# taz.de -- Was ist eine Kolumne?: Hier ruft jemand vom Rand | |
> Warum kann die Textform „Kolumne“ niemand so richtig definieren, während | |
> so viele sie schreiben wollen? Ein Sonderfall, kurz erklärt. | |
Bild: Wie persönlich soll es werden | |
Eine [1][Kolumne aus der taz] hat [2][diese Woche Schlagzeilen gemacht] und | |
eine interne Debatte ausgelöst. Aber was ist das eigentlich, dieses Format | |
Kolumne? Die Definitionen in verschiedenen journalistischen Leitfäden kann | |
man in etwa auf einen gemeinsamen Nenner bringen: „Die Kolumne ist ein | |
Meinungstext an einem festen wiederkehrenden Platz.“ Das sagt erst mal | |
nicht viel. Es werden dann oft noch andere Textformen genannt, die der | |
Kolumne ähnlich, aber doch nicht dasselbe sind: Kommentar, Glosse, Kritik, | |
Essay. Aber das grenzt höchstens ab, es definiert nicht. Die Kolumne ist im | |
durchformatierten Journalismus womöglich die Textsorte, die sich am | |
wenigsten definieren lässt. | |
Ein bisschen Sehnsucht schwingt da auch mit. Man denke an die Figur der | |
Carrie Bradshaw aus „Sex and the City“: Diese Figur der Kolumnistin ist | |
mondän inszeniert, sie schreibt oft bei Nacht, auf dem Bett, mit Blick auf | |
die Skyline und einem Glas Rotwein. Aber das ist ein Traum von Bohème und | |
Lebensart, keine Definition des Formats. | |
Was sagen die Schreibenden selber? „Die Kolumne macht das Große klein, sie | |
entdeckt im Gegenteil vielleicht im Kleinen die Größe“, sinniert Kolumnist | |
Axel Hacke in seinem Buch „Das kolumnistische Manifest“. Hacke schreibt für | |
das Süddeutsche Magazin, früher auch mal die Seite-1-Spalte der | |
Süddeutschen Zeitung, das „Streiflicht“. Wobei das „Streiflicht“ auch … | |
und da als „Glosse“ bezeichnet worden ist. | |
Von Harald Martenstein, Kolumnist beim Zeit Magazin, findet sich eine | |
Aussage aus einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk vor einigen | |
Jahren. Der Kolumnistenjob bestehe seiner Meinung nach darin, „eine | |
bestimmte Tonlage zu entwickeln, einen Sound wie in der Musik sozusagen, | |
der einem als Autor nahe genug ist, um ihn wöchentlich oder monatlich | |
reproduzieren zu können. Man schafft mit einer Kolumne also eine Rolle, ein | |
Alter Ego, das man immer wieder problemlos annehmen kann.“ Allerdings kommt | |
Martenstein im Laufe des Gesprächs doch ins Zweifeln, was die Idee vom | |
Alter Ego angeht. „Ich habe jahrelang immer behauptet, dass das eine | |
Kunstfigur ist. Dann ist mir aber aus meinem persönlichen Umfeld gesagt | |
worden, dass ich mich irre, das sei schon ich. Offensichtlich habe ich mich | |
in diesem Punkt also getäuscht.“ | |
## Vergleich zum dramatischen Erzählen | |
Spiegel-Kolumnistin Sibylle Berg ist sich da sicherer: „Die Texte haben mit | |
mir als Person nichts zu tun. Ich bin vollkommen uninteressant“, sagte Berg | |
2013 dem Schweizer Branchenmagazin Persönlich. Wobei, vielleicht schaffte | |
Berg in diesem Interview ja auch eine Kunstfigur. | |
Kolumnistin Mely Kiyak (heute Zeit Online) wiederum hat Kolumnieren mal in | |
einem Text für das Berliner Gorki-Theater in die Nähe des dramatischen | |
Schreibens gerückt. „Nicht jedes Thema eignet sich für eine abendfüllende | |
Veranstaltung, da tut es einfach mal eine Kolumne. Kiyak führt an, dass man | |
branchenintern einen Text auch „Stück“ nennt, genau wie den dramatischen | |
Text. „Zwei nahe Verwandte, das Stück und das Stück.“ | |
Zu definieren, was die Kolumne formal ist, gestaltet sich also schwierig, | |
zumindest wenn man über Inhalt oder Stil herangeht. Die Kolumnist*innen | |
selbst sprechen eher darüber, was sie tun, was sie erreichen wollen. | |
Denkweisen umkehren, einen „Sound“ entwickeln, eine Kunstfigur schaffen. Es | |
