mindestens 30, | |
häufig 50 Prozent. Somit ist die Gruppenuniversität besser als ihre | |
Kritiker befürchteten. Nicht nur mit der Universitätsgründung vor 100 | |
Jahren, sondern auch mit der Reform der Ordinarienuniversität vor 50 Jahren | |
hat die Hamburgische Bürgerschaft Universitätsgeschichte gestaltet. | |
7 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Lüthje | |
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