gibt natürlich neben den schöngeistigen Kolumnen, deren Vertreter*innen | |
Kiyak, Berg, Martenstein und Hacke sind, auch die eher serviceorientierten | |
Ratgeberkolumnen, da ist von Kunst nicht mehr groß die Rede. Oder die | |
politischen Kolumnen, die schon wieder Kommentare sind. | |
Eher als über den Inhalt oder formale Regeln kann man die Kolumne über die | |
„Wiederkehr“ definieren. Sie hat in der Regel einen festen Platz und eine | |
feste Ausgabe, ohne Wenn und Aber. Im traditionellen Drucksatz bildete sie | |
oft eine „Spalte“ am Rand, was ihr auch ihren Namen verleiht: „Kolumne“… | |
lateinisch columna, „Säule“, was wiederum in verschiedenen Sprachen, etwa | |
Englisch und Französisch, die sätzerische Bedeutung „Spalte“ annahm. Schon | |
auf dem Blatt war somit klar erkennbar: Hier ruft uns jemand vom „Rand“ | |
etwas zu. | |
Diese Subjektivität versuchen Redaktionen durch das Abwechseln | |
verschiedener Autor*innen „auszugleichen“. So erscheinen oft am selben | |
Platz Kolumnen unterschiedlicher parteipolitischer Ausrichtung im Wechsel – | |
etwa im Spiegel. Oder verschiedene Lebenswelten werden abwechselnd | |
abgebildet. | |
Die wiederkehrende Form bedeutet aber noch etwas: Im Gegensatz zu allen | |
anderen journalistischen Texten muss die Kolumne nicht täglich „erkämpft“ | |
werden. Alle anderen Textformen stehen in Konkurrenz zueinander um die | |
Plätze in der Ausgabe und um die Gunst der Redakteur*in. Die Kolumne | |
kommt – ist sie einmal beauftragt – immer zum gewohnten Zeitpunkt. Das | |
bedeutet einerseits Druck für die Kolumnist*in – ihr muss etwas | |
einfallen. Die ehemalige Kolumnistin der taz-Medienseite, Silke Burmester, | |
schreibt darüber in einem Handbuch des Verbands Freischreiber: „Diese | |
Anforderung einzulösen, muss man sich zutrauen. Tut man das, kann man | |
loslegen. Ob es funktioniert, wird sich zeigen.“ | |
Andererseits bedeutet es aber auch Sicherheit für die Autor*in, dass sie | |
diesen regelmäßigen Platz bekommt. Anders als bei Berichten, Reportagen, | |
Rezensionen und Kommentaren, die alle einzeln gepitcht werden müssen. | |
Und aus dieser Mischung aus Sicherheit und Kreativitätsdruck entsteht dann | |
auch das Sehnsuchtsbild der Kolumnist*in, wie es Carrie Bradshaw darstellt. | |
## Digitale Entgrenzung | |
Heute entscheiden sich Verlage häufig immer noch, ihre Kolumnen als | |
„Spalten“ im Printsatz darzustellen, oft mit Bild, um Subjektivität zu | |
unterstreichen. Aber das Layout ist an seine Grenzen gekommen, Texte | |
erscheinen digital, auf Webseiten, wo es keine Spalten mehr gibt, und in | |
den sozialen Netzwerken, wo inzwischen alles so personalisiert ist, dass | |
die besondere Subjektivität nicht mehr durchscheint. Ebenso ist nicht mehr | |
gesichert, dass sich der Eindruck von Ausgewogenheit überträgt, den | |
Redaktionen durch den Wechsel verschiedener Kolumnen herzustellen | |
versuchen. Einzelne Kolumnen werden geteilt und geklickt, andere vielleicht | |
nicht. | |
Gleichzeitig sind einige Alleinstellungsmerkmale der Kolumne verloren | |
gegangen: Das Ich galt lange Zeit in journalistischen Texten im | |
deutschsprachigen Raum als unschick, fast schmutzig – außer in der Kolumne, | |
die war offen ichig. | |
Aber das Ich darf nun auch immer öfter in Reportagen auftauchen, in Essays, | |
Kommentaren und Glossen. Und in der jüngsten journalistischen Textform, dem | |
Tweet, sowieso. Und als kleine literarische Form ist sie auch längst nicht | |
mehr allein – da gibt es das persönliche Blog, das als Spielwiese für | |
kreativ Schreibende dann doch noch mal mehr Freiheiten bietet – und vor | |
einer zu schnell wachsenden Reichweite schützen kann. | |
29 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